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Interview mit Rainald Grebe: "Da stehe ich als Mann wie ein Arsch da"

Er dreht gerne am Globus. So landete Rainald Grebe samt Freundin in Afrika. Die erste Giraffe fand er ganz gut – aber dann spielte er doch lieber Puppentheater. Bald ist er auf der Waldbühne zu sehen.

Herr Grebe, Sie als Neu-Pankower sind bestimmt froh, wenn der Flughafen Tegel endlich geschlossen wird?

Das ist mir egal. In dem Teil Pankows, wo ich wohne, hört man den Lärm der Flugzeuge kaum. Dass ich hier gelandet bin, war Zufall. Ich habe eigentlich eine Wohnung in Mitte oder Prenzlauer Berg gesucht, aber die waren mir zu teuer. Die wollten zum Teil Kasinopreise für Dreckswohnungen. Ich zahle doch nicht 1500 kalt für eine Dreizimmerwohnung.

Hier in Pankow, im grünen Garten der Wirtschaft „Majakowski“ ist es fast wie im Urlaub: Wenn nicht gerade ein Flugzeug über uns hinwegdüst, zwitschern die Vögel.

Natürlich. Das ist die Siedlung, wo die Bonzen gewohnt haben. Wir sitzen übrigens vor dem ehemaligen Gästehaus der DDR. Aber dort, wo ich wohne, ist es nicht so prickelnd wie hier im noblen Teil Pankows mit den großen Bürgerhäusern. Bei mir gehen gleich die Platten los. Außerdem gibt es kaum Kneipen, in die man sich mal so richtig schön setzen kann. Mal ehrlich: Pankow ist eine gastronomische Wüste. Nach der Bornholmer Straße hört es schlagartig auf.

Lassen Sie uns übers Fernweh reden. Ihre letzte große Reise führte Sie nach Tansania, wie man Ihrem aktuellen Werk entnehmen kann. Wie kam es dazu?

Ich hab’ mit meiner Freundin am Globus gedreht. Wir waren schon in Indien, aber nur mit den Fingern. Sie wollte unbedingt nach Afrika. Nach Mali. Ich googelte also „Mali“ – und heraus kam, dass es im April dort 50 Grad wird. Das ist mir echt zu heiß. Irgendwie kamen wir dann auf Tansania. Ich wollte eine richtig anstrengende Reise machen.

Schenken Sie den Reisewarnungen des Auswärtigen Amts Beachtung?

Den Reisetipps von Onkel Guido? Dann kann man ja gleich zu Hause bleiben. Es gibt kaum einen Ort, an dem sich die Al Qaida nicht sammelt – und eigentlich keine Innenstadt, die man nach 17 Uhr noch betreten sollte.

Wie haben Sie sich sonst vorbereitet?

Gar nicht. Mein Prinzip war immer: Man kommt irgendwo hin, latscht los und guckt, wen man trifft.

Goethe glaubte: „Man sieht nur, was man weiß.“

Na gut, ich habe ein bisschen weiter im Internet recherchiert, weil ich wissen wollte, was während der Regenzeit in Tansania so los ist. Da stand nur: Alle Hotels machen dicht, und wegen der vielen Überschwemmungen kommt man kaum vorwärts. Das stimmte nicht, es war beileibe nicht so, dass alles weggeschwommen ist. Und wenn man Leute fragt, bekommt man oft erstaunliche Antworten. Da war zum Beispiel dieser Schweizer, der in der Malariaforschung arbeitete und der uns schon im Flugzeug warnte: „Seid ihr wahnsinnig? Regenzeit ist Hochsaison! Das letzte Mal bin ich aus dem Hotel in Daressalam und hatte sofort 300 Stiche.“

Um die Spannung nicht ins Unermessliche zu steigern: Ist Ihnen denn etwas Schlimmes passiert?

