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Karneval der Kulturen: Tanz mal wieder U-Bahn

Rund 4800 Teilnehmer ziehen beim Karneval der Kulturen durch Kreuzberg. Eine Gruppe zeigt dabei ein Herz für Züge: Sie spielt BVG.

Was ein Klettband mit Völkerverständigung zu tun hat? Ziemlich viel: „Tschrtt tschrtt“, ruft immer mal wieder jemand durchs Atelier im ersten Stock des Kreuzberger Jugend- und Kulturzentrums „Schlesische 27“, und alle lachen dann. „Cirt cirt“, ausgesprochen „tschrtt tschrtt“, heißt Klettband auf Türkisch. Das wissen seit ein paar Tagen die meisten Teilnehmer der Trinationalen Jugendbegegnung zum Karneval der Kulturen.

25 junge Männer und Frauen aus Berlin, Brandenburg, Istanbul und der französischen Stadt Villeurbanne bei Lyon, alle um die 20, arbeiten in dem Zentrum zehn Tage lang zusammen, sie nähen, basteln, bauen und tanzen. Am Sonntagvormittag muss alles fertig sein – denn um 12.30 Uhr starten sie als eine von 100 Gruppen am Hermannplatz zum Umzug des 15. Karnevals der Kulturen.

4800 Teilnehmer aus rund 80 Nationen machen in diesem Jahr mit. Die Körschtaler Höllenwächter werden dabei sein, der Freizeitfußballverein Polar Pinguin oder der Tscherkessische Kulturverein. Acht Gruppen reisen eigens aus anderen Ländern an, wie die „Silesian Roosters“ aus Polen, oder lassen sich zumindest von Gästen unterstützen – wie die Gruppe aus der „Schlesischen 27“.

„Am Puls der U-Bahn“ heißt ihr Projekt. Eifrig proben und werkeln die 25 an ihrem Wagen und den Kostümen – und dabei braucht man eben ziemlich oft Klettband. Zum Beispiel Mehmet Irfanglou, Student aus Istanbul, der sich gerade ein buntes Clownskostüm für seinen Auftritt als U-Bahn-Passagier bastelt. Wie die meisten Teilnehmer kann er neben seiner eigenen Sprache nur ein bisschen Englisch. Aber zum Glück gibt es mehrere Übersetzer. Durchs Atelier schwirren französische, türkische, deutsche und englische Sprachbrocken. An der Wand hängt ein großes Stück Papier, auf dem sie einige Wörter in mehreren Sprachen gesammelt haben, die man so braucht: „Nähen – coudre – dikmek“.

Die Kostüme für die Teilnehmer, die als U-Bahn beim Umzug tanzen sollen, sind schon fertig: knallgelbe, glänzende Pappen und weiche gelbe Hauben. Eine Etage über dem Kostümatelier wird gerade die U-Bahn-Choreografie einstudiert – mit den Stationen Istanbul, Berlin und Villeurbanne. Bei jeder Station verändert sich die Musik. Die französische Choreografin Habiba Zaouali Chergui möchte von ihren Tänzern noch ein bisschen mehr Verrücktheit sehen. Sie ist eine von fünf internationalen Künstlern, die sich am Projekt beteiligen.

Umzugsroute, Straßenfeste und Kinderkarneval in Kreuzberg.
Umzugsroute, Straßenfeste und Kinderkarneval in Kreuzberg.

© Tagesspiegel

„Die U-Bahn ist wie ein Mikro-Karneval der Kulturen. Deshalb haben wir uns dieses Thema ausgesucht“, sagt Projektleiterin Sophie Boitel. Zur Vorbereitung sind die Teilnehmer in Berlin U-Bahn gefahren und haben Passagiere fotografiert. Aus den Fotos basteln sie Masken.Ulrich Joséphine aus Villeurabanne hat seine Maske aus zwei Gesichtshälften zusammengesetzt – die eine von einem Weißen, die andere von einem Schwarzen: „Es gibt hier so wenig Schwarze“, das ist ihm beim U-Bahnfahren aufgefallen. Der 23-Jährige selbst ist an der Elfenbeinküste geboren und in Frankreich aufgewachsen.

Vielleicht ändert er seine Meinung nach dem Karneval der Kulturen ein wenig. Dort machen viele dunkelhäutige Künstler mit, und es werden afrikanische Klänge zu hören sein – nicht nur beim Umzug, sondern auch beim viertägigen Straßenfest am Blücherplatz. Die vielen internationalen Speisen, die man dort kaufen kann, werden Ulrich und die anderen Teilnehmer des U-Bahn-Projekts aber kaum beeindrucken: Abends kochen sie Spezialitäten aus ihren Ländern und schwärmen dann am nächsten Tag, wie gut es geschmeckt hat. Ulrich hat sich in die deutschen Knödel verliebt. „Diese runden Dinger“ – den Namen kann er sich noch nicht merken. Immerhin weiß er, was Klettband auf Türkisch heißt.

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