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Rudolf Springer

© Kleist-Heinrich

Rudolf Springer: Hallo, altes Haus!

Seit fast 100 Jahren wohnt Rudolf Springer in seiner Villa, wo er nicht nur Baselitz und Henry Miller empfing. Ein Besuch beim Doyen der West-Berliner Kunstszene.

Wir sind im verbotenen Raum. Mit 13 durfte er ihn zum ersten Mal betreten: Kinder hatten in der Küche nichts zu suchen, dort saßen die Köchin, das Mädchen und die Kinderfrau. Seine Milch trank er aus einem goldenen Becher, der innen versilbert war, aber, setzt Rudolf Springer schnell hinzu: „Wir lebten nicht auf großem Fuße. Von der Berliner Gesellschaft hielten unsere Eltern sich fern, wenn ich Durst hatte, sagte meine Mutter: Geh an den Wasserhahn.“

Die weißen Einbauschränke, die riesige Spüle, der gewaltige Herd – die Küche sieht noch fast genau so aus wie damals. 1912 hat der Vater, Erbe des Verlages von Urgroßvater Julius (einer der bedeutendsten Wissenschaftsverlage der Welt, nicht zu verwechseln mit dem von Axel Springer), die Villa für die achtköpfige Familie bauen lassen. Ein verschachteltes Landhaus in Zehlendorf.

98 Jahre alt, hat Rudolf Julius Springer fast sein gesamtes Leben im Haus seiner Eltern gewohnt. Und nicht weil er ein braver Junge war. Ob als Ehemann von vier Frauen, Vater von sechs Kindern, Händler unzähliger Künstler: Springer hat immer gemacht, was er wollte, nur ausgestellt, was ihm selber gefiel. Und was das war, wusste er sofort. Als Quereinsteiger ohne kunsthistorische Ausbildung hörte er unbekümmert auf den eigenen Bauch. Die Entschlossenheit in Urteil und Tat hat er wohl von der Mutter geerbt: „Die kannte nur Ja oder Nein, kein Vielleicht.“

Im ersten Stock der Villa hat er nach dem Krieg seine erste Galerie eröffnet: in zwei leer geräumten Kinderzimmern. Als er in den 90er Jahren seine legendäre Galerie in der Fasanenstraße an den Sohn übergab, machte er hier weiter. „Springer moderne Kunst“ steht noch heute an der Haustür. Ein halbes Jahrhundert lang waren die beiden ein Synonym in West-Berlin, Miró und Max Ernst, Baselitz und Lüpertz, Henry Miller und Alexander Calder, Barfuss und Wachweger hat er ausgestellt in Charlottenburg, wo er mit seinem schnellen Auto hinbrauste. Sein Wohnzimmer lag praktisch neben der Galerie: Die Paris Bar war sein zweites Zuhause.

An diesem Nachmittag empfängt Rudolf Springer in seinem Zimmer, das einmal das seines Vaters war, und fängt sofort zu flirten an. Auf dem Schreibtisch ein Sammelsurium von Uhr, Briefbeschwerer, Skulpturen, Baudelaire, ein Bändchen Goethe („Von der Höflichkeit des Herzens“), der neue Katalog von Walther König, ein Foto von Springer in jugendlichen Jahren, wie er „den Riesen macht“ am Reck, darauf ist er immer noch stolz. Springer ist ein Ansammler, noch größer ist das Durcheinander an Kitsch und Kunst im Vitrinenschrank, den er „meine weibliche Komponente“ nennt.

Heute gehört dem Hausherrn nur noch das Erdgeschoss, das Grundstück, ja, das ganze Vermögen ist stark zusammengeschmolzen. Geld hatte er oder auch nicht, so wichtig ist es ihm nicht gewesen, das Kommerzielle hat ihn nie an der Kunst interessiert. Inzwischen hat er „bankrott erklärt“, wie er fast amüsiert erzählt. Den Schlawiner gibt er ganz gerne.

Menschen und Begegnungen sind dem Galeristen immer wichtiger gewesen. Deswegen lässt er sich auch heute, im Rollstuhl, so gern von den mobilen Diensten in die Stadt oder die Oper kutschieren: weil er sich so gern mit den Fahrern unterhält. Sein Bruder, etwas scheuer, hat als Jugendlicher seine drei Hunde „Hallo“, „Fräulein“, „Hören Sie mal!“ genannt, um beim Rufen Kontakt zu knüpfen. Rudolf Springer spricht jeden direkt an, fragt als Erstes nach Familienstand, Alter und Krankheit, „da kriegen Sie alle“.

Ziemlich ungemütlich, dunkel und kalt ist es an diesem herbstlichen Sommertag in der „Diele“, die eher eine Halle ist. Kein Feuer im Kamin, das Licht ist gelöscht, nicht mal richtig möbliert wirkt der Raum; einige Bilder lehnen an der Wand, als hätte sich niemand drum gekümmert, sie aufzuhängen. Der Hausherr gibt sich gerne lässig. Und nicht zu gemütlich oder repräsentativ. Als er 1948 in seiner Kinderzimmergalerie den Bildhauer Klaus Hartung ausstellte und dessen Frau mit Blumen vorbeikam, um die Räume zu schmücken, hat er sie rausgeworfen. Springer ist kein Freund des Dekorativen, nennