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Kino: Gesucht und verschwunden

Berliner Kinogänger lassen alles Mögliche unter ihren Sesseln liegen – aber nur ein Viertel der Sachen wird wieder abgeholt.

Marion Schmid wuchtet eine leuchtend gelbe Kiste auf den Tresen. Sie quillt über von Mützen, Schals und Handschuhen. „Das ist der Ertrag der letzten Woche“, sagt Schmid lächelnd. Seit fast zehn Jahren ist die 50-jährige Kassiererin im Kino Cinestar am Potsdamer Platz für die Fundsachen zuständig. Sie wühlt ein bisschen. Ein paar Brillen tauchen auf, eine alte Tabakspfeife, Postkarten, ein spanischsprachiger Berlin-Reiseführer. Berliner Kinogänger lassen nach Ende des Films so ziemlich alles Mögliche unter ihren Sesseln liegen.

„Aber wir sind professionell organisiert“, sagt Schmid stolz. Am Anfang habe man Vergessenes noch in blauen Plastiksäcken gesammelt. Seit drei Jahren aber gibt es nicht nur die gelbe Kiste, sondern auch ein ausgeklügeltes System zur Kennzeichnung der Fundstücke. „Wenn ein Kunde etwas vermisst“ – eine Zahnspange etwa oder, wie vorgekommen, ein Paar Boxershorts –, „kann er einen ,Lost‘-Bogen ausfüllen“, erklärt Frau Schmid und zieht einen dicken grünen Ordner unter ihrer Kasse hervor. Darin werden sämtliche Formulare gesammelt, auch die „Found“-Bögen, die die Kinomitarbeiter ausfüllen, wenn sie etwas finden. Jeder Gegenstand bekommt eine pinkfarbene Nummer, wie an der Garderobe. „Einmal wöchentlich gleiche ich die Stapel ab“, sagt Schmid. So lange dauert es normalerweise, bis die Kiste voll ist – nur zu Berlinale-Zeiten geht es ungleich schneller. Manchmal werden die Besitzer ermittelt. Oft aber auch nicht.

Weniger kostbare Teile wie Regenschirme und Brillen bleiben 14 Tage im Kino und kommen dann ins zentrale Fundbüro am Tempelhofer Platz der Luftbrücke. Einzelne Handschuhe, Socken und ähnliches werden dagegen entsorgt. Laut Gesetz müssen Gegenstände mit einem „Veräußerungswert“ von unter zehn Euro noch nicht einmal abgegeben werden. Bei teureren Fundstücken liegt die vorgeschriebene Aufbewahrungsfrist bei sechs Monaten. Darum lagern Mobiltelefone, Uhren oder gefüllte Portemonnaies in einer Extrakiste im Kinotresor. Allein „dreißig, vierzig Handys“ sind es im Cinestar. Auch ein Blackberry ist dabei. Wer sein Gerät abholen kommt, sollte Ladegerät und Pin-Nummer dabeihaben. Sonst könnte ja jeder kommen.

Mitunter fänden sich auch Menschen, erzählt Schmid. Eine Kollegin, Studentin, habe ihren jetzigen Freund kennengelernt, weil er bei ihr sein im Kino verlorenes Handy abgeholt hat. Und auch Schmid selbst hat jemanden kennengelernt. Ein Professor aus Jena hatte sein geliebtes altes Handy im Kino liegen lassen, ein vorsintflutliches Teil, aber mit vielen wertvollen Nummern darin. Er gab die Pin durch, Schmid schickte ihm das Handy. Die Antwort: ein Fleurop-Gutschein – und ein Anruf, jeden Freitag pünktlich um 20 Uhr. Seit drei Jahren. Fünf Minuten Plauderei sind es nur, „aber so schön!“. Die meisten Leute hätten ja nicht mal ein „Dankeschön“ übrig, wenn sie ihre Sachen abholten.

Manchmal gibt es auch Fälle extremer Erleichterung, wie man im Kino Arsenal zu berichten weiß. Hier rief vor einigen Wochen eine verzweifelte junge Frau an, sie vermisste ein Portemonnaie mit 1000 Euro Bargeld darin – Geld, das sich die Arbeitslose nur geliehen hatte. Glücklicherweise steckte die Börse noch zwischen Sitz und Lehne. „Das Mädchen ist uns fast um den Hals gefallen“, sagt die Kassiererin. Den angebotenen Finderlohn mochte sie aber nicht annehmen – auch wenn ehrliche Finder rein rechtlich einen Anspruch auf mindestens fünf Prozent des Werts der Fundsache haben.

Nur etwa ein Viertel der im Arsenal gefundenen Sachen werden auch abgeholt, schätzt die Kassiererin. Am häufigsten blieben in diesen kühlen Tagen Strickmützen liegen. „Wenn jemand nach einer schwarzen Mütze fragt, die er letzte Woche hier verloren hat, hat er zwanzig Stück zur Auswahl.“ Sie lacht. „Das ist ein Geheimtipp. Wer eine Mütze braucht – einfach im Kino nachfragen! Da kann man sich die Schönste aussuchen.“

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