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Multicult.fm: Radio zum Reingucken

Die Nachfolger des Senders Multikulti beziehen am Montag ihr gläsernes Studio – Zuhörer und Mitmacher sind in der Kreuzberger Markthalle willkommen.

Vorsichtig tragen zwei Männer in Latzhosen die große Glasscheibe durch die Marheineke-Markthalle in Kreuzberg. Vorbei an griechischen Spezialitäten, italienischer Feinkost, Käse aus der Bretagne und Einkaufenden mit ihren Körben. Dann die Treppe hoch, zur Galerie im ersten Stock. Dort bohren und hämmern Handwerker und Brigitta Gabrin ruft ganz aufgeregt: „Wo ist denn das Multicult.fm-Banner? Hier hängt ja nur das, auf dem Multicult2.0 steht.“

Das neue gläserne Studio des Radiosenders, der eine bewegte Geschichte hinter sich hat und verschiedene Namen, ist fast fertig. „Jetzt wird alles leichter, weil wir endlich wieder ein Zuhause haben“, sagt Brigitta Gabrin, die den Sender leitet. Neben ihr setzen die beiden Latzhosenmänner die Scheibe ein. Ab dem heutigen Montag wird von hier aus probeweise live gesendet und eine Woche später, am 28. März, geht es dann richtig los – vor allem mit dem neuen Morgenmagazin, in dem es um „brisante migrations- und lokalpolitische und kulturelle Themen“ gehen soll. Brigitta Gabrin und viele ihrer Mitarbeiter haben bis Ende 2008 beim RBB-Sender Radio Multikulti als freie Journalisten gearbeitet – bis die ARD-Anstalt ihn abschaltete. Als „Protestbewegung“ gründeten sie ein eigenes Webradio, das zunächst Multicult 2.0 hieß. Seit Mai 2010 haben sie zusätzlich eine UKW-Frequenz und nennen sich multicult.fm. Montags bis freitags haben sie täglich fünf Stunden Sendezeit, am Wochenende sechs. Im Internet gibt es ein „Vollprogramm“. Sendungen auf Deutsch, wie „Reisefieber“ wechseln sich mit zweisprachigen Programmen ab – ein spanisch-deutsches gibt es etwa. Bald soll Türkisch und Chinesisch hinzukommen. Das gläserne Studio sollte eigentlich schon vor über einem Jahr eröffnet werden: „Aber der Weg war viel steiniger, als wir dachten“, sagt Gabrin. In der Finanzkrise sprang ein wichtiger Sponsor ab. „Außerdem arbeiten fast alle ehrenamtlich. Wenn jemand einen bezahlten Job bekommt, ist er weg.“ Unter der Woche trifft man deswegen nur wenige Moderatoren im neuen Studio.

Stefan Kirsch, Web-Redakteur und Stellvertreter von Gabrin, packt mit ihm gerade neue Kopfhörer aus einem Karton. Beide sehen aus wie Kinder bei der Bescherung. „Die sind gerade geliefert worden. Das sind richtig gute“, sagt Gabrin stolz. Kirsch trägt Mittelscheitel und Pferdeschwanz. Der 31-Jährige hat Maschinenbau studiert und war zunächst nur für die Technik zuständig:„Ich will genau dieses Radio machen, auch wenn der Job kein Geld bringt“, sagt er. Deshalb erstellt er nebenbei Webseiten, arbeitet in einem Buchladen und als Verkehrserzieher. Brigitta Gabrin bietet nebenbei Moderationscoachings an und arbeitet auch für andere Sender. „So erfüllen wir uns diesen Traum“, sagt sie. Gabrin ist eigentlich Psychologin und nur wegen Radio Multikulti Journalistin geworden. Dessen Konzept passte zu ihrer Lebensgeschichte: Die Tochter einer deutschen Mutter und eines ungarischen Vaters ist dreisprachig in Rumänien aufgewachsen. Seit es Radio Multikulti nicht mehr gibt, hilft ihre Familie der 50-Jährigen finanziell. Ihr Kollege Wolfgang König, der Musikchef, kann es sich nur leisten, beim Sender zu bleiben, weil er was geerbt hat.

Nicht nur die Mitarbeiter sind knapp bei Kasse, sondern auch der Sender. Zum Glück sei die Miete in der Marheinekehalle sehr günstig, sagt König. „Und der Ort ist ideal.“ Hier wollen sie ein „partizipatives Radio“ schaffen. Das heißt: Jeder darf mitmachen. „Die Leute, die in die Markthalle kommen, sehen uns“, sagt Gabrin. „Und wenn uns ein Teenager fragt, ob er mal im Radio rappen darf, geht das – wenn er gut ist.“ Außerdem seien Markthallen traditionell Orte, an denen Informationen weitergegeben wurden. Und noch einen Vorteil hat die Lage: Aus einer ehemaligen Grundschule schräg gegenüber soll bald eine „Global Music Academy“ werden – eine „Hochschule für Weltmusik“. Dort soll auch ein Produktionsstudio des Senders entstehen. Und Gabrin und andere Mitarbeiter wollen die Schüler dort im Fach Medien unterrichten und als Tontechniker ausbilden. „Wir sind da fest eingeplant“, sagt Gabrin, auch wenn die Finanzierung noch nicht steht. Alles nicht so einfach also mit der Zukunft des Senders. Aber Totgesagte leben länger, heißt es: Nachdem Angela Merkel vor einiger Zeit die Bemerkung machte, „Multikulti“ sei gescheitert und damit vor allem die Integration in Deutschland meinte, rief Gabrins Mutter an und fragte die Journalistin, ob „ihr Radio tot“ sei. Nein, ganz im Gegenteil, antwortete sie lachend.

Multicult.fm kann im Südosten Berlins auf 88,4 und in Potsdam auf 90,7 MHz empfangen werden. Oder im Internet unter www.multicult.fm

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