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Lo von Blickensdorf: Wer nix wird, wird Graf

Adelig zu werden war die beste Idee seines Lebens, sagt Lo von Blickensdorf. Heute liest der selbsternannte Blaublüter in Kreuzberg aus seinen Abenteuern.

Fast wäre der Graf noch mal umgedreht. Weil er seine Alter-Fritz-Krücke, den Spazierstock mit dem Silberknauf, vergessen hat. Dafür sitzen Krawatte und Einstecktuch wie eine Eins. Und kaum hat er standesgemäß in der Kleinen Orangerie am Schloss Charlottenburg Platz genommen, da kramt er schon seine Visitenkarten mit dem protzigen rot-gelben Wappen raus. Wahre Türöffner seien das, kommentiert Lo Graf von Blickensdorf den skeptischen Blick. „Obwohl sie aussehen, wie von einem Weinhändler, der billige Rieslinge verkauft“, lacht er.

Drei Jahre ist es nun her, dass der Künstler, Grafiker, Satiriker und Fernsehschreiber Lothar Blickensdorf, 58, beschlossen hat, sich selbst als eine Art Kitsch- und Fantasiegraf in den Adelsstand zu erheben: „Die beste Idee meines Lebens!“ Seitdem ist bei dem notorisch finanzklammen Westfalen, der seit 30 Jahren in Berlin lebt und wie sein Freund Götz Alsmann aus Münster stammt, nichts mehr wie es vorher war.

„Wahnsinn, was mir jetzt alles passiert“, staunt der Charlottenburger. Fernsehen und Radio laden ein, Fanpost und Einladungen zu Partys und in Promirestaurants flattern ins Haus, Frauen stellen ihm nach, Finanzmakler bieten dem Grafen ohne Koks ihre Dienste an, seine Mutter Lieselotte wird im Altersheim ehrfürchtig „die alte Gräfin“ genannt und in der Bahn verwandeln sich Schaffner beim Anblick der gräflichen Bahncard in servile Hofschranzen.

Nachlesen kann man das in Blickensdorfs Buch „Werden Sie doch einfach Graf! – Biste was, kriegste was“. Die putzige Mischung aus Erlebnisbericht und Ratgeber ist im Rotbuch Verlag erschienen. Am heutigen Donnerstag liest Graf Lo daraus in der Kreuzberger Milchbar, inklusive Zauberkunststückchen und Musikbegleitung.

Angst vor linken Adelshassern hat er nicht. Schließlich war Blickensdorf, bevor er seine Liebe zu Schlössern entdeckte, selber mal Hausbesetzer. Und sein Selbstverständnis ist nicht elitär, sondern ausgesprochen demokratisch: „Jeder soll Graf werden und ganz Deutschland adelig“, sagt Blickensdorf, der den in Deutschland 1919 abgeschafften Titel völlig legal als Künstlernamen in seinen Papieren führt. Denn dann ginge es auf der Straße höflicher zu und die Menschen wären nobler gekleidet, prognostiziert der Mann, der früher selbst nur in „Sack und Asche sprich zerknittertem Künstlerschwarz“ unterwegs war.

Trotz solcher Luftschlösser im Kopf will Lo Graf von Blickensdorf kein Lügenbaron sein: „Falscher Adel wäre, wenn ich mich Prinz von Hohenzollern nennen würde“, sagt er, aber das Geschlecht der Blickensdorfs existiert im Gotha-Adelslexikon nicht. Und seine Abenteuer als verarmter, Gratis-Graf genannter Adeliger und Tagedieb? Die seien zwar ausgeschmückt – aber alle passiert, sagt von Blickensdorf. Auch die, wo er einen 500 Euro Schein zugesteckt bekam und ihn vor Schreck über die unverhoffte Apanage gleich an einen Bettler weitergab.

Tatsächlich ist dem Neuadeligen, dem nach einem verschüchterten Fernsehauftritt vom Verlag erstmal Schauspielunterricht verordnet wurde, die Überraschung über den Erfolg seines Coups „simple Idee mit Rieseneffekt“ deutlich anzumerken. Erst sei es nur ein Name auf der Visitenkarte gewesen, dann wuchs er durch Kleidung und Benehmen immer mehr hinein. „Als Graf darf man nun mal nicht schmatzen wie ein Hirtenhund.“ Zum bürgerlich-scheuen Künstlerschwarz möchte er nie mehr zurück: „Wenn’s klappt, bleibe ich bis zur Rente Graf.“ Nur wenn er anfange auszusehen wie Rudolf Mooshammer, mache er früher Schluss. Den nötigen Herzensadel zumindest hat der Graf. Gleich will er im verschneiten Schlosspark Charlottenburg einen Abstecher zu seiner Bank machen. Seine Bank? „Ja, da sitze, lese und schreibe ich sommers. Und im Winter hänge ich jeden zweiten Tag einen Meisenknödel hin.“

Milchbar, Manteuffelstraße 40, Kreuzberg, 20 Uhr, Eintritt frei

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