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Laggner

© Uwe Steinert

Gastronomie: Der schöne Rausch

Josef Laggner hat es geschafft: vom Kellner zum Millionär. Er ist Deutschlands spektakulärster Restaurantunternehmer. Jetzt landet er in Berlin seinen größten Coup.

Das große Glückskind ist ein baumlanger Kerl. Einer, der auch in Räumen mit vielen Menschen den Überblick behält. Und er liebt prallvolle, festliche Räume, selbst wenn er dort lieber nicht im Zentrum steht. Er stellt gerne andere ins Licht. In sein Licht. Und das Zentrum, die Mitte der Mitte Berlins, hofft der Gastwirt Josef Laggner in dieser Woche auf seine Weise zu erobern.

Die Sterne stehen gut in diesen Frühsommernächten, und der Ort hat es in sich. Vom Weinlokal „Lutter & Wegner“ am Berliner Gendarmenmarkt, Josef Laggners „Stammhaus“, von dem aus der gebürtige Österreicher ein erstaunliches Restaurant-Imperium regiert, gehen wir vorbei am „Café Möhring“, das ihm seit kurzem auch gehört und das Laggner demnächst „in etwas ganz anderes“ verwandeln will. Noch ein paar Schritte, dann lockt an der Ecke Charlottenstraße/Behrenstraße in einem mächtigen wilhelminischen Bau die neue „Gendarmerie“. Das, sagt der ein Meter neunzig große Wirt und Wirtschaftsboss mit jenem charmanten Unterton des Alpenländers, in dem sich sanfteste Seligkeit und stählerne Geschäftigkeit untrennbar mischen, das „soll die Krönung meiner bescheidenen Karriere werden: ein Hauptstadtrestaurant, wie man es sonst in Paris oder London findet“.

Konkurrenz zum "Borchardt"

Das „Borchardt“ in der näheren Nachbarschaft, das Laggner namentlich nie erwähnt (er spricht allenfalls von „Mitbewerbern“), soll nun als gastronomischer Salon der neoberlinalen Republik gehörige Konkurrenz bekommen. Hier, im Erdgeschoss einer ehemaligen Gründerzeitbank, die später zum Sitz des Reichswirtschaftsministeriums wurde, öffnet sich unterm neonblau leuchtenden Signet „Gendarmerie“ für das Publikum ab diesem Montagabend ein enormer Hallenraum: knapp acht Meter hoch und 400 Quadratmeter mit Bar und Restaurant für rund 250 Gäste. Doch der große Blickfang ist ein in 13 Segmenten montierter malerischer Wandfries aus Lärchenholz, entworfen von dem aus Kanada stammenden Berliner Künstler Jean-Yves Klein.

Dieses sieben Tonnen schwere, 14 mal fünf Meter messende farbige Holzrelief ist eine variantenreiche Hommage an Diego Velazquez’ vor fast 400 Jahren gemalten „Triumph des Bacchus“: mit dionysischen Trinkern und einem sehr menschlichen Weingott, dem Klein noch einige Musen, Nymphen und erotisch-alkoholische Freuden hinzugesellt hat. Während das Riesenwerk nach der Montage vergangene Woche noch mit dem Staubsauger gereinigt wird, erzählt uns Jean-Yves Klein, dass er an dem massiven Holz nicht nur mit Farbe und Pinsel, sondern mit der Kettensäge und Äxten gearbeitet habe: „Je härter ich im Detail herangegangen bin, desto feiner und anmutiger wurde dann die Gesamtansicht.“

Dieses Bild des großen Rauschs, des dionysischen Festtheaters, so barock wie modern, so monumental zupackend wie zugleich empfindsam verspielt – das passt ziemlich gut zu seinem Auftraggeber. Zu dem 42-jährigen Josef Laggner, der es als Bauerndorfbub aus dem Salzburgischen vom Kellner in Berlin in wenigen Jahren zu Deutschlands mittlerweile spektakulärstem Restaurant-Unternehmer gebracht hat. Dem „Laggner Joe“, wie ihn manche Freunde oder Konkurrenten nennen, ihm gehören, neben dem „Lutter & Wegner“ mit seinen Dependancen, am Gendarmenmarkt auch die von New York bis Tokio angesagte „Newton Bar“, am Potsdamer Platz der „Kaisersaal“ und das Weinhaus Huth, am Grunewalder Schlachtensee die riesige „Fischerhütte“, in Charlottenburg die „Vienna Bar“, der „Internationale Club“ im Auswärtigen Amt oder neuerdings das Potsdamer Krongut Bornstedt; und im Stil des Stammhauses „Lutter & Wegner“ ankern Laggners Flaggschiffe längst auch an der Ostsee oder im Münchner Künstlerhaus.

