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Musik: Alec Empire: Der Aufreißer

Alec Empire führte die Popmusik an eine Schmerzgrenze, wurde berühmt und Berlin für ihn zu klein. Nun kehrt er zurück.

„Burn, Berlin, Burn!“ hieß vor zehn Jahren eine Platte, die in den USA erschien und vor hitzig lärmenden, blindwütigen Untergangsfantasien strotzte. Aufgenommen hatte sie das Berliner Trio Atari Teenage Riot, von dem das „Rolling Stone Magazine“ meinte, „seine zornige Nintendo-Kakophonie schießt dermaßen über das Ziel hinaus, dass sie wie eine Selbstparodie wirkt“.

In Berlin sah man das anders. Hier firmierte das Album unter dem Titel „The Future of War“. Und auch den Klangstress, den Atari Teenage Riots brachialer Techno-Punk zu verbreiten pflegte, nahm man an der Spree als das, was es sein wollte: als Soundtrack einer linksradikalen Großstadt-Guerilla. Ihre Waffen: brutal-aufgekratzte, übersteuerte Gitarren-Samples und ein stolpernder, gehetzter Drum-Beat. Titel wie „Destroy 2000 Years Of Culture“ und „Deutschland (Has Gotta Die)“ untermauerten den Hass auf Berlin, seinerzeit im Begriff, Hauptstadt zu werden. Die provinzielle Note, die das hysterische Aufbegehren gegen den Einzug der „Berliner Republik“ auch hat, wurde meistens überhört.

Mitten in diesem Flammentheater (Burn, Berlin, Burn!) stand Alec Empire, Kopf von Atari Teenage Riot. Ein ernster junger Mann mit düster umschatteten Augen, der in Frohnau aufgewachsen und als Elfjähriger Berliner Breakdance-Meister geworden war. Seine Rechnung „Riot sounds produce riots“ ging 1999 nach einem Konzert von Atari Teenage Riot beim Kreuzberger 1. Mai noch auf. Krawalle schlossen sich an. Aber den Rebellen zog es, neue Inspirationsquellen suchend, nach London, wo er sein eigenes Label Digital Hardcore Recordings (DHR) betrieb. Nun ist der Mann, der für Björk, Thurston Moore, Slayer und Rammstein gearbeitet hat, wieder da. Und er hat Großes vor. Er hat eine „Vision“: „Wir haben lange genug dem Hartz-IVRock-’n’-Roll in der Stadt zugesehen – wir übernehmen jetzt wieder.“

Subtilität war nie die Sache des 35-Jährigen, der oft grimmiger in die Kamera stiert als nötig, die Lippen geschürzt, die Wangen eingesogen, als würde er sich extra hart machen für eine Welt, die seinesgleichen nicht haben will. Sein Sound bleibt nach dem Ende von Atari Teenage Riot im Jahr 2000 dem klirrenden Krach verschrieben, akustisch herrscht latenter Kriegszustand.

Alec Empires neues Hauptquartier in Kreuzberg ist ein mit schweren Stahltüren bewehrtes Loft. Dahinter imperiale Leere. Um die Sitzgruppe aus schwarzledernen Fauteuils schlurfen zwei Putzkräfte und bringen den Boden auf Hochglanz. Punk geht anders. Es scheint, als sei da einer nun doch in der „neuen Mitte“ angelangt, der vormals sein galliger Zorn galt. Die Stadt, lässt er sich auf seiner Homepage zitieren, sei „wie eine leere Leinwand, voller Möglichkeiten“. Es herrscht Gründerzeitstimmung. In Empires Loftbüro wird die Veröffentlichung seines neuen Albums „The Golden Foretaste of Heaven“ vorbereitet, das zunächst für August angekündigt war, aber nun nach Auskunft des Managements aus vertriebstechnischen Gründen erst im Januar nächsten Jahres erscheinen wird.

Mit digitalem Hardcore will der Musiker derweil nichts mehr zu tun haben. Ihn habe gestört, erzählt er, dass sein Londoner Label zur Sackgasse wurde. „Es hat genervt, dass man immer den gleichen Sound erwartete, was uns dann stimuliert hat, völlig neu zu denken. So gibt es auf meiner neuen Platte etwa keinen einzigen Song, auf dem ich schreie. Und Metal-Gitarrenriffs sind auch verboten.“ Auf den Umzug an die Spree folgt zudem ein neues Label, Eat Your Heart Out. Und Empire hat mit The Hellish Vortex Group auch wieder eine Band zusammengestellt. Mit dabei Ex-Kollegin Nic Endo.

Doch Empires Ego begnügt sich nicht mit musikalischen Visionen. Er will Berlin dazu verhelfen, London den Rang als Europas Pophauptstadt abzulaufen. Gerade weil viele Musiker in Berlin gar nicht auf Erfolg aus seien, sagt er, sei das kreative Potenzial hier oftmals viel höher als in der britischen Metropole. Dort sei der Druck, ständig neue Trends und Hypes zu generieren, die nur kurz überlebensfähig seien, weil ja doch gleich wieder die nächste, die „noch frischere“ Band der Stunde aufs Podest gehievt werden müsse, zum sterbensöden Automatismus verkommen. Vor allem aber, sagt Empire, schade das der Kreativität. All diese Bands, die davon träumten, Stars zu werden, müssten sich den Trends der Stunde anpassen.

Berlin zieht als Gegenmodell seit längerem eine Phalanx ausländischer Musiker an, die hier leben oder zumindest ihre Platten aufnehmen – die Liars, Gonzales, Feist, Peaches, Jamie Lidell oder kürzlich erst Rufus Wainwright. So mag Empire vielleicht nicht zugeben, dass ihn auch der wachsende Hype um Berlin wieder hierher zurückgelockt hat. Er legt als DJ auf den Elektrofestivals der Stadt auf, schreibt Soundtracks wie für Miron Zownirs Thriller „Schneeball“ mit Ben Becker und Udo Kier und ist als Remixer so unermüdlich wie eh und je. Und für einen Berliner ist es vielleicht einfach nur naheliegend, wieder in die Stadt zurückzukehren, mit der sich für ihn die intensivsten Erlebnisse verbinden. Auch wenn er, wie die „Spex“ einmal meinte, „der erste deutsche Popstar überhaupt“ sei, der erste Musiker von internationalem Format.

Als solcher wappnet sich Empire in der wegen ihres billigen Lebensraums begehrten Stadt auch für das neue, in digitalen Netzwerken heraufziehende Zeitalter des musikalischen Selbstvertriebs. Den Mainstream werde es bald nicht mehr geben, prophezeit Empire. „Der Musiker wird im Mittelpunkt stehen.“

Alec Empire tritt am 9. September in der Maria am Ufer auf.

Dennis Bertrams

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