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Roger Boyes: My Berlin: Bowie, Knut, Wowereit

Mit Knut wurde die Marke Berlin mit neuem Leben erfüllt. Besser wäre es, die Stadt als Gehirn Deutschlands zu präsentieren, als kreatives Zentrum des Landes. Klaus Wowereit tut das nicht mit großem Erfolg.

Es ist leicht zu verstehen, warum der Berliner Zoo bereit ist, Knut ins Exil zu schicken. Er ist nur ein einzelner Eisbär, und bei einem Zoo geht es ja darum, eine Spezies in ihrer Breite zu präsentieren. Aber ich verstehe natürlich auch alle, die ihn in der Stadt behalten wollen. Denn: Die Allgemeingültigkeit der Knut-Geschichte – von der Mutter verstoßen, gerettet durch die Liebe der Menschen – hat die Marke Berlin mit neuem Leben erfüllt. Die Stadt war unverständlicherweise stolz auf ihre Schnauze. Dem Mythos zufolge befindet sich hinter der ruppigen Fassade ein Herz aus Gold. Das Problem bestand leider darin, dass die meisten Besucher nicht lange genug hierbleiben – zehn, zwanzig Jahre –, um den tief verborgenen emotionalen Schatz der Berliner zu heben. Knut liefert den Beweis, dass Berlin, wenn nicht zu Liebe, so doch zu Sentimentalität fähig ist.

Der übergewichtige, gelangweilte, bockige und emotional beschädigte Knut ist gewissermaßen ein Repräsentant der Berliner, ein Markenzeichen der Stadt. Aber ist das schon die ganze Geschichte? Natürlich nicht, Berlin ist clever, oder genauer: voll von cleveren und kreativen Menschen. Klaus Wowereits Aufgabe besteht darin, einen Weg zu finden, Berlin der Welt als Gehirn Deutschlands zu präsentieren, als kreatives Zentrum des Landes. Er tut das meiner Meinung nach nicht mit großem Erfolg. Stattdessen versucht er, Berlin als „cool“ zu verkaufen, obwohl die meisten, abgesehen vielleicht von ein paar Clubgängern, diese Interpretation der Stadt längst ablehnen. Sie ist schon lange nicht mehr Avantgarde. Sie ist jedoch großer Anziehungspunkt für die internationale Kulturelite: Daniel Barenboim, Simon Rattle. Die American Academy ist eine Anlaufstelle für einige der besten amerikanischen Denker und Autoren, Schriftsteller vom Rang eines Jeffrey Eugenides. Der Regisseur Quentin Tarantino ist seit Monaten in der Stadt.

Woran es hapert, ist jedoch die Interaktion dieser Stars mit der Stadt. Wir wissen, dass Brad Pitt sich hier mit Architekten unterhält; dass die Schriftsteller bisweilen Lesungen veranstalten; und wenn wir Rattle sehen wollen, kaufen wir uns eine Karte für die Philharmonie. Verwurzelt sind diese Menschen hier gleichwohl nicht. Kommen sie mit Kindern hierher, schicken sie sie auf internationale Schulen, um sie fit zu halten für den nächsten Boxenstopp in New York oder Mailand. Sie sind in Berlin, aber nicht Teil von Berlin. Die Aufgabe eines Kulturzampanos – Wowereit vernachlässigt diesen Teil seines Jobs – wäre es, solche Leute mit Berlin zu verschmelzen, wie er gerade Knut mit der Stadt zu verschmelzen sucht.

Das ist natürlich keine leichte Aufgabe. Kulturelles Talent ist nomadisch veranlagt und stets in Bewegung. Aber in West-Berlin in den 70ern gelang das ganz gut. Ich habe gerade ein elegantes, kurzes Buch über David Bowies Jahre in Schöneberg gelesen (1976–77), „Helden“ von Tobias Rüther. Es ist voller Anekdoten – dass Iggy Pop, Bowies Mitbewohner in der Hauptstraßen-WG, ihm immer seine KaDeWe-Einkäufe aus dem Kühlschrank klaute – und fängt den Charme jener Jahre gut ein. Bowies Frühstücke in der Schwulenkneipe „Anderes Ufer“ (natürlich Kaffee und Gitanes), seine Trips auf dem Raleigh-Fahrrad in die Hansa-Studios.

Die Rockstars, die damals hier wohnten, mehr oder weniger anonym, produzierten Berlin-Platten, Berlin-Songs – einen Berlin-Sound –, weil sie Teil der Stadt geworden waren. Berlin war nicht nur ein angenehmer oder billiger Ort, um eine Platte (oder einen Film oder ein Buch oder ein Bild) zu produzieren und um dann weiterzuziehen. Bowie verbrachte ganze Tage im Brücke-Museum, dachte über Politik nach und arbeitete solche Gedanken in seine Arbeit ein. Sollte das nicht das Ziel sein? Berlin zum globalen Diskussionszentrum zu machen?

Das kann man nicht von oben herab verfügen, ich weiß. Aber wenn man Berlin als eine Art europäisches New York verkaufen will, dann müssen hier immer weiter neue Ideen generiert werden. Wie wäre es mit einer Sprach akademie, in der sich Autoren und Übersetzer treffen? Warum keine umfassenden Schreiblehrgänge an der FU und Humboldt? Warum stellt man Malern nicht billig Ateliers zu Verfügung, im Tausch gegen Poster oder Straßenkunst, um die Stadt zu verschönern?

Nichts davon wäre eine Bedrohung oder Belastung für die Berliner. Die öffentliche Debatte ums Stadtschloss zeigt, dass es Berlinern nicht egal ist, wie ihre Stadt aussieht. Und es kostete nicht einmal viel Geld.

Dafür braucht man aber Führung, Offenheit gegenüber neuen Ideen und eine gewisse Energie. Diese Qualitäten sucht man bei der gegenwärtigen politischen Klasse leider vergeblich.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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