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Eurovision Song Contest: Stadträte im Champion-Fieber

Bald steigt in Moskau der Eurovision Song Contest, Uwe Stäglin und Marc Schulte fliegen schon jetzt hin Die Bezirkspolitiker sind ESC-verrückt: Ihr Favorit ist der Violine spielende Norweger Alexander Rybak.

Appartements haben sie gemietet. Hotels könne in Moskau ja kein Mensch bezahlen, erzählen sie. Vierzehn Tage Abtauchen in eine komplett andere Welt sei das. Ohne Politik, ohne Weltnachrichten, ohne Bezirksprobleme. Eintauchen in einen Showzirkus aus Probenbesuchen, Pressekonferenzen, Fantreffen und Partys. Lustig: zwei korrekt beschlipste, bebrillte Herren in gedeckten Anzügen, die zwischen zwei Sitzungen mittags in einem Schöneberger Café mit leuchtenden Augen vom ESC schwärmen.

ESC – das ist der 54. Eurovision Song Contest, der am 16. Mai in Moskau steigt. Und die beiden vor Vorfreude glühenden Fans, die bereits am kommenden Freitag und Sonnabend zu den Proben und Semifinals für den Musikwettbewerb reisen, sind im wirklichen Leben Kommunalpolitiker in Berlin: Stadtplaner Uwe Stäglin, Jahrgang 1970, ist Baustadtrat und stellvertretender Bezirksbürgermeister im Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Und Lehrer Marc Schulte, geboren 1968, ist Wirtschaftsstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf und stellvertretender Landesvorsitzender der SPD. Übrigens auch Stäglins Partei.

Was die Kollegen zu ihrer Leidenschaft sagen? „Die beschmunzeln das und schütteln in der Bezirksverordnetenversammlung den Kopf“, sagt Stäglin, aber akzeptiert sei’s trotzdem.

1998 in Birmingham war er zum ersten Mal beim Eurovision Song Contest dabei, und seit 2002 fährt er jedes Jahr. Kollege Schulte veranstaltet seit den achtziger Jahren privat ESC-Partys und war 2008 in Belgrad des erste Mal live dabei. „Das macht einfach süchtig“, befindet er. Diesmal muss auch sein verpartnerter Mann mit. „Zwei Verrückte haben sich gefunden“, kommentiert Stäglin sein und Schultes ESC-Fieber. Und weil die beiden auch Mitglieder der zwei bestens organisierten deutschen Fanclubs sind, haben die anderen verrückten Musikwettbewerbsfreaks auch gleich was davon: Uwe Stäglin schreibt aus der russischen Hauptstadt für die Fan-Postille „T.O.M. – Top of Music in Europe“ und Marc Schulte bloggt unter www.vorwaerts.de Neues aus Moskau.

Was Sie am Songcontest fasziniert? Da prasseln die Antworten nur so. Showflitter, Starglamour, der Wettkampf, das Mitfiebern, wie unterschiedlich sich 42 Länder Europas in jeweils drei Minuten präsentieren, die Bühnenshow, die europäischen Künstler, die in Mainstreamcharts nie zu hören sind, und natürlich das Feiern, Jubeln und Fahnenschwenken in der Arena. „Der ESC ist die Champions League der Schwulen“, sagt Marc Schulte – und Uwe Stäglin nickt dazu lachend. Klar stellten Schwule die große Fanmehrheit.

Demonstratives Auftreten oder gar politische Fanaktionen sind im vom offen schwulenfeindlichen Bürgermeister Juri Luschkow regierten Moskau aber genauso wenig geplant wie im vergangenen Jahr im ebenso homophoben Belgrad. Sowas schade nur den Schwulen und Lesben, die vor Ort lebten, sind Uwe Stäglin und Marc Schulte überzeugt. Außerdem sei ein Großteil der Fans einfach unpolitisch und deren Topthema dann doch ausschließlich die Musik.

Was diese betrifft, haben die beiden Bezirksstadträte im diesjährigen Starterfeld des Eurovision Song Contest einen klaren Trend ausgemacht: Geigen, Geigen und nochmal Geigen. Ihr Top-Favorit ist der Violine spielende Schwiegermutterliebling Alexander Rybak aus Norwegen mit seinem romantischen Liebeslied „Fairytale“. Und wo landet die verpoppte deutsche Swing-Nummer „Miss Kiss Kiss Bang“ von Alex Christensen und Oscar Loya? Wohl im Mittelfeld, Platz 16 oder 17, fachsimpeln Stäglin und Schulte.

Allerdings gäbe es da ein Problem: „Wenn Oscar live singt, kann er einfach nicht tanzen“, analysiert Marc Schulte. Aber die Nackedei-Tänzerin Dita von Teese, die gerade für die deutsche Bühnenshow verpflichtet wurde, „bringt sicher Stimmen aus Süd- und Osteuropa“, meint er.

Dass die musikalische Qualität des Eurovision Song Contests durchwachsen ist, sehen die beiden Fans gelassen. Ralph Siegels Song „Get out of my Life“, der für Montenegro startet, fällt laut Bezirkspolitikervotum in die recht zweifelhafte Kategorie „Bügel- oder Abwaschmusik“.

Nur über eins können sich Uwe Stäglin und Marc Schulte aufregen: Dass der NDR die Semifinals am 12. und 14. Mai „im Programm versteckt“. Die sind nämlich nur auf Phönix oder zeitversetzt als Zusammenfassung zu sehen. „Aber jedes unbedeutende Fussballländerspiel wird live im Ersten Programm gezeigt.“

ESC-Infos und -Sendezeiten gibt es im Internet unter

www.eurovision.ndr.de

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