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Kiosk

© Uwe Steinert

Kiosk mit Musik: Saitenweise Zeitungen

Said Masri führt in Zehlendorf den Kiosk an der Rehwiese. Doch im Herzen ist er Musiker und spielt täglich auf der Geige.

Die Rehwiese badet im lang ersehnten Sonnenlicht und der Mann vom Kiosk spielt die passende Melodie dazu. Doch schon legt er seine Geige zur Seite, weil sich ein Kunde nähert und „eine Schachtel Qualmboro“ verlangt. Der Kioskbetreiber Said Masri schmunzelt. „Das war kein Stammkunde“, sagt er, denn die kennt er alle und weiß genau, was sie wollen, bevor sie überhaupt einen Ton sagen.

Seit über sechs Jahren betreibt er den Kiosk an der Spanischen Allee in Zehlendorf – für ihn „die schönste Gegend von Berlin, vor allem im Sommer, wenn die Sonne ständig scheint“. Sechs Tage die Woche, von 9 bis 19 Uhr, im Sommer bleibt er manchmal länger und schließt im Winter dafür früher. „Die Geschäfte laufen nicht schlecht“, berichtet er, „besonders jetzt, wenn die warme Jahreszeit beginnt, und vor allem am Wochenende, wenn viele Ausflügler unterwegs sind.“

Ein Großteil seiner Kundschaft gehört zu den Besserverdienenden, die rund um die Rehwiese wohnen. Gesine Schwan, Götz George und Christian Berkel schauen gelegentlich vorbei und manche Schauspieler, deren Namen der Kiosk-Betreiber nicht kennt. Said Masri macht sich nicht so viel aus Prominenz. Er ist ein zurückhaltender Mensch mit wachen, klugen Augen – und einem Geheimlager unter der Theke.

Dort liegen seine Instrumente, eine Geige, eine Laute und eine Bauchtanztrommel, bereit. Die nimmt er abwechselnd zur Hand, wenn am Kiosk gerade wenig Betrieb herrscht. Dann lässt er – wegen des Verkehrslärms – das Schiebefenster herab und beginnt zu spielen. Meist syrische, libanesische oder andalusische Volkslieder, die vom Leben und der Liebe erzählen – mal sehnsuchtsvoll und tieftraurig, mal aufgekratzt und ausgelassen. „Wunderbar, dieses Stück – mit so viel Gefühl!“, sagte eines Tages ein älterer Herr, der zufällig vorbeikam. Der Mann war Dirigent und hatte gerade eine Improvisation von Said Masri gehört. Doch der spielt meistens nur für sich. „Musik ist für die Seele wunderschön“, sagt er. „Man wird so frei dabei.“

Manchmal beschwört diese Musik auch Erinnerungen herauf an seine Heimatstadt Aleppo, wo er vor 50 Jahren als eines von zwölf Geschwistern geboren wurde. Es war eine musikalische Familie. Die Mutter und einige Geschwister spielten Laute, auch Said Masri fing mit 12 Jahren damit an und wechselte später zur Geige. Bald trat er damit auf Hochzeiten auf. Mit einer Geige und einer Laute im Gepäck landete er Ende 1990 in Schönefeld. Eigentlich wollte er nur einen Monat in Deutschland bleiben, doch es kam anders. Er lernte seine heutige Ehefrau kennen, sie bekamen zwei Töchter und leben heute in Wilmersdorf. Die Sache mit dem Kiosk ergab sich zufällig für den gelernten Bauzeichner, der trotz Weiterbildung und etlicher Praktika in Architekturbüros in seinem Beruf keinen Job fand. Zwischendurch kellnerte er und dachte auch über ein eigenes Restaurant nach, befand das aber schließlich als „zu riskant“. Ob er gern etwas anderes machen würde, als diesen Kiosk zu betreiben? „Am liebsten mehr Zeit für die Musik haben“, sagt Said Masri, holt seine Laute hervor und singt dazu auf Arabisch: „Tolet al Schames. Tolet ja mahla Nurha.“ Die Sonne ist aufgegangen – wie schön sie aufgegangen ist.

Carmen Gräf

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