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Unheimlich ähnlich.

© Kitty Kleist-Heinrich

Namensschwestern: Die doppelte Katja

„Aber Sie wohnen doch schon hier“, bekam unsere Autorin zu hören, als sie sich im Bürgeramt anmeldete. Selber Name, selber Geburtstag – jetzt hat sie sich zum ersten Mal mit ihrer Namensschwester getroffen.

Zwei Pizzen mit Rucola und Tomaten bringt der Kellner an den Tisch – und langsam wird es unheimlich. „Hast du etwa?“, fragt Katja über den Tisch. Ja, habe ich. Die gleichen Zutaten für den Belag meiner Pizza angekreuzt wie sie, auf einem vorgefertigten Zettel in einem Friedrichshainer Restaurant. Mit ihrem Kuli, ja, aber ohne zu gucken, was sie wählt.

Mir gegenüber sitzt Katja Reimann, geboren am 13. Oktober 1980. Sie heißt wie ich, ist geboren am selben Tag und im selben Jahr wie ich – und isst die gleiche Sorte Pizza wie ich. Allein: Zwischen Rucola und Tomaten liegen auf ihrer Pizza Pilze, bei mir sind es Krümel von Schafskäse, sie trägt ihre Haare dunkel und lang, ich meine blond und halbwegs kurz, ihre Augen sind braun, meine blau, wir sind Doppelgänger, Namensschwestern, wie immer man das nennen will.

Getroffen haben wir uns vorher noch nie. Dabei waren wir uns in den vergangenen zwei Jahren schon häufig begegnet, sozusagen formal, auf Papier. Am Briefkasten, wenn Post für sie bei mir ankam. Oder andersherum. Einzelverbindungsnachweise eines Telefonanbieters etwa, die ich über Jahre vermisste, hatte Katja stets pünktlich im Briefkasten. Oder bei Ämtern, wenn ich sagen musste: „Nein, nein, ich bin die andere“.

Die Geschichte von der unverhofften Verdopplung amüsierte meine Freunde. Und doch machte sich ein leichter Verfolgungswahn bemerkbar. In der Hausarztpraxis zum Beispiel, als die Sprechstundenhilfe einmal sagte: Frau Reimann, Sie waren doch vergangene Woche schon mal da. Und ich es nicht war.

Als ich das erste Mal erfuhr, dass es mich in Berlin gleich zwei Mal gibt, meldete ich mich im Herbst 2007 im Bürgeramt Charlottenburg an. „Aber sie wohnen doch schon hier“, sagte der Beamte erstaunt und starrte auf den Bildschirm seines Computers. Ausgeschlossen. Nie vorher hatte ich in Berlin gelebt. Natürlich, der Name Reimann ist häufig, Katja nicht selten. 402 Treffer in Berlin erhält, wer Reimann online im Telefonbuch sucht. Katja stand im Jahr 1980 auf einer im Internet kursierenden, inoffiziellen Liste der beliebtesten Vornamen auf Platz 17.

Aber ein identisches Geburtsdatum? Abgeklärte Statistiker erzählen mir vom sogenannten Geburtstagsparadoxon. Es besagt, dass bereits in einer Gruppe von nur 23 Personen mit über fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit zwei am selben Tag Geburtstag haben. Allerdings spielt der Jahrgang dabei keine Rolle, bei uns schon. Insgesamt, sagt ein Berliner Mathematikprofessor, sei die Wahrscheinlichkeit, dass noch einige solcher „Doppelgänger“ wie wir in einer Großstadt wie Berlin leben, relativ hoch. Nur dass es einen selbst treffe, ergänzt er, sei doch recht unwahrscheinlich. Logik der Statistik.

Der Sachbearbeiter im Bürgeramt jedenfalls war verstört, rief Kollegen zu Rate und teilte mir schließlich mit, dass ich mitnichten so individuell sei wie vielleicht geglaubt, dass es eine zweite Person mit identischen Daten gebe. Nun gut, dachte ich. Nicht weiter schlimm. Ärgerlich wurde es erst später. Als das Finanzamt unsere Steuererklärungen durcheinander brachte, erst nur eine bearbeitete: ihre, nicht meine.

Also begann ich sie zu suchen, rief bei Stadt und Ämtern an. „Das ist ja schrecklich“, sagte man mir am Telefon und versprach Hilfe. Schließlich fand ich ihre Adresse, schrieb einen Brief: Hallo, ich bin deine Doppelgängerin, willst du mit mir einen Kaffee trinken. Sie wollte. „Das ist ja so unwahrscheinlich wie ein Lottogewinn“, schrieb mir Katja zurück. Dass ihre Eltern, Beamte, und meine Eltern, auch Beamte, zwei Ehepaare Reimann also, im Jahr 1980 ihren Töchtern denselben Vornamen gaben. Die eine geboren in einer Kleinstadt im Rheinland, spät am Abend, die andere in Berlin, ebenfalls abends. Sie hat zwei Brüder, ich habe zwei Brüder. Sie kickert gut – und ich könnte es gern.

Wir beide besitzen eine Brille, die wir nie tragen, weil sie uns nicht gefällt. Und wir beide sitzen beruflich ständig vor Computerbildschirmen. Katja arbeitet mit Zahlen, ich mit Worten.

Inzwischen sind beide Katjas aus Charlottenburg fortgezogen – die eine nach Friedrichshain, die andere nach Steglitz. Die Ämter waren erneut verwirrt, offizielle Post für die eine landete bei der anderen und andersherum.

Nun haben wir, damit die Post künftig ihren Weg findet, alles seine rechte Ordnung hat, begonnen, unsere Zweitnamen stets mit anzugeben – auch wenn wir sie beide nicht sehr mögen. Katja Ellen Reimann schreibe ich nun immer, sicher ist sicher. Unsere Handynummern haben wir ausgetauscht, wir treffen uns demnächst wieder. Und ganz bestimmt werden wir uns zum Geburtstag gratulieren. Vergessen können wir das Datum schließlich nicht.

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