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Philharmonie: Wie der junge Rattle

Yoel Gamzou ist 21 und hat kein Geld. Dafür dirigiert er sein Orchester in der Berliner Philharmonie. Für den Nachwuchsmaestro mit der unglaublichen Geschichte ist es sein bisher wichtigstes Konzert.

Als Simon Rattle zum ersten Mal ein Orchester dirigierte, war er 15. Er hatte kein Geld, aber er trommelte Schulfreunde und ein paar professionelle Musiker für ein Wohltätigkeitskonzert zusammen. Das war 1970 in Liverpool.

38 Jahre später schlägt in Berlin ein junger Mann einen verblüffend ähnlichen Weg ein. Yoel Gamzou, gebürtiger Israeli, ist gerade 21 Jahre und lebt seit einem Jahr in der deutschen Hauptstadt. Er ist ein hagerer, sehr höflicher Typ. Gefragt nach seinem Werdegang, sprudeln kurze, schnelle Sätze aus ihm heraus: „Mit vier Jahren begann ich Cello zu spielen. Mit sieben habe ich zum ersten Mal Gustav Mahlers 7. Sinfonie gehört. Sofort wusste ich: Das wird mein ganzes Leben verändern!“ Gamzou hat dabei dieses Leuchten eines Besessenen in den Augen. So unglaublich die Geschichte klingt, man will sie keinesfalls für unglaubwürdig halten.

Da Gustav Mahler nicht nur Komponist, sondern auch Dirigent war, entschloss sich der 12-Jährige, ebenfalls die Kunst mit dem Taktstock zu lernen. Oder, wie er es in glasklarem Englisch formuliert: „Musik im Kopf machen, sie bauen und nicht bloß spielen.“ Als Sohn einer rastlosen Bildhauerin hat er seine Jugend „zu je 30 Prozent in Israel, New York und London und zu zehn Prozent im Nirgendwo“ verbracht. Ein Kosmopolit, der weiß wie ungewöhnlich seine Geschichte ist. Schon das Wort „Jugend“ klingt seltsam aus dem Mund von jemandem, der wohl in Bars erstmal nach dem Ausweis gefragt wird, wenn er einen Drink bestellt. Zeit oder Geld in Bars zu gehen, hat Yoel Gamzou aber sowieso fast nie. 2002 überrascht er seine Mutter mit der Nachricht, er habe ein Stipendium für New York und werde in drei Stunden das Flugzeug dorthin besteigen. Es folgt ein einsames Leben am Existenzminimum in Paris, London und New York. Er setzt sich in den Kopf, Schüler bei Star-Dirigent Carlo Maria Giulini zu werden, lebt wochenlang auf dem Bahnhof, telefoniert alle Giulinis aus dem Mailänder Telefonbuch durch, ertrotzt sich eine Audienz. Fünf Minuten gestattet ihm Giulinis Sohn, keine Sekunde länger. Doch dann wirft der alte Maestro seinen Sohn raus, Gamzou darf bleiben – bis zu Giulinis Tod 2005.

Für den gerade Volljährigen bricht eine Welt zusammen. Monatelang ist er geschockt, verarbeitet den Tod seines musikalischen und menschlichen Ziehvaters erst, indem er 2006 das „International Mahler Orchestra“ gründet. „Aus Schulfreunden und ein paar professionellen Musikern. Geld hatte ich ja nicht“, erzählt er lächelnd. Das erste Konzert wird ein Erfolg, er darf weitermachen. Ein Preis beim Bamberger Dirigierwettbewerb 2007 öffnet ihm weitere Türen.

Am morgigen Freitag gibt Gamzou mit seinem Orchester in Berlin sein bisher wichtigstes Konzert: Der Nachwuchsmaestro wird zum ersten Mal seine eigene Fassung des ersten Satzes aus Mahlers unvollendeter 10. Sinfonie dirigieren. Seit er 16 ist, arbeitet er an der Rekonstruktion. Führende Mahler-Forscher sowie die Enkelin des Komponisten, Marina Mahler, unterstützen ihn dabei. Komplettiert wird das Programm im Kammermusiksaal der Philharmonie von Mendelssohns „Schottischer Sinfonie“ und Max Bruchs Violinenkonzert, für das Gamzou keinen Geringeren gewinnen konnte als Guy Braunstein, den Ersten Konzertmeister der Philharmoniker. Dessen Chef ist Simon Rattle. Davon ist Yoel, bei aller Ähnlichkeit mit dem britischen Frühstarter, noch weit entfernt. Aber er befindet sich definitiv auf dem richtigen Weg. Daniel Wixforth

Kammermusiksaal der Philharmonie, Freitag, 20 Uhr, Infos unter: International Mahler Orchestra

Daniel Wixforth

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