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Mallet

© Steinert

Franzosen in Berlin: Adieu Tristesse

Immer mehr Franzosen wollen lieber an der Spree leben als an Seine, Loire oder Rhône. Warum eigentlich? Neu-Berliner erzählen.

„Ick gloob schon!“ Die 23jährige Französin Chloé Lourdel aus Lille berlinert authentisch. „Ick bin schon eine Berlinerin“, sagt sie. Die Studentin für „Internationale Beziehungen und kulturelle Kooperation“ ist sich sicher: „Meine Zukunft ist in Berlin“. Während die Berliner über die „Schönsten Franzosen aus New York“ staunen, erlebt die Stadt einen ganz gegensätzlichen Trend. Für viele Franzosen ist Berlin die schönste Stadt in Europa. Und immer mehr von ihnen kommen hierher, um für immer zu bleiben. 11 500 Franzosen leben derzeit in Berlin. Nach den Polen sind sie nach Angaben von Statistikern die Ausländergruppe, die am stärksten wächst. Kein anderes Bundesland erfreut sich beim westeuropäischen Nachbarn einer größeren Beliebtheit. Hamburg hat nur etwa 3500 französische Bürger, und selbst grenznahe Bundesländer wie das Saarland oder Baden-Württemberg kommen kaum auf so viele Franzosen wie Berlin.

Für frankophile Ur-Berliner scheint die Anziehungskraft ihrer Stadt ganz selbstverständlich und historisch gewachsen. Sie verweisen auf Hugenotten und Namen im Straßenbild wie Gendarmenmarkt oder Bellevue. Die Beziehung ist, wie sich in den letzten Jahren verstärkt zeigt, keine einseitige. Christoph Krapf, Geschäftsführer des „Chez Maurice“ – eines französischen Restaurants in Prenzlauer Berg – kann dies bestätigen. Zu großen Teilen besteht seine Kundschaft aus Franzosen. Nach Krapfs Erkenntnissen schätzen sie nicht nur die niedrigen Lebenshaltungskosten und das gute Wohnungsangebot. Vielmehr biete Berlin mehr Möglichkeiten als beispielsweise Paris. „Es ist nicht alles so festgefahren.“

Auch Régis Présent-Griot freut sich, dass er immer mehr Landsleute trifft. Der 37-Jährige gibt „La Gazette de Berlin“ heraus, deren 23 000 Exemplare alle zwei Wochen erscheint und zum größten Teil in Berlin verteilt wird. In den Redaktionsräumen in der Straßburger Straße in Prenzlauer Berg wurde kürzlich das einjährige Jubiläum gefeiert. Dass sich die beinahe komplett französischsprachige Zeitung mittlerweile als Organ der Frankophonen in Berlin und Deutschland etablierte, ist für Présent-Griot ein Zeichen für das gestiegene Interesse seiner Landsleute an der Stadt Berlin. Der aus Avignon stammende Zeitungsmacher, der auch schon in Paris und in Moskau gelebt hat, sieht dafür ganz unterschiedliche Gründe. „Hier hat man die Vorteile von Provinz und Großstadt.“ In Berlin gebe es viele kleine Dörfer. Sein Dorf sei Prenzlauer Berg. Hier zog er hin, als er 1992 zwei Semester an der Freien Universität (FU) studiert hat. Er kann sich noch erinnern, wie er damals über den unbebauten Potsdamer Platz laufen musste, weil die U 2 noch unterbrochen war. Eben das Historische, das trotz aller raschen Veränderung weiter sichtbar ist, mache Berlin so faszinierend. „Berlin ist ein Geschichtsbuch des 20. Jahrhunderts. Alles passiert irgendwie hier.“

Die Geschichte Berlins fasziniert auch Angèle Mallet. Die 23-Jährige aus Lille, die Kulturmanagement studiert und als Praktikantin beim franzöischen Kulturinstitut Maison de France ist, wohnt seit mehreren Monaten in Berlin. Schon ihr Vater lebte hier – allerdings als Soldat. Als 18-Jähriger absolvierte er seinen Militärdienst 1972 im französischen Sektor West-Berlins und fand viele Freunde hier. Mittlerweile ist er Deutschlehrer in Lille. Von Berlin habe ihr Vater immer viel erzählt, sagt Angèle. So kam es auch, dass sie sich noch genau an den Mauerfall erinnern kann, obwohl sie 1989 gerade mal fünf Jahre alt war: „Ich weiß noch ganz genau, wie mein Vater vor Freude geschrieen hat.“ Seine Begeisterung muss die Tochter geprägt haben, denn für Angèle Mallet ist Berlin die attraktivste Hauptstadt Europas. Paris, mit dem sie Berlin stets vergleich, sei enger, stressiger, dreckiger und weniger grün. „Es fällt einem nicht schwer als Französin in Berlin zu leben. Es gibt bereits viele Landsleute, die hier leben und die man leicht trifft.“ Zeitungsmann Présnet-Griot kennt Franzosen, die Deutsch nur pauken, um Berlin kennenzulernen.“ Dabei sei der Entschluss, in Berlin zu leben, bei den meisten Franzosen kein wirtschaftlicher. „Die Leute kommen nicht hierher, um zu arbeiten – hier gibt es keine Arbeit.“ Berlin sei gleichbedeutend mit einer Lebenshaltung: „Sie haben keine Lust auf etwas anderes.“ Die Franzosen registrierten in Berlin eine ganz bestimmte Stimmung, die in Europa immer seltener zu spüren sei. „Die Berliner sind neugierig. In Paris hat man lange alles gehabt und daher kein besonderes Interesse.“ Die Stadt selbst empfindet er irgendwie wie eine Insel. „Du bist hier und du kommst nicht mehr weg“, wie es Aurélien Bonnethin formuliert. Der 26-Jährige aus Lyon ist seit zwei Jahren in Berlin und studiert Literatur an der FU. Außer einer gewissen Aggressivität und Unfreundlichkeit der Berliner störe ihn nur eines: Das Gefühl, dass in ihm etwas zerbricht, wenn er die Stadt mal verlässt.

Sebastian Rothe

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