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Prenzlauer Berg: Die Wut des Fotografen-Dinos

Biomärkte und Coffee-to-go-Läden bestimmen Prenzlauer Berg, sind aber nicht seine Welt Peter Woelck, 61, zeigt seit Jahrzehnten alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen – nun soll er die Kastanienallee verlassen.

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Draußen, vor den Fenstern zur Kastanienallee, laufen hübsch gestylte junge Touristinnen mit großen Sonnenbrillen und Handy am Ohr vorbei. Während drinnen, in der Erdgeschosswohnung des Fotografen Peter Woelck, Schwarz-Weiß- Fotos von einer Zeit erzählen, die noch nichts wusste von Coffee to go, Designerboutiquen und Biosupermärkten. Wohl aber von einem Leben, das Spuren der Hoffnung und des alltäglichen Kampfes um Würde, aber auch der Enttäuschungen und des Verzichts in die Gesichter älterer Werksarbeiterinnen, Müllmänner und Bauarbeiter gegraben hat.

Viele der einfühlsamen und nie aufdringlichen Porträtaufnahmen entstanden in den siebziger Jahren, als der gebürtige Wilhelmshagener Woelck in Leipzig bei Heinz Föppel Fotografie studierte. Nach Abschluss des Studiums kam er 1981 nach Berlin zurück, arbeitete zunächst als Industriefotograf und für Verlage, später selbstständig, stets das Ziel vor Augen, geistig autonom zu bleiben. Seit 1982 lebt Woelck in seiner Wohnung in der Kastanienallee, Ecke Schwedter Straße, aus der ihn der neue Eigentümer des Hauses nun wegen der unerlaubten, angeblich gewerblichen Nutzung herausklagen will; vor wenigen Tagen traf das Schreiben des Rechtsanwalts mit der fristlosen Kündigung bei Woelck ein. „Man wirft mir regen Publikumsverkehr vor“, sagt er. „Dabei verkaufe ich hier nur äußerst selten mal eines meiner Fotos für ein paar Euro.“

Einige Bilder, wie sein bekanntestes, den Leipziger „Müllmann nach der Schicht“ von 1974, hat Woelck in die großen Fenster geklebt. Es ist sein Beitrag zu der zufälligen Collage, die an der unsanierten Häuserecke, neben der seit einiger Zeit ein Showroom für hippe Jungdesigner zu Hause ist, aus abbröckelndem Putz und aktuellen Konzertplakaten entstanden ist. Die Szenerie, in der Alt und Neu nebeneinander existieren, schafft eine Atmosphäre, wie sie Woelck, der genaue Beobachter des einen, besonderen Augenblicks in der Unbemerktheit zeitlicher Übergänge, selbst so oft abgebildet hat. Auch, als er 1968 den gerade erbauten Fernsehturm am Alex fotografierte, der in seiner einsamen Höhe noch so fragil wirkt, dass er von zwei bogenförmigen Laternen gehalten zu werden scheint.

Woelck hat Veränderungen stets begrüßt, auch die in seinem Kiez, noch immer sei hier seine Heimat. „Ich freue mich, wenn alles bunt ist“ sagt der 61-Jährige. Nach wie vor zieht der Künstler mit seiner Nikon auf Spurensuche durch Berlin. „Was ich erlebe und empfinde, ist das eigentliche Motiv“, sagt Woelck. Er sieht die selbstdarstellerische Lust der Feiernden auf der Love Parade, das schmerzvoll-mutige Lächeln in den Augen eines Obdachlosen am Bahnhof Zoo oder den halb wissenden, halb fragenden Blick zurück des kleinen Kindes, das auf seinem Dreirad aus dem rechten Bildrand fährt, einer unbekannten Zukunft entgegen. Vielleicht konnte sich Peter Woelck, das Fotografen-Urgestein aus der Kastanienallee, mit diesem Moment besonders identifizieren. Eva Kalwa

Seine Bilder zeigt Woelck ab 4. August im Galerie-Café Entweder-Oder in der Oderberger Straße 15, Prenzlauer Berg.

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