"Ich bin ja ein Dienstleister, nichts weiter."

Kneipe und Künstlerhaus, das ist ohnehin Laggners Lieblingskombination. Die 35 bis 40 Millionen Jahresumsatz, seine gut 20 GmbHs (für jedes Lokal, den Weinhandel, das Catering gründet er zur Risikoverteilung eine eigene Gesellschaft), seine 600 Mitarbeiter, die Villa im Westend und der silberne Bentley mit Fahrer, das alles ist ihm schon wichtig. „Aber das Wichtigste“, sagt er, „ sind zufriedene Gäste, denen ich mit etwas Lebensfreude dienen kann. Ich bin ja ein Dienstleister, nichts weiter.“ In einer Gesellschaft, in der „das Dienen überhaupt nicht populär ist“. Aufgewachsen in Bad Gastein, im „Zuhäusl“ eines Bauernhofs, der Vater Metzger, die Mutter „Stubenmädchen“, hat er schon als Kind beim Kellnern auf der Skialmhütte ausgeholfen. „Mein erstes Taschengeld!“

Mit 14 beginnt er eine Kellnerlehre, arbeitet dann im Winter in Skihotels in Zürs am Arlberg und im Sommer im heimischen Bad Gastein. „Doch mit 17 wollte ich raus in die Welt. Ich war immer schon ein unruhiger Geist. Und um rauszukommen gab’s nur Koch oder Kellner.“ Warum ist er kein Koch geworden? „Ich bin lieber vorne bei den Menschen, bei den Gästen. Außerdem war mir die Küche zu heiß!“ Da muss Laggner lachen, über sich – und die neuen Zeiten. Als wir in seiner neuen „Gendarmerie“ durch die noch unbenutzte, chromblitzende Küche gehen, zeigt er auf ein überraschendes Detail: Heizkörper an der Wand. „Die modernen Induktionsherde ziehen die ganze Hitze ab, jetzt müssen wir erstmals in der Gastronomiegeschichte die Küche heizen.“

Ziemlich kalt ist es auch, als wir nun hinabsteigen in einen tieferen Gewölberaum, der rundum hell gekachelt ist und, von Granitsäulen getragen, halb einer Krypta, halb einem Badehaus gleicht. Es ist der frühere Tresorraum der wilhelminischen Bank, gut erhalten, nur die Risse der Säulen hat die deutschstämmige New Yorker Stararchitektin Annabelle Selldorf, die auch das Innendesign der übrigen „Gendarmerie“ entworfen hat, mit geschlängelten Blattsilberimplantaten aufgefüllt. Ein suggestiver Raum, in dem Laggner als nächsten Streich in seinem neuen Quartier ab September eine „Austernbank“ für jeweils „150 bis 180 Gäste“ eröffnen will. Das alles sind Millioneninvestitionen, und allein die „Gendarmerie“ erfordert 80 neue Mitarbeiter.

Laggner spürt keine Krise in Berlin

Gehen die Geschäfte so gut, mitten in der Wirtschaftskrise? Laggner schüttelt den schweren Kopf mit seinem leichten Lächeln: „Ich spüre bei mir in Berlin keine Krise. In München, wo die großen Dax-Firmen sitzen, da wird gespart, da habe ich in bester Lage 20 Prozent Einbußen. In Berlin lief nur der letzte November schwach, der Dezember war besser als im Vorjahr, und im ersten Quartal 2009 sehe ich eine sehr gute Tendenz. Berlin hat ja nur Kultur, Gastronomie, Tourismus!“

Wir sitzen jetzt beim mittäglichen Spargel unter den Sonnenschirmen vorm „Lutter & Wegner“ am Gendarmenmarkt. Weil er keine Greencard für Amerika bekam, ist der Landjunge aus Gastein mit kaum 19 Jahren 1985 nach Berlin gegangen – wie viele Österreicher, nicht nur der legendäre Autor und „Exil“-Kneipier Oswald Wiener. Acht Jahre hat er dann im heute verblichenen „Fofi’s“ in der Fasanenstraße gekellnert, einem Griechen der alten Westberliner Szene mit vielen Kunstwerken an der Wand, dann hatte er „30 000 Mark beisammen“, und hat mit dem Koch vom „Fofi’s“ 1995 das kleine „Lutter & Wegner“ in der Charlottenburger Schlüterstraße günstig übernommen.

Kurz darauf hört er von einer Chance am damals gerade erst aus postsozialistischer Tristesse erwachenden Gendarmenmarkt. Laggner verkauft seinen Westberliner Anteil und richtet, mit kühnen Krediten, für zwei Millionen Mark die bis heute erfolgreiche Mischung aus Weinkontor, Bar und gehobenem Wiener-Schnitzel-Restaurant ein: sein erstes eigenes „Lutter & Wegner“, nicht an originaler (zerstörter) Stätte des schon im 19. Jahrhundert berühmten Weinlokals, in dem sich der Dichter E. T. A. Hoffmann und der berühmte Hofschauspieler Devrient einst um die Leber tranken.

Hoffmann wohnte jedoch im Nebenhaus von Laggners heutigem Reich – das der Großunternehmer per dauerklingelndem Handy und noch lieber im direkten Gespräch bei Wein und Zigarre, nur nicht vom Büro über dem Gastraum regiert. Auch dieser Raum ist längst eine lebende Ausstellung. Am Bartresen steht einer der witzig dozierenden Affen von Jörg Immendorff, dessen Brüder als Skulpturenreigen gerade den Lichthof des Martin-Gropius-Baus bei der Berliner Schau „60 Jahre Bundesrepublik“ bevölkern. Über der Bar fünf „Weingeister“ des Bildhauers Dieter Finke, an den Säulen sorgen Elvira Bach, Rainer Fetting und Salomé für den Zyklus „Wein, Weib, Gesang“, neben dem Tresen ein Bild von Reinhard Stangl, der für Laggner gerade die „Vienna Bar“ ausgemalt hat, und neben Lüpertz und Luciano Castelli ist auch hier Jean-Yves Klein vertreten.

Interesse an Kunst und Künstlern

„Gastronomie“, sagt der Kneipentycoon und auf seine Weise Kneipenweise, „Gastronomie ist Sehen und Gesehenwerden. Ein Theater. Alleine besaufen kann ich mich auch zu Hause.“ Laggner hockt nicht gern zu Hause, und außer der Gastronomie und seiner unerschöpflichen Fantasie für immer neue, reizvolle „Läden“ interessieren ihn neben Frau und Kind „eigentlich nur Kunst und Künstler“. Mit ihnen möchte er befreundet sein, „weil sie etwas können, was ich nicht kann.“ Kannte er beispielsweise Helmut Newton? „Oh ja, am Ende, vor seinem viel zu frühen Tod waren wir auch auf Du.“

Mit einigem Stolz zeigt er von seinem Stammhaus über die Straße hinweg zur „Newton Bar“, die mit Newtons schönen Nackten dekoriert ist. Der Fotograf habe ihn einmal gefragt, ob die Bar wirklich nach ihm benannt worden sei. Laggner grinst: „Ich habe ihm gesagt, es gibt den Physiker Newton, die Newton Brothers, das waren Bankräuber, und dich – da kannst du dir einen aussuchen.“ Kurz darauf habe ihm Helmut Newton eine signierte Fotografie geschickt, mit der Widmung „Dein Bankräuber“.

Früher hatten Künstler wie der junge Picasso in Pariser Cafés gelegentlich statt mit Geld mit einem Bild bezahlt. Geht das auch bei Joe Laggner? „Nein, ich hab’s lieber, wenn ich meine Künstler bezahle und sie dann ihr Geld bei mir ausgeben! Wenn sie wollen …“

Er sammelt auch selber, dabei berät ihn unter anderem Jean-Yves Klein. Als Laggner, erzählt Klein, letzte Woche erstmals sein bestelltes bacchantisches Riesengemälde an der Wand der „Gendarmerie“ sah, habe er sofort zwei große Kronleuchter, die ihm zu sehr im Bild hingen, abnehmen lassen. Ohne seine New Yorker Stararchitektin zu fragen. „Der Josef entscheidet sowas spontan“, erzählt Klein, „aus seinem Bauchgefühl, und das trügt ihn fast nie.“

Laggner trägt tagsüber gerne Jeans, ein kariertes offenes Hemd, handgenähte Schuhe und eine eher österreichisch-alpine Joppe. Vor dem Bauch aber blitzt eine silberne Gürtelschnalle. Auf unsere neugierige Frage klickt er sie ab und legt sie auf den Tisch. Die exotische Gravur zeigt ein Wappen aus Echse, Schildkröte, Frosch. Man könnte auch sagen: eine fernöstliche Speisekarte. Da sagt Laggner lachend, kennen Sie den Paradies-Witz? „Wenn Adam und Eva Chinesen gewesen wären, was hätten Sie damals gegessen? Na, die Schlange!“ So wäre die Weltgeschichte völlig anders verlaufen. Josef Laggner hakt sich lachend wieder die Silberschnalle ein, und für den Moment ist zumindest seine Welt ganz in Ordnung.

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