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PARTY Gänger: Bohnengold

Es ist gar nicht so einfach, Mitte-Leute spätabends noch nach Kreuzberg zu bewegen. Jetzt noch? Mit der U-Bahn? Wohin überhaupt? So nörgeln sie, und wehe, man hat keinen guten Grund. Einer wäre das Bohnengold in der Reichenberger Straße.

Ewig lang führt sie vom Kottbusser Tor bis fast nach Treptow. Früher ein ungemütliches Pflaster, aber in letzter Zeit haben sich eine Reihe guter Läden hier eingenistet. Auf der linken Seite kurz nach der Mariannenstraße ist das Bohnengold. Was man durch die Schaufenster sieht, ist erst mal nicht weiter besonders. Sessel und Tische aus den Fünfzigern, alles ein bisschen zerschreddert und deswegen ganz gemütlich. Das Besondere kommt dahinter. Denn jetzt folgt ein Zimmer dem nächsten. Erst die Toiletten, dann ein Raum mit Sofas und Kickertisch, und dann noch einer, und wenn man meint, am Ende angelangt zu sein, tritt man durch eine Art Holzverschlag und findet: die Party.

Irgendjemand feiert hier gerade Geburtstag. Luftballons unter der Decke, auf einem Tischchen zwei Kuchen. Nur die Geburtstagscrew ist nicht mehr auszumachen und scheint sich irgendwo zwischen den Feiernden verloren zu haben. Das fällt hier nicht weiter schwer. Mit einem guten vorgeschobenen Grund plaudert hier jeder mit jedem.

Einer davon ist Jerome, ein Franzose, der in Friedrichshain lebt, auf dem Bau arbeitet (obwohl er so filigran aussieht, als könne er keine zwei Steine schleppen) und diesen Laden ganz neu für sich entdeckt hat. „Aber ja, hier sind sehr nette Leute“, schwärmt er. Er fürchte nur um seinen Exotenstatus. Anfang der Neunziger habe es jeweils nur einen Franzosen, einen Spanier und einen Italiener pro Abend gegeben. Jetzt seien sie immer und überall als Gruppe vertreten. Mit seinem Akzent kommt er trotzdem gut an.

Und der Inhalt eines Gesprächs spielt bei späterer Stunde sowieso keine Rolle mehr. An der Bar sitzt einer vor seinem Bier und fordert vehement mehr rationale Emotionalität. Ein junger Mann plädiert für die totale Leidenschaft in einer Affäre und den umso leiseren Rückzug. Eine junge Frau sucht die perfekte Wohnung mit dem perfekten Mann. Und ein Mädchen im grünen Rollkragenpulli, allein an einem der kleinen Tische, setzt ganz auf verrücktes Augenrollen, um Blicke zu erhaschen. Man unterhält sich prächtig im Bohnengold. „Da drinnen flirrt die Luft“, meint ein Mann auf dem Weg nach draußen. Nirgendwo sei er je so angeflirtet worden wie hier. Überall Blicke, Blicke, Blicke. Heute Abend hätte er jede haben können. Ganz sicher.

Bohnengold, Reichenberger Straße 153 in Kreuzberg, Musik und DJ je nach Abend im hintersten Raum.

Johanna Lühr

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