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Kreuzberger Eisenbahn-Markthalle: Ein Traum aus Wurst und Käse

Zwei Feinkosthändler wollen die Kreuzberger Eisenbahn-Markthalle neu gestalten und verkaufen dort alpenländische Spezialitäten. Sie glauben, die Zeit der Märkte kehrt zurück.

An den Marktständen wird frisches Gemüse, Käse und Fleisch aus Berlin und Brandenburg und vor Ort gebackenes Brot neben Spezialitäten aus Europa verkauft. Besucher plaudern und essen , Kinder tollen herum. Und über all dem lebendigen Marktgeschehen schwebt die luftige, helle Backstein-Architektur der denkmalgeschützten Markthalle IX in der Kreuzberger Eisenbahnstraße.

So sieht die Vision aus, die Florian Niedermeier und Bernd Maier seit mehr als zwei Jahren teilen. Kennengelernt haben sie sich als Jungen an einem Augsburger Baggersee. Seit 2007 führen der Kulturwissenschaftler und der Gartenbauingenieur nun die „Meierei“ in der Kollwitzstraße, wo sie alpenländische Spezialitäten verkaufen. Das Konzept, ausgesuchte Qualität von persönlich ausgewählten Kleinproduzenten anzubieten, ist in Prenzlauer Berg so erfolgreich, dass die selbst in Kreuzberg lebenden Unternehmer mithilfe einer Investorengruppe so auch die Eisenbahnhalle wiederbeleben wollen. „Wir setzen auf Regionalität, Kiezgebundenheit, hohe Qualität und kulturelle Vielfalt, wie sie dem Stadtteil entspricht“, sagt Maier. Damit wollen sie ab 2012 gleichermaßen Menschen aus dem Kiez wie aus anderen Bezirken, dem Umland und auch Touristen locken.

Bis Ende August müssen Maier und Niedermeier ihr Konzept beim Liegenschaftsfonds einreichen, der im Auftrag des Eigentümers, der Berliner Großmarkt GmbH, kurz BGM, mit dem Interessenbekundungsverfahren betraut ist. Danach haben die drei aussichtsreichsten Bewerber weitere sechs Monate Zeit, ihre Nutzungs- und Finanzierungspläne zu verfeinern. Eine erste Ausschreibung und ein zweites Vergabeverfahren zuvor waren gescheitert: Zunächst fand sich kein Investor für ein „Orientbasar”-Konzept, dann plante ein Christian Hollmann, dort einen großen Supermarkt samt Tiefgarage zu eröffnen, was die landeseigene BGM veranlasste, das Verfahren im Februar 2010 zu stoppen. Nun steht die Markthalle für einen Festpreis von gut 1,1 Million Euro erneut zum Verkauf. „Eine kleinteilige und kiezgebundene Nutzung ist wichtiger als ein Höchstgebot“, sagt BGM-Geschäftsführer Andreas Foidl. Der frühere Bieter Hollmann, der über eine Million Euro mehr als den jetzigen Festpreis für sein Supermarkt-Konzept geboten hatte, antwortet mit Sarkasmus auf diese, in seinen Worten, „ambitionierten Kreuzberger Träume“: „Man darf sehr gespannt sein, ob man auch nur einen ernsthaften Investor findet, der das mitmacht.“

Träumen fällt zumindest nicht schwer, wenn man die von Schinkel-Schüler Hermann Blankenstein 1891 ganz im Geist der klassizistischen „Berliner Schule“ erbaute Markthalle mit ihren hellen Klinkern und schmückenden Reliefs, den vielen Fenstern und gusseisernen Säulen heute betritt. Denn die Gegenwart sieht trostlos aus: Zwischen Discountern wie Aldi und Kik gähnt der Leerstand und wächst der Sanierungsbedarf. Die Anwohner hetzen mit ausdruckslosen Gesichtern hindurch, als wollten sie sich nicht anstecken lassen von dem deprimierenden Fluidum. „Man geht hier schlechter gelaunt raus, als man reingekommen ist. Das muss sich endlich ändern“, sagt Christoph Albrecht. Der 60-Jährige gehört zu einer Initiative, die derzeit in einem Teil der Halle die alten Marktstände aus den Achtzigern abreißen lässt, um ab 28. August als Zwischennutzer einen Nachbarschaftstisch und Kulturveranstaltungen zu organisieren. „Wir Anwohner wünschen uns eine Halle für alle, und wir sind uns der einstimmigen Unterstützung der Bezirksverordnetenversammlung sicher“, so Albrecht.

Langjährige Nachbarn sind auch Erika Louda und Ingeborg Wruck. Louda lief schon als kleines Mädchen durch die damals lebendige Halle, holte sich auf ihrem Schulweg hier eine Schrippe, dort eine Banane ab. Und Wruck betreibt seit 20 Jahren den Mittelstand „Bei Inge“, wo schon Heiner Müller und Ben Becker gefrühstückt haben. Die Freundinnen halten nicht viel von der „durch die BGM seelenlos und zu Tode sanierten Marheineke-Halle“, wie sie sagen. „In der Eisenbahnstraße wollen wir unsere alte Markthalle zurück. Denn im Kiez steckt viel Kaufkraft, und Schickimicki brauchen wir hier nicht“, so Louda.

Auch die dritte Markthalle im Besitz der BGM durchweht der Wind des Wandels: Die Arminiushalle in Moabit wird ab August für 50 Jahre an die Zunft AG verpachtet und soll ab Ende des Jahres zur „Zunfthalle“ werden. Fast die gesamte Halle ist bereits an Anbieter regionaler Lebensmittel, an junge Designer und regionales Handwerk vermietet. Zugleich sollen die Produkte über eine Internetplattform vermarktet werden – ein Konzept, das sich Albrecht auch gut für die Eisenbahnhalle vorstellen kann. Die „Meierei“-Inhaber zögern jedoch. „Frische Lebensmittel muss man tasten, riechen und schmecken können“, so Niedermeier. Schließlich sei es sonst kein echter Markt.

Anwohnertreff in der Eisenbahnhalle jeden Samstag um 12 Uhr am Kaffeestand „Bei Inge“. Infos auf www.markthalle9.de

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