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Malvika Tegta über das indische Essen in Berlin.

© Privat

Geschichte: Indisches Essen in Berlin

Ist von Indien die Rede, dann denken die Berliner als erstes ans Essen. Und das ist keine Übertreibung. Doch es gibt mehr als Bhatura und Chicken Tikka. Unsere indische Stipendiatin Malvika Tegta über die Geschichte der indischen Küche in der Hauptstadt.

Bei indischem Essen kommen den meisten sofort Bhatura und Chicken Tikka in den Sinn. Und das nicht umsonst. Die "Ballonbrote" und zischende Fleischplatten finden sich bei den meisten Bestellungen in indischen Restaurants. Seit den bescheidenen Anfängen vor 43 Jahren, hat sich die indische Restaurantlandschaft in Berlin stark verändert. Zunächst still und unauffällig verbreitete sie sich langsam aber kontinuierlich weiter bis sie zum festen Bestandteil der Berliner Esskultur wurde. Von Familienrezepten zu glänzenden Erfolgsgeschichten; von Taj Mahals und Sitar-Solos bis zu Buddhas und Bollywood-Rhythmen.

Westside Story

Es waren die Briten, die die indische Esskultur nach Berlin brachten. Die Engländer, die auf der Jagd nach Gewürzen manch ein Schiff in See stechen ließen, waren in den Jahren vor 1989 in Westberlin die ersten Kunden für indische Spezialitäten. Das erste Restaurant, das vor 43 Jahren für diese Truppen seine Türen öffnete, war das Calcutta, dessen Inhaber Mr. Taneja zum Wiederaufstocken seiner Vorräte an indischen Zutaten nach London fahren musste. Wenige Jahre später öffnete das nur etwa anderthalb Kilometer entfernte Ashoka. "1989 gab es bereits etwa 6 Restaurants und an die 20 indische Bistros, die sich hauptsächlich in Gegenden wie Wilmersdorf, Charlottenburg und Steglitz befanden", berichtet Ashok Kachroo, der Ende der 60er Jahre als Ingenieur nach Deutschland gekommen war, wo er letztendlich das Calcutta seinem ursprünglichen Besitzer abkaufte. Zu der Zeit scheuten sich die Kunden nicht, eine 30 Km lange Fahrt auf sich zu nehmen, um in diesem traditionellen Lokal zu speisen.

Da die Zutaten schwierig zu bekommen, musste improvisiert werden. So wurde zum Beispiel weißes Mehl mit braunem Mehl vermischt, um so trotz Mangels indische Fladenbrote herstellen zu können. In Deutschland gab es nur einen einzigen Lieferanten für indische Zutaten, der sich in Darmstadt befand und seine Lieferungen aus Indien und England bezog. Ein teures Vergnügen. "Er kam ein- oder zweimal im Monat nach Berlin", berichtet Mubarak Ahmad, Eigentümer von Chaudhry Food Traders (CFT), der vor 16 Jahren seinen indischen Großhandel gründete und heute 90 Prozent der indischen Restaurants in Berlin beliefert. Viele Sikh.Familien kamen Anfang der 80er Jahre nach Berlin und eröffneten Restaurants in West-Berlin.

Nach der Mauer

Und dann fiel die Mauer. Auf der Suche nach billigen Mieten zog es Studenten und Künstler in den Osten der Stadt. Prenzlauer Berg wurde der neue Kultbezirk. Die Zugezogenen brauchten preiswertes und nahrhaftes Essen, und die wie Pilze aus dem Boden geschossenen Imbissstuben wurden ihren Bedürfnissen gerecht. Angekurbelt wurde dieser Boom durch die drastisch reduzierten Kosten für indische Zutaten, die nun von CFT direkt aus Indien importiert wurden. "In den Jahren zwischen 1995 und 2006 kam es täglich zur Neueröffnung von drei oder vier indischen Restaurants", berichtet Ahmad. "Als wir 1984 in dieses Geschäft einstiegen, gab es lediglich 30-35 Restaurants, meist mittlerer Größe und etwa 70 Take-aways. Heute ist die Liste auf insgesamt 251 angewachsen." Das Geschehen verlagerte sich schnell in Richtung Osten, wo Studenten und Touristen den Ton angaben.

Es waren jedoch die Brüder Bitu und Bunty Bans, Inhaber der Restaurantkette Mirchi, die mit ihrem ersten Lokal Amrit vor 15 Jahren in der Oranienstraße der Branche zu neuem Aufschwung und der indischen Restaurantszene zu einem Facelift verhalfen. "Vor unserem Auftauchen bot jedes indische Restaurant die gleichen konservativen kulinarischen Erlebnisse. Wir schenkten den indischen Restaurants einen völlig neuen Look," erzählt Bitu Bans, der damals regelmäßig nach Bali flog, um von dort Tempelteile und die großen Buddha-Figuren nach Berlin zu holen, die für die Restaurants der Brüder kennzeichnend sind. "Nach dem Erfolg von Amrit kam es zu einer wahren Woge von Neueröffnungen. Jeder musste sich einfach modernisieren, wenn er überleben wollte", berichtet Ahmad.

Der Chef regiert

Während sich der Umsatz vervielfachte und die Zahl der Restaurants zunahm, kamen auch immer mehr Inder nach Berlin, vor allem aus Nordindien, um hier als Chefs zu arbeiten – einige mit 5-Sterne-Pedigree, andere aus unbekannten Restaurants der indischen Kleinstadtszene. Fast fünfundachtzig Prozent der Köche von damals sind heute Eigentümer ihrer eigenen Lokale - kleiner wie großer. Diese Menschen führen ein bescheidenes Leben – teilen sich die Wohnung mit anderen und essen in dem Restaurant, in dem sie arbeiten. "Jeder der Köche, die einmal für mich arbeiteten, hat sich in Indien irgendeine Immobilie gekauft", berichtet Kachroo. "Viele haben eine Deutsche geheiratet, damit sie hier bleiben und ihr eigenes Lokal eröffnen konnten", erzählt Bhushan, Inhaber des Punjab Restaurants in der Knaackstraße, Prenzlauer Berg, der vor mehr als zwei Jahrzehnten als Koch nach Deutschland kam.

Gute indische Köche wurden schnell zu heiß begehrten Objekten der expandierenden kulinarischen Landschaft. "Wenn ich einen guten Chef suche, dann miete ich in Delhi ein Appartement und lasse die Bewerber traditionelle wie auch moderne Gerichte kochen," erzählt Bitu Bans. Ahmed berichtet, dass er vor vier Jahren sogar ein Büro in Delhi eröffnete, wo sich ambitionierte Köche, die nach Berlin gehen wollen, registrieren lassen können. „Zwei bis drei Köche kommen jeden Monat nach Berlin,” berichtet er. "Die Restaurantinhaber scheuen auch keine Mühe, wenn es darum geht, einen guten Koch zu behalten. Sie helfen ihnen, sich hier anzupassen und einzuleben, damit sie nicht nach kurzer Zeit wieder abreisen", fügt er hinzu.

Fusionsküche

Trotz der etwa 40-jährigen Geschichte der indischen Esskultur in Berlin hat sich an der Speisekarte kaum etwas geändert. Dabei würde ein Buch vom Umfang einer Bibel nicht ausreichen würde, Indiens unglaubliche kulinarische Vielfalt zu dokumentieren - Andhra, Tamil, Malayali, Bengali, Gujarati, Maharashtrian, Rajasthani, die Liste ist endlos. Auf jeder Speisekarte aber sind die gleichen Namen zu finden - Chicken Jalfrezi, Tikka, Tandoori und es gibt kaum Restaurants mit authentischen regionalspezifischen Landesgerichten. Sogar Restaurants, die von Leuten aus Ländern mit alten kulinarischen Traditionen betrieben werden, passen sich den Berliner Geschmackswünschen an.

Ajanta in der Grohlmann Straße in Charlottenburg, das von dem aus Sri Lanka stammendem Thyagaraja Bhaskar betrieben wird, hat sich vor kurzem auf indische Gerichte umgestellt. Dafür ist er selbst bei einem indischen Koch in die Lehre gegangen. Auch Surya Kanthi in Prenzlauer Berg, das eigentlich ein Sri Lanka Restaurant ist, bietet indisches Mutton Saag und Biryani an. "Die indische Küche ist einfach viel zu populär, weshalb wir sie in unsere Speisekarte aufgenommen haben." Kachroo ist der Ansicht, dass die Berliner zwar Neuem gegenüber aufgeschlossen seien, dem aber, was ihnen vertraut ist, auch gern treu bleiben. "Deutsche experimentieren nicht gern mit ihrem Essen," meint er. Das kann sein, oder indische Restaurants gehen gerne auf Nummer sicher. Doch es gibt auch vielgereiste Berliner, die verzweifelt auf der Suche nach authentischer indischer Küche sind. So blüht das Geschäft mit indischen Restaurants und der Markt ist noch nicht gesättigt.

Malvika Tegta

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