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© Doris Spiekermann-Klaas

Geteilter Arbeitsplatz: Bürochen wechsel dich

Car-Sharing war gestern – jetzt teilen sich die Leute auch den Arbeitsplatz. Beim Hallenprojekt können sich Freiberufler ihren Schreibtisch jeden Tag aufs Neue aussuchen.

Es gibt Leute, die nehmen morgens ihren Laptop oder ein paar Unterlagen mit ins Café, um schon einmal ein paar Dinge zu erledigen, während sie zum Frühstücks-Croissant den ersten Cappuccino trinken. Danach gehen sie ins Büro. Es gibt aber auch Leute, die bringen ihren Laptop und ein paar Unterlagen mit – und bleiben im Café. Sie arbeiten da. Sebastian Sooth ist so einer. 30 Jahre alt, Freiberufler. Seit über zehn Jahren organisiert er Veranstaltungen und konzipiert Buchprojekte oder Internetauftritte. Was ihm im Café allerdings fehlt: Drucker, Scanner, andere Ausstattung. Und oft auch: Kollegen, jemand zum Reden für zwischendurch.

Gemeinsam mit zwei Freunden hat Sooth ein Projekt gegründet, das das Arbeiten in der Öffentlichkeit jetzt erleichtern soll. Programmierern, Webdesignern und Werbern bieten sie flexible Arbeitsplätze in so genannten „Hallen“. Das können Cafés sein, Fabriketagen oder selten genutzte Ausstellungsräume. Auf Sooths Webseite hallenprojekt.de sind die Orte vermerkt. Da steht auch, ob es einen Drucker gibt oder ob gerade noch ein Schreibtisch frei ist. Man kann feststellen, wer sich dort schon befindet – und sich seine Kollegen für den jeweiligen Tag so aussuchen. Etliche Berliner Cafés und Büroetagen sind schon eingetragen, auch einige in Hamburg, München, Essen und sogar im dänischen Kopenhagen. Sooth stellt sich das alles vor wie ein Car-Sharing für Arbeitsplätze. So wie mehrere Leute dasselbe Auto nutzen, können sich Freiberufler auch denselben Schreibtisch teilen. Der eine arbeitet am liebsten von acht bis 12 Uhr, der andere steht dagegen erst nachmittags um drei Uhr auf. Das Modell ist auf einer Konferenz von Bloggern, Schriftstellern und Internetintellektuellen entstanden, bei der es um neue Arbeitsformen ging. Weil die Unruhe der Cafés die Konzentration nicht immer fördert, will Sooth mit seinen Kompagnons besonders das Angebot an ruhigeren Büroflächen ausbauen. Es gibt schon eine Fabriketage in Friedrichshain und ein Erdgeschoss in Neukölln am Kottbusser Damm, das „Studio 70“. In der vergangenen Woche haben in den Obergeschossen der meistgenutzten „Halle“, dem Café St. Oberholz in Mitte, zwei Gästewohnungen aufgemacht, die tageweise von Gruppen gemietet werden können – inklusive Salon und Bibliothek. Nutzer des Neuköllner „Studio 70“ zahlen monatlich etwa 150 Euro für das Recht, sich an einen der freien Schreibtische in den Büro-„Hallen“ zu setzen. Ein einziger Tag kostet zehn Euro, als Gast vorbeischauen ist gratis.

Bei einem anderen Projekt im Elisabeth-Hof in Kreuzberg gibt es klar gestaffelte Tarife. Die Betreiber von „Selfhub“ vermieten Schreibtischzeit je nach Bedarf – in Berlin allerdings nur an einem einzigen Ort. Wer mit den „unternehmerischen Werten“ der „Selfhub“-Community übereinstimme, könne stundenweise einen Platz pachten, sagt Jens Hildebrandt, einer der Organisatoren.

Los geht es bei 11 Euro netto für fünf Stunden, vier komplette Wochen kosten die Kollegen 300 Euro. Gekündigt werden kann monatlich. Auf den 700 Quadratmetern arbeiten Teilzeit-Mieter neben Firmen, die den fairen Handel mit Baumwolle fördern oder sich für Nachhaltiges einsetzen. Mal seien 20 Leute da, mal 100, sagt Hildebrandt, der gerade einen Business-Plan für einen Generationen-Spielplatz entwirft. Im Betahaus am Kreuzberger Moritzplatz gibt es seit einigen Monaten auch flexible Arbeitsplätze. Ein Tagesticket kostet 12 Euro, ein fester Schreibtisch pro Monat 229 Euro.

Beim Hallenprojekt hoffen sie, dass die Zahl der Orte zügig weiter wächst. Besonders, wenn man häufig in der Stadt unterwegs ist, findet Sooth, können die Arbeitsplätze in den „Hallen“ praktisch sein. Man muss beispielsweise nach einem Treffen mit Geschäftspartnern nicht zurück ins Büro fahren, sondern kann sich einen Platz in der Nähe aussuchen. Sooth selbst geht zurzeit manchmal zu einer Bekannten. Die hat neben ihrem Schreibtisch zuhause einen kleinen Tisch stehen, an den er sich mit seinem Laptop setzen kann. Sie kümmert sich um den Verwaltungskram einer Online-Community, während er schon erste Mails für eine Konferenz Ende September verschickt. Thema unter anderem: Co-Working.

Johannes Gernert

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