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Stadtleben: Familientreffen der MendelssohnsLektion in Geschichte

am Gendarmenmarkt

Die ganze Absurdität der nationalsozialistischen Rassegesetze sei ihm, dem 15-Jährigen, da mit einem Schlag bewusst geworden, sagt Fritz Kempner. Als er Berlin 1936 verlassen musste, sein Vetter Detlef Witt aber bleiben durfte. Und das nur, weil dessen Familie, die Mendelssohn-Bartholdys, sich schon seit Jahrzehnten taufen ließen; die Mendelssohns, von denen Kempner abstammte, aber nicht. Deswegen galt er als Jude.

Heute ist Fritz Kempner 86 Jahre alt, ein kleiner Mann mit Schnauzer. Er spricht in der Mendelssohn-Remise in der Jägerstraße am Gendarmenmarkt. Hier besaß seine Familie einst die größte Privatbank Berlins, und hier entwarf Martin Gropius einen Musiksaal, in dem auch Clara Schumann spielte. Kempner ist ein Enkel des letzten Bankchefs Franz von Mendelssohn. Wie bei einem Familientreffen sitzen mehr als ein Dutzend Verwandte um ihn herum. Ihr aller Stammvater ist der Philosoph Moses Mendelssohn, der Mitte des 18. Jahrhunderts in Berlin lebte und eine Dynastie von einflussreichen Bankiers und großartigen Musikern begründete.

Gut gelaunt und pointiert berichtet Kempner mit schnarrender Stimme aus seinen Jugendjahren. Wie er als Kind auf das Grunewald-Gymnasium in Wilmersdorf ging und der neue Schulleiter, ein Nazi, seinem Vater erklärte, er gehöre einer minderwertigen Rasse an. Heute lebt Kempner in Maine im Nordosten der USA. Er arbeitete dort als Deutschlehrer. Deshalb ist sein Deutsch akzentfrei geblieben. Im Krieg verhörte er für die US-Armee deutsche Gefangene. Fast wäre unter diesen auch sein Vetter Detlef gewesen, der für die Wehrmacht kämpfte. Sie verpassten sich um einen Tag. Die Mendelssohns verstreuten sich über die ganze Welt. Doch Berlin ist für sie ein Treffpunkt geblieben. lich

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