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Kiezleben: Neukölln verkauft sich gut

Bücher, Filme, Kabarettprogramme: Ein Berliner Bezirk wird zum Kassenschlager. Und fast jedes Bedürfnis wird bedient – von Schulhorror bis Trashcomedy.

Neukölln liegt im Trend. Nicht nur als der angesagte Ortsteil mit Abenteuerfeeling für urbane Glücksritter. Das Kreuzberg der 2000er Jahre zieht auch Schriftsteller, Komiker und Filmregisseure an, die das Leben im Kiez zum Thema ihrer Bühnenprogramme, Bücher und Kinofilme machen.

In diesem Monat sind gleich zwei Bücher erschienen, die vor allem die Schattenseiten des Bezirks thematisieren. Einnes kommt von der aus Bayern stammenden Kunstlehrerin Ursula Rog, die im Buch „Nord Neukölln. Ein Frontbericht aus dem Klassenzimmer“ ihre vierjährige Tätigkeit an einer Neuköllner Schule aufgearbeitet hat. Einer Boulevardzeitung erzählte sie unter der Überschrift „Meine Horrorjahre als Lehrerin in Neukölln“, von der Gewalt an ihrer ehemaligen Schule. Auch wenn die Schilderungen einen realen Hintergrund haben – es wirkt, als wolle die 42-Jährige vor allem auf ihren persönlichen Leidensweg aufmerksam machen als die Öffentlichkeit für Probleme in den Schulen zu sensibilisieren.

Fast zeitgleich mit den Erlebnissen der Lehrerin ist „Arabboy. Eine Jugend in Deutschland oder Das kurze Leben des Rashid A.“ erschienen. Geschrieben hat das Buch die ZDF-Journalistin Güner Balci geschrieben. Ein Stück Literatur, das Neuköllns Probleme im Bereich Jugend- und Ausländerkriminalität, Gewalt und Drogen dokumentieren will. Kann es das, ohne sie zu instrumentalisieren? Die Autorin, die vor kurzer Zeit aus Neukölln nach Mitte gezogen ist, hat es ernsthaft versucht – gerade weil sie ihr unzweifelhaft stark autobiografisch geprägtes Buch als Roman verstanden wissen will. Der S. Fischer-Verlag hingegen bewirbt es als schockierenden Quasi-Tatsachenbericht aus Berlins härtestem Bezirk: „Was Christiane F. in den 70er Jahren war, ist die Geschichte von Rashid. A. heute“ steht im Klappentext – Neukölln sells.

Das aktuelle Satire-Büchlein „Neulich in Neukölln. Notizen von der Talsohle des Lebens“ von Uli Hannemann hingegen ist der Beweis dafür, dass, wo viel Schatten ist, der Humor nicht weit sein muss. Den Problemen im Kiez mit einem Lächeln zu begegnen, hat bereits Tradition: Schon vor 25 Jahren hat der Komiker und Travestiekünstler Ades Zabel die Figur der Edith Schröder erfunden. Eine mittlerweile 52-jährige Neuköllner Langzeit-Arbeitslose, die mit Freundin und Kneipenbesitzern Jutta am liebsten „Futschi“, das „Neuköllner Nationalgetränk“ aus 80 Prozent Weinbrand mit 20 Prozent Cola, konsumiert.

Mitte der Neunziger tauchte Kurt Krömer auf und erzählte erst auf Kleinkunstbühnen und später in seinen Fernsehshows im RBB und in der ARD mit satirischem Augenzwinkern aus „seinem Kiez“. Seine liebevoll-ironische Darstellung der Bewohner war bei aller parodistischen Überzeichnung näher an der Realität als so mancher Doku-Beitrag über die „Hölle Neukölln“ im Privatfernsehen heute. Auch wenn Alexander Bojcan alias Krömer entgegen aller Neukölln-Klischees bis heute kein Tattoo besitzt und eine Katze anstelle eines Hundes.

2003 erschien dann im Verbrecher-Verlag das kleine „Neuköllnbuch“. Zwischen Lieben und Hassen bewegen sich die amüsanten Geschichten von 25 Neuköllner Autoren, die von ihrem ganz persönlichen Stückchen Heimat am südlichen Zentrumsrand erzählen.

Vielen Nicht-Berlinern ist der Ortsteil allerdings erst seit gut zwei Jahren ein Begriff: Der preisgekrönte Spielfilm von Detlef Buck, „Knallhart“, erzählt von dem 15-jährigen Michael Polischka, der aus einer behüteten Kindheit in Zehlendorf in die Härten des täglichen Überlebenskampf in Neukölln zwischen Gewalt, Drogen und Sucht gerät. Trotz der Problemorientierung geht es Buck aber nicht so sehr darum, einen Stadtteil zu denunzieren als vielmehr den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft auf eine tödliche Spitze zu treiben.

Auch im Internet spielt sich das Kiezleben mittlerweile ab: Als einziger Berliner Bezirk besitzt Neukölln seit gut einem Jahr mit www.neukoelln-tv.de einen eigenen Internet-Fernsehsender. Dort gibt es täglich Neues aus dem Kiez – Licht und Schatten. Bunt gemischt.

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