Nee! Es gab Mückenstiche, es gab komische Tiere im Siphon, Gottesanbeterinnen flogen auf mich. Das Übliche. Nach ein paar Tagen hatte ich mich auch an die schwüle Hitze gewöhnt. Die vertrag ich normalerweise nicht so gut, ebenso wenig wie das dauernde Angelabertwerden auf der Straße – und das Feilschen. Ich handle doch nicht um ein paar tansanische Schillinge! Das führte zu Stress mit meiner Freundin.

Die handelt gerne?

Ja! Sie kann das auch sehr gut und mit Leidenschaft, zum Beispiel mit dem Taxifahrer, der einem natürlich einen überteuerten „Mzungu-Preis“ für Weiße nennt. Da stehe ich dann als Mann wie ein Arsch da, wenn ich sage: Hier, nimm doch einfach diese Münzen, und jetzt gib Gas. Die wünschen sich von ganzem Herzen, dass man mithandelt, sonst fühlen sie sich gekränkt. Nicht meine Welt.

Konnten Sie Überreste der deutschen Kolonialherrschaft besichtigen?

Wir waren tatsächlich an einem Ort auf 1000 Meter Höhe, wo die Deutschen eine Stadt namens Wilhelmstal errichten wollten. Kein Wunder: Da sieht’s aus wie im Allgäu, und Mücken gibt es auch nicht. Für Deutsche also ideal.

Was ist auf Ihren Urlaubsfotos zu sehen?

Ich hatte eine Lomo-Kamera dabei, die ich gar nicht richtig bedienen konnte, das gab schöne Überblendungen aus Landschaft und Farben. Manchmal ahnt man auch Tiere – Affe kreuzt Nashorn und so.

Sie waren also auch auf Safari?

Ja, es war ganz genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte! Wenn man zum ersten Mal eine Giraffe in freier Wildbahn sieht, ist es überraschend interessant. Ein Klassiker. Aber wenn es dauernd passiert, sitzt du halt weiter in dem Auto und wirst herumgefahren. Das Sättigungsgefühl stellt sich recht schnell ein.

Es geht immer nur um das erste Mal?

Nicht immer. Wir waren am Ngorongoro-Krater, dem achten Weltwunder, wo die Grzimeks begraben sind. Dort gibt es wirklich alles, das ist ein gelobtes Land. Nur hatten wir leider einen Fahrer, der überhaupt keine Ahnung hatte. Er musste immer erst sein Vogelbuch zum Nachschlagen aus dem Handschuhfach holen.

Was war die interessanteste Beobachtung, die Sie machen konnten?

Ehrlich gesagt: die anderen Safari-Teilnehmer. Es ist nämlich so, dass jeder Safari-Teilnehmer ganz automatisch die anderen hasst. Man möchte ja gerne die tolle Natur ganz für sich alleine haben, alleine in einer Herde aus 300.000 Gnus stehen, aber dann kommt schon der nächste Jeep angefahren – und man muss weiter. Ich habe nie erlebt, dass man sich freundlich zugewunken oder sonst wie Kontakt aufgenommen hätte.

Schuldgefühle, weil Sie alles mit Ihrer Visa-Karte aus der nördlichen Hemisphäre bezahlen konnten?

Das ist schon komisch, klar. Wahrscheinlich wollte ich das auch mal spüren, wie sich das anfühlt. Als meine Freundin Geburtstag hatte, waren wir im Kempinski in Daressalam, weil’s da ordentlichen Kaffee und Kuchen gab. Dieses koloniale Ding ist schon Wahnsinn. Auf der anderen Seite haben wir eine Woche in einem tansanischen Off-Theater einen Handpuppen-Workshop gegeben, das war toll.

Wie unterscheidet sich das tansanische Puppentheater vom deutschen?

Gar nicht. Du kannst hier genauso gut Schrott sammeln und zusammenkleben. Das war ganz schlicht, man hatte nichts. Irgendein Schreiner hat zwei Latten zusammengenagelt. Tuch drüber, und fertig.

Worum ging es in dem Stück?

Um meinen Urlaub. Der Theaterleiter konnte Englisch und hat die Szenen gleich ins Suaheli übersetzt. 30 000 seiner Vorfahren wurden von den Deutschen im Maji-Maji-Aufstand abgeschlachtet. Ich wollte halt nicht die ganze Zeit nur Nilpferde anschauen, sondern dem Tourismus entkommen – und der Schlüssel waren Handpüppchen.

Das klingt, als seien Sie dort nicht fertig.

Genau. Es war schön, wieder armes Theater zu machen. Macht Lust.

Das könnten Sie hier doch auch.

Das ist etwas anderes. Hier bin ich in meinem Deutsch drin.

Herr Grebe, Reisen kostet Zeit. Wenn Sie im Flugzeug sitzen, gucken Sie sich den Flighttracker an, wo sich meist quälend langsam ein Flugzeug-Logo über Landkarten bewegt?

Ja, wie bescheuert. Ich freue mich dann an den vielen fremden Namen der Landstriche, Gebirge und Flüsse. Eine Grundaufregung ist im Flugzeug immer da, ich bin ja kein Vielflieger. Schlafen kann ich sowieso nicht. Und was heißt überhaupt „quälend langsam“? Von Berlin nach Freiburg mit dem Zug waren’s acht Stunden, von Berlin nach Nairobi dauert es nur sieben Stunden. Das ist eigentlich nicht gut.

Wie wollen Sie denn reisen? Mit der Kutsche?

Oder mit dem Schiff, warum nicht. Ich fahre eigentlich dauernd mit dem Zug, auch, wenn ich in München oder Zürich spiele. Ich mag es, wenn man einfach aus dem Haus gehen und seinen Weg verfolgen kann.

Mit dem ICE nach München – das dauert, wenn man Glück hat, sechs Stunden!

Ja, dann ist es eben so. Alle fliegen immer überallhin, ich will lieber mit dem Zug. Zweite Klasse, ohne Reservierung. Wo etwas frei ist, wird halt gefahren, von mir aus auch neben dem Klo. Ich bin da sehr hart im Nehmen.

Nehmen Sie Proviant mit, oder gehen Sie ins Zugrestaurant?

Ich hole mir vorher ein Fischbrötchen bei Gosch am Hauptbahnhof: Lachs mit Honigsenfsauce. Immer. Das ist für mich ein richtiges Ritual geworden. Ansonsten esse ich natürlich auch gern im Zugrestaurant. Bio-Ravioli für Afrika von wechselnden Spitzenköchen. Oder sehr gerne Leberkäse mit Kartoffelsalat am Stehtisch im Intercity-Bistro.

Genießen Sie das Alleinsein unter Fremden?

Das muss sein, also wirklich ganz alleine, wie früher ohne Begleitung. Ich bin ja sonst oft mit Bands unterwegs, dann sind immer viele Leute dabei. Da ist es einfach herrlich, wenn man in den Zug springt, Fischbrötchen und rumdödeln. Solo sein.

Sind Sie eher der organisierte Packer oder der Nasswäschepacker, der im letzten Moment die T-Shirts von der Wäscheleine reißt?

Ich würde sagen, der unbedachte Packer. Alles wird irgendwie in meinen alten Koffer reingeknurschtelt. Was fehlt, kaufe ich auf Reisen.

Ein Rollkoffer wäre praktischer.

Niemals! Zum einen denke ich da an diese Business-Flughafenleute. Und wenn man damit nachts durch die Stadt rollt, am besten noch über Kopfsteinpflaster – das ist viel zu laut. Ich will das alles auf die alte Tour. Lieber mache ich mir meine Schulter kaputt.

Nicht auch noch die Schulter! Sie sind ja schon auf Krücken zu unserem Interview gehumpelt.

Ein Meniskusabriss, den ich wohl meiner ersten Reitstunde zu verdanken habe. Ich will unbedingt auf einem weißen Wallach in die Waldbühne einreiten, bis dahin wird das wieder gut sein.

Haben Sie starke Schmerzen?

Ein Indianer kennt keinen Schmerz.

Ok, dann machen wir weiter: Wohin führte Ihre erste Reise?

Die Initialzündung „Saufen“ war ein Cluburlaub in Spanien, mit Animationsprogramm, so mit 16. Die Biere in der Badewanne, das Dosenschießen – ich sehe alles noch ganz genau vor mir. Diese Animateure waren widerlich, die wollten die ganze Zeit nur Bodypainting veranstalten. Also haben wir eine Bier-Olympiade erfunden, mit verschiedenen Disziplinen.

Mädchen spielten keine Rolle?

Bei mir hat sich das komischerweise nicht ergeben. Nee, Sex kam nicht vor, es ging wirklich nur ums Saufen. Ganz schlimme Gelage, nicht nach Hause finden, im Wald liegen bleiben. Das musste so sein.

Man denkt ja immer, Komasaufen sei eine Erfindung aus jüngster Zeit.

Das wüsste ich aber! Für mich war das ein Initiationsritus. Als ich danach wieder nach Frechen kam, hab ich meine Eltern nicht mehr erkannt. Ich war ganz woanders.

Melden Sie sich zu Hause, wenn Sie irgendwo angekommen sind, oder sagen Sie: „Wenn ich mich nicht melde, ist alles in Ordnung“?

Ich schreibe manchmal Postkarten. Und wenn ich ganz weit weg bin, auch mal eine SMS: „Sehe gerade Delphine“. So ganz unvermittelt, um Neid zu schüren.

Wo waren Sie denn als Kind mit Ihren Eltern in den Ferien?

Das Weiteste war England – ansonsten meistens Deutschland, seine Regionen und seine Mittelgebirge. Meine Eltern waren ja Lehrer, die hatten unglaublich viel Urlaub. Die Heimatkunde, die ihnen in den 50er Jahren in der Schule eingetrichtert wurde, haben sie mir weitervermittelt: Steigerwald, Rhön, Lüneburger Heide. Damals war es nicht so toll, heute ist es ja wieder total in Mode, in Deutschland Urlaub zu machen.

Von Ihren Eltern können Sie Ihre Abenteuerlust nicht haben.

Für die war die Anfahrt schon die Hölle: Reifendruck, Stau, Proviant – was musste man alles mitnehmen, was konnte alles passieren! Wie mein Vater schrie, wenn er sich in einer fremden Stadt verfahren hatte! Dann war man endlich da, die Ferienwohnungen hatte man ja schon Monate vorher gebucht, und hat sich nett eingerichtet. Nie haben wir zwischendurch irgendwo angehalten und geguckt, wie es da ist. Ich reise ja lieber der Nase nach.

Ins Blaue?

Na klar, das waren immer die coolsten Reisen. Wenn man beim Trampen nicht mehr weiterkam und man auf irgendwelchen Bahnhöfen übernachten musste. Am Strand rumbrutzeln sollen die andern.

Kennen Sie das Gefühl von Heimweh?

Ja. Ich war mal sechs Wochen in Bulgarien auf einem Dorf, wo nur bulgarisch gesprochen wurde. Zuerst fand ich das total geil und exotisch, dann sehnte ich mich relativ schnell nach einem Theater und Leuten, die Zeit haben, sich darüber zu unterhalten. Gab aber keine. Dann war ich mal in Alaska, im Winter, ich glaube, als einziger Tourist. Da dachte ich auch zuerst, alles sei toll. Meine damalige Freundin hat sich sogar vorstellen können, da zu leben. Mir ging es anders: Ich wollte immer wieder zurück. In erster Linie wegen der Sprache. In Alaska gibt es größere Lachse, aber kein Stadttheater.

Auswandergeschichten erleben im Fernsehen einen anhaltenden Boom.

Ach je. Und dann werden die Leute befragt, warum sie weggegangen sind, und sagen: „In Deutschland ist alles so eng, hier ist alles so frei.“ Aber die Enge schleppt man immer selber mit sich rum.

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