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Stadtleben: Ein Fachwerkhaus trotzt der neuen Mitte

Das Restaurant Paris-Moskau ist immer wieder dem geplanten Abriss entkommen. Nun soll es in den Platz des neuen Innenministeriums integriert werden

Das Singledasein ist vorbei. Wenn alles nach Plan läuft, bekommt das Restaurant Paris-Moskau in wenigen Jahren einen mächtigen Nachbarn – das Bundesinnenministerium. Dann werden nur 25 Meter die Sommerterrasse des denkmalgeschützten Fachwerkbaus vom Haupteingang trennen. Der freie Blick von der Terrasse ist dann verbaut, und das kleine Haus wirkt vor der enormen Kulisse des Neubaus vermutlich wie ein anachronistisches Wärterhaus, das nicht zu seiner Umgebung passen will. Doch Wolfram Ritschl, Besitzer des Paris-Moskau, rauft sich nicht etwa die Haare, sondern sitzt entspannt in seinem Gastraum und freut sich: „Endlich passiert hier mal etwas.“

Seit Jahrzehnten steht das alte Fachwerkhaus allein an der Straße Alt-Moabit, zwischen dem Kanzleramt und den Altbauquartieren Moabits, wie eine Hinterlassenschaft längst vergangener Zeiten. Immer wieder wurde über den Abriss diskutiert. Zuletzt bei den großen Plänen für das Regierungsviertel im Spreebogen. Ritschl erinnert sich, wie Planer und Minister Anfang der 1990er Jahre auf seiner Terrasse standen und immer wieder ihre Arme horizontal bewegten: „Das kommt weg, alles weg“, sagten sie. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Wolfgang Schäuble, Quasibauherr des neuen Ministeriums und gern gesehener Gast im Paris-Moskau, will selbst, dass es stehen bleibt: „Das Restaurant bleibt auf jeden Fall. Daran wird nicht gerührt.“

Das Fachwerkhaus, Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, war zunächst Schankgaststätte für Arbeiter der Reichsbahn, wurde später mit einer Kegelbahn zu so etwas wie einem Ausflugsziel. Es überstand fast als einziges Gebäude im Spreebogen die erbitterten Kämpfe in den letzten Kriegsmonaten unbeschadet. Der Mauerbau drängte das Haus jedoch ins Abseits. Dort stand es noch, fast vergessen, als es Wolfgang Ritschl 1984 kaufte und vor dem endgültigen Verfall bewahrte. Der Start war schwierig. Fast hätte den damals 23 Jahre alten Ritschl sein Experiment in den Ruin getrieben. Als er sich den Namen Paris-Moskau einfallen ließ, der an die betriebsame Reichsbahn-Vergangenheit des ihn umgebenden Brachlandes aus stillgelegten Gleisen und Stellwerken anknüpfte, und es zu einer festen Anlaufstelle für alle machte, die gutes Essen mögen, rollte der Rubel. Seit 20 Jahren empfängt das Restaurant Paris-Moskau seine Gäste. Dabei soll es bleiben, selbst wenn sich rundherum alles ändert.

Nach den Plänen des Berliner Architekturbüros Müller/Reimann, das den Wettbewerb für den 175-Millionen-Euro- Neubau für sich entscheiden konnte, wird das Paris-Moskau in einen Stadtplatz integriert, der vor dem Haupteingang des Ministeriums errichtet wird. So offen, wie der Platz es suggeriert, wird die Anlage aber nicht: Restaurant und Ministerium wird aus Sicherheitsgründen ein zwei Meter hoher Zaun trennen. Dass im weiteren Verlauf der Planungen oder der Bauarbeiten am Ende doch noch über einen Abriss nachgedacht wird, glaubt Ritschl nicht.

Ein Beispiel dafür gäbe es allerdings in Sichtweite: Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zwischen Spreeufer und Luisenstraße war schon im Bau, als an der Straße noch ein Plattenbau stand, dessen Mieter partout nicht einsehen wollten, dass sie einem Neubau für die Bundestagsbibliothek weichen sollten. Inzwischen ist das Mehrparteienwohnhaus abgerissen und das noch unfertige Lüders-Haus soll bald durch einen Anbau komplettiert werden. Ritschl setzt auf den Denkmalschutz seines Hauses und darauf, dass auch der Minister nicht nur in der Kantine zu speisen wünscht. Das garantiere den Bestand des Paris-Moskau über sämtliche Planerlaunen hinaus.

Vielleicht, hofft Ritschl, geben die Pläne des Bundes auch seinen eigenen Ideen neuen Schwung. Seit Jahren möchte er das Paris-Moskau durch einen modernen Anbau erweitern. Die Pläne seines Bruders liegen schon in der Schublade und sehen einen zweiten, ungleich größeren Gastraum unterhalb des Fachwerkhauses vor. Außerdem soll es eine größere Küche geben, in der mühelos alle Gäste bekocht werden können.

Der Anbau ist in der vorgesehenen Form nur möglich, wenn es bei der Hangsituation bleibt, die das Gelände jetzt ausmacht. Das Paris-Moskau steht am Damm der Straße Alt-Moabit, dahinter fällt das Gelände ab zu dem Terrain, auf dem sich einst der Hamburg-Lehrter Güterbahnhof befand. Einen Teil der ehemaligen Gleisanlagen nehmen heute die „Beamten-Schlange“ genannte Apartmentwohnanlage und der Kanzlergarten ein. Auf dem großen Rest soll 2011 der Bau des Innenministeriums beginnen.

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