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© dpa

Flughafen Tempelhof: Lichtung und Wahrheit

Die Katakomben des Flughafens Tempelhof sind zehn Etagen tief. Zwei von ihnen sind geflutet. Ganz unten aber liegt ein Hangar voller Bomber, von dem aus ein unterirdischer Eisenbahntunnel direkt zu Hitlers Reichskanzlei führte. Das sind nur einige der Gerüchte, die sich um den Flugplatz ranken. Bei einer Führung sahen Tagesspiegel-Leser, welche Geheimnisse der Kolossalbau tatsächlich birgt.

Quatsch. Alles Legende. Was eben so erzählt wird über den vom Nazi-Architekten Ernst Sagebiel ab 1936 errichteten Gebäudekomplex. Thomas Merz weiß es besser. Der 59-Jährige, helles Kraushaar, Trekking-Weste, steht am Dienstag in einem unverputzten Treppenhaus ("Baustand ’43!") und klärt eine Gruppe Tagesspiegel-Leser auf: "Drei Kellergeschosse. Mehr ist nicht!" Keine Flugzeuge, keine Flutung. Merz war nach der Übernahme des Flughafens durch die Bundeswehr 1994 für die Radaranlage zuständig. Aber auch nach seiner Pensionierung lässt ihn Tempelhof nicht los. Die Führung mit ihm haben die 25 Teilnehmer bei einem Gewinnspiel zur 20.000. Ausgabe dieser Zeitung gewonnen. Der flott und flapsig berlinernde Merz macht die zweistündige Wanderung durch verlassene Air-Force-Sporthallen, auf Dächer und in Luftschutzbunker zu einer so kurzweiligen wie informativen Sache.

Fabelgeschichten sind durch "Stille Post"-Prinzip entstanden

Die wilden Geschichten seien nach dem "Stille Post"-Prinzip entstanden, sagt der ehemalige Hauptmann. Nach dem kriegsbedingten Baustopp 1943 und dem Alliierten-Sieg war das Gelände Militärgebiet. Kurz war die Rote Armee da, danach bis 1993 die US-Streitkräfte. 800 Soldaten wohnten auf dem Gelände. Herausdringende Informationen seien fragmentarisch und verzerrt gewesen.

Aber Merz’ wahre Geschichten sind beeindruckend genug. Schon die Zahlen: Mit 287.540 Quadratmetern Grundfläche ist der Bau das zweitgrößte Gebäude der Welt nach dem Pentagon. Er besteht aus 49 Gebäudeteilen, bietet Platz für 9400 Büros. Das Dach des 1,2 Kilometer langen, halbkreisförmigen Hauptgebäudes ist als Stehtribüne für 80.000 Menschen ausgelegt – die Nazis hatten auf dem Flugfeld Großveranstaltungen geplant.

Und dann ist da noch das "letzte Geheimnis" Tempelhofs: der Filmbunker der Wehrmacht, in dem tonnenweise Zelluloid verbrannte, als die Russen ihn 1945 zu öffnen versuchten – wohl ein Selbstzerstörungsmechanismus. Merz scherzt: "Wenn heute noch einer weiß, was auf diesen Filmen war, dann lebt er in Argentinien!" Bis zur Flughafenschließung Ende Oktober gibt er noch Führungen. Sie sind alle ausgebucht. 

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