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Mütter im Prenzlauer Berg

© Doris Spiekermann-Klaas

Mutter auf Probe: Mit Ballon und Spucke

Sie gehören zu Prenzlauer Berg wie Milch zum Kaffee: die jungen, schicken Mamas. Nichtmütter fragen sich, wie es wäre, wenn sie dazu gehörten. Wenigstens für einen Tag. Ein Selbstversuch.

Klara ist anderthalb und will keinen Sonnenhut mit Schleife aufsetzen. Ein Kind mit Prinzipien, das sich, notfalls auch begleitet von markerschütternden Schreien, auf dem Boden wälzt, um diese zu verteidigen. Zum Beispiel jetzt, direkt auf dem Bürgersteig neben einer Caféterrasse. Vor dem Café in der Schwedter Straße ist kein Parkplatz für Kinderwagen mehr frei und vor dem Café sitzt eine junge Mutter neben der nächsten. Sie trinken frischen Minztee oder stillen. Meine Reaktion auf Klaras Wutanfall ist unbeholfen. Ich ziehe ihr am Ärmel. Klara erhöht die Schreifrequenz.

Eine Mutter schaukelt mit einer Hand den Bugaboo-Kinderwagen Modell Cameleon, rührt mit der anderen Hand eine Süßstoffpastille in ihren Latte Macchiato und guckt. „Da musst du hart sein! Die müssen das ganz früh lernen, dass man bei Sonne ein Mützchen trägt!“ Die Mutter hat Recht, denke ich. Und hätte Klaras Mutter ihr das früh genug beigebracht, dann hätte sich dieses peinliche Szenario hier vermeiden lassen. Klaras Mutter ist meine große Schwester. Ich bin Klaras Tante. Und heute ihre Mutter. Ich trage eine Wickeltasche, habe Knäckebrote dabei, einen Teddy und das Sonnenmützchen.

Der Frühling in Prenzlauer Berg riecht nach Keksfingern und Puder. In den Hausfluren der Mietshäuser stehen mehr Kinderwagen als Fahrräder, und in fast jedem Café gibt es eine Spielzeugecke, frische Waffeln und neonblaues Eis. Der berühmte Babyboom in Prenzlauer Berg ist ein Mythos. Hier gibt es nicht deutlich mehr Kinder als in anderen Stadtteilen. In Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg werden prozentual mehr Kinder geboren als in Pankow, wozu auch Prenzlauer Berg zählt. Leider gibt es über die Beschaffenheit der Mütter keine statistischen Erhebungen, denn sonst würde herauskommen, dass es an ihnen liegt, dass man das Gefühl hat, hier als Nichtmutter in der Minderheit zu sein: Kinder lassen sich bei den jungen, kreativen Bewohnern Prenzlauer Bergs überall integrieren. Ich setze mich auf die Terrasse. Es ist das Café, in dem Freundinnen und ich oft das knifflige Spiel „Wer zuerst einen attraktiven jungen Mann ohne dazugehörigen Kinderwagen sieht, hat gewonnen!“ spielen. Und in dem man schief angeguckt wird, wenn man unter freiem Himmel raucht oder ein zweites Bier bestellt. Nicht vor den Kindern!

Klara bekommt ein Bio-Mango-Eis mit bunten Streuseln und lässt sich widerstandslos den Sonnenhut aufsetzen. Sie nimmt Kontakt zu Robin auf. Seine Mutter lächelt. „Und, wie alt ist ihr’s? Das Wort „Kind“ muss nicht hinzugefügt werden, es ist klar, dass von meinem Kind und nicht etwa von meinem Fahrrad die Rede ist. Wir führen eine kurze Unterhaltung übers Muttersein. Die andere Mutter sagt, ich solle mir keine Sorgen machen, weil Klara noch nicht so viele Haare hat: „Das ist bei meinem auch so gewesen. Dann fragt sie noch, ob bei der Herstellung von Klaras Schuhen auch ja keine Weichmacher verwendet worden seien. Ich gucke auf Klaras coole Schnürschuhe und Robins fiese Filzlatschen und bin mir sicher, dass Robin lieber Weichmacher in den Schuhen hätte.

Wie eine echte Mama hebe ich Klaras fortgeschleuderte Sonnenmütze auf und esse den Rest ihres brutal zugerichteten Mango-Eisbechers auf. Klara klaubt Zigarettenstummel auf. Ich rufe „Bah!“ und schaue mich wütend um, ob ich die ignoranten Raucher irgendwo sehen kann. Dann mache ich das, von dem ich mir immer geschworen habe, es nie zu tun: Ich benetze ein Taschentuch mit Spucke und putze Klaras Zigarettenstummelhände ab. Zum ersten Mal erkenne ich, dass das nicht nur sehr eklig, sondern vor allem sehr praktisch ist.

Wir gehen zum Spielplatz am Helmholtzplatz. Klaras Mutter – meine Schwester – und ich hatten früher mal ein Spiel: Wenn wir unsere Eltern vom Flughafen abgeholt haben, musste sich eine von uns in die wartende Menge eines Linienflugs Berlin-Ankara stellen, ganz laut „Aise“ rufen und die andere musste zählen, wie viele Frauen sich umgucken. Hier auf dem Spielplatz funktioniert das super mit „Marie“ oder „Paul“.

Mütter kennen einander. Wir kommen schnell ins Gespräch. Sie stammen aus München oder der westfälischen Provinz, helfen gern mit einem Feuchttuch aus und machen meinem Kind Komplimente. Auf die Komplimente darf man nichts geben, denn auch ich sage im Gegenzug lauter nette Sachen über die anderen Kinder. Und da ist es egal, dass ich bei dem Kind auf der Rutsche sofort an „Chucky die Mörderpuppe“ denken musste. So sind wir Mütter.

Mein Kind mag Spielplätze. Es ist das erste Mal, dass Klara an einer Schaukel lange anstehen muss. Sie verliert die Lust und hat Durst. Wir suchen erneut ein Mutter-Kind-Café auf.

Klara hat Sonnenbrand. Bestimmt freut sie sich, dass sie morgen wieder auf ihrem Spielplatz in Wilmersdorf sein kann und nicht auf eine freie Schaukel in Prenzlauer Berg warten muss. Und als wir nebeneinander auf dem Mäuerchen sitzen und Bionade aus Strohhalmen trinken, bin ich stolz. Und als ich merke, dass Menschen uns angucken, rücke ich noch ein bisschen näher an Klara heran und streichele ihr über den Hinterkopf. Besonders dann, wenn die Zuschauer offensichtlich keine Kinder haben. Ich bemerke an mir diesen erhabenen Blick, der aussagen soll, dass das Leben ohne eigene Kinder weniger lebenswert ist und der Nichtmüttern meistens auf die Nerven geht. Dann verschluckt Klara sich, hustet einen großen Fleck klebrige Bionade auf ihre Latzhose, guckt mich an und sagt „nass!“. Ihr ist es egal. Und mir auch.

Ich bin ja nicht die Mutter.

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