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Stadtleben: Häcksel statt Hafer

Einmal Paris und zurück: Eine Biografie über den Eisernen Gustav

Mehr als fünf Monate, vom 2. April bis 12. September 1928, währte die legendäre Fahrt des Wannseer Droschkenkutschers Gustav Hartmann, genannt „Der Eiserne Gustav“, nach Paris und zurück. Über die Motive des kauzigen Fuhrunternehmers ist manches geschrieben worden, als Deutungen werden Abenteuerlust, Aufbegehren gegen das Aussterben eines Berufsstandes, Geschäftssinn angeboten, schließlich auch der Wille, gemeinsam mit Grasmus, dem treuen Fuchswallach, einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten. Wahrscheinlich war es von jedem etwas, aber darüber werden sich die Hunderttausende, die dem Kutscher auf seiner anachronistischen, dem temposüchtigen Zeitgeist entgegengesetzten Reise zujubelten, kaum Gedanken gemacht haben.

Gustav Hartmann war ein Berliner Original, vergleichbar mit dem Hauptmann von Köpenick oder auch Heinrich Zille, und die Idee, zum 80-jährigen Jubiläum der Parisfahrt seiner mit einem Buch zu gedenken, ist zunächst sehr lobenswert. Gunnar Müller-Waldeck, emeritierter Germanistikprofessor, hat sie allerdings in einer Weise umgesetzt, die beim Leser eine unerschütterliche Geduld voraussetzt, die mit der Gustavs hoch oben auf dem Kutschbock vergleichbar ist.

Gewöhnungsbedürftig sind schon die meist in schwerem Berlinerisch daherkommenden Sprüche des Eisernen. Offenbar sind sie Hans H. Theobald, dem journalistischen Reisegefährten, zu verdanken, obwohl Müller-Waldeck betont, Gustav dürfte als gebürtiger Magdeburger kaum berlinert haben. Ebenso überraschend ist die Struktur des Buches, in dem, wenn man so will, Hafer mit zu viel Häcksel eine schwer verdauliche Mischung bilden. So gehören das Studium zeitgenössischer Berichte oder Gespräche mit Nachfahren zum Handwerk jedes Biografen, der sie auswertet, aufs Wesentliche zusammenstreicht – ein Arbeitsschritt, den der Autor weit weniger wichtig nahm als die Überlegung, wen er denn sonst noch interviewen könnte, etwa die Initiatoren des Denkmals an der Potsdamer Brücke in Tiergarten oder einen heutigen Bewunderer Gustavs, der dessen Tour noch einmal machen will.

Mit solchem Blickwinkel ist natürlich der Unwillen, den Hans Falladas Gustav-Roman bei der Kutscher-Familie auslöste, weit interessanter und mehr Raum wert als der Ärger, den dieser 1938 mit Joseph Goebbels bekam. Der gipfelte, als Fallada sich der Forderung nach Umschreiben des Manuskripts und Erweiterung der Handlung aus der Weimarer Zeit in die nach der „Machtergreifung“ zunächst widersetzte, in der Drohung: „Wenn Fallada heute noch nicht weiß, wie er zur Partei steht, so weiß die Partei, wie sie zu Fallada steht.“ Andreas Conrad

— Gunnar Müller- Waldeck: Der Eiserne Gustav. Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann. Das neue Berlin, Berlin. 272 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 14,90 Euro.

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