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Unsere südafrikanische Kollegin Leila Samodien und ihr Kollege aus Simbabwe.

© Photo: private

Eine Südafrikanerin in Berlin: Deutschland schreien

Sie lebt in Kapstadt – wo Deutschland im WM-Viertelfinale Argentinien schlug. Aber Leila Samodien hat das Spiel in Berlin verfolgt. Auf der Fanmeile hat unser Gast von der südafrikanischen Zeitung „Weekend Argus“ überprüft, ob die Klischees über Deutschland stimmen.

Bis vor einem Monat war ich noch nie in Deutschland. Und bis vor ein paar Stunden noch nie bei einem Fußball-Fanfest. Ich muss zugeben, das ich gewarnt wurde, bevor ich nach Deutschland kam: „Das Essen ist furchtbar und die Leute sind ziemlich zugeknöpft“, sagte ein Kollege, der vor etlichen Jahren mal Deutschland besucht hat.

Ein Verwandter war unlängst da. Er riet mir: „Lächle niemanden an, der dich nicht schon anlächelt – ob dein Lächeln erwidert wird, weißt du nämlich nie.“ So kam ich also nach Deutschland mit einem Rucksack voll Klischees (von denen ich die meisten ohnehin schon nicht ganz ernst nahm), zusätzlich zu meinem Übergepäck im Flugzeug.

Es stellte sich heraus: Das Essen ist gar nicht schlecht. Und wenn es ums Zugeknöpfte geht: Falls die Feiern auf der Fanmeile irgendwie typisch sind, dann können sie mit jeder afrikanischen Party mithalten. Ich habe jedenfalls noch nie etwas Ähnliches erlebt. Die Party ging ja schon lange vor dem Spiel los. Die Menschen, die zur Fanmeile unterwegs waren, wedelten mitten auf der Straße mit ihren Fahnen und die Autofahrer hupten und schrieen den Passanten „Deutschland!“ entgegen.

Böller in der U-Bahn

Überraschenderweise (und das meine ich im schlimmstmöglichen Sinne) zündete eine Bande Hooligans Böller im U-Bahnhof Potsdamer Platz. So etwas würde nicht einmal in Südafrika passieren – irgendeine alte „Mama“ würde die Jungs nach dem ersten Böller auffordern, sich zu verziehen. Und wenn sie wissen, was das Beste für sie ist, dann würden sie das auch tun.

Als ich mich mit einem simbabwischen Kollegen dann der vibrierenden Menge auf der Fanmeile anschloss, war die Aufregung mit Händen zu greifen. Die Menschen lächelten (weg mit dem nächsten Klischee), lachten und jubelten sich die Seele aus dem Leib. Ein Mann bat mich, auf seinem T-Shirt zu unterschreiben. Er sagte, er würde bald heiraten. Alle waren zu uns genauso gastfreundlich wie zu jedem deutschen Fan. Ich kann allerdings nicht sagen, dass das auch für die Leute im Argentinien-Trikot galt. Es könnte sein, dass der Alkohol eine Rolle spielte, aber ich habe – mit Ausnahme der WM-Auslosung in Kapstadt im Dezember – nie so viel Energie erlebt wie auf der deutschen Fanmeile.

„Diese Deutschen sind verrückt“, sagte meine Kollege und behauptete, er habe gerade ein Pärchen gesehen, dass sich in den Büschen entlang der Fanmeile vergnügt habe und von einem Polizisten gestört worden sei. Ich musste lachen. Offensichtlich hatten mich meine Freunde daheim doch falsch informiert über die Deutschen.

Ansteckender Jubel

Mein Kollege und ich waren unter den wenigen, die sich getraut hatten, ohne Schwarz-Rot-Gold und vor allem weiß auf die Fanmeile zu gehen. Ich sah wahrscheinlich aus wie ein großer schwarzer Fleck auf einem weißen Teppich, aber das störte niemanden. Wir wurden mit derselben Freundlichkeit behandelt wie die Kerle, die von Kopf bis Fuß in Deutschland-Farben gekleidet waren, als ob sie sich in die deutsche Flagge gehüllt hätten.

Ich musste einfach mitfiebern, das ging gar nicht anders. Beim dritten und vierten Tor gegen Argentinien jubelte ich mit. Die Atmosphäre war ansteckend – deutsche Fans jubelten, als ob Thomas Müller direkt vor ihren Augen träfe. Sie zuckten zusammen, wenn die Argentinier sich ihrem Tor näherten und brachen völlig unvermittelt in Gesänge aus. Da meine Kenntnis der deutschen Sprache sich auf rund zwanzig Wörter beschränkt, konnte ich da nur mitklatschen.

Es fühlte sich an, als ob ich ein bisschen von der WM abbekam. Trotzdem musste ich schon daran denken, dass ich eine womöglich noch bessere Erfahrung verpasste. Hier war ich nun, eine Südafrikanerin, und schaute mir vor einer riesigen Leinwand an, wie Deutschland die Argentinier in meiner Heimatstadt Kapstadt vermöbelte. Und alle waren da: Angela Merkel, Michael Ballack, Charlize Theron, Jacob Zuma und sogar Leonardo DiCaprio. Nur ich war fast 10.000 Kilometer weit weg.

Aus dem Englischen übersetzt von Markus Hesselmann.

Leila Samodien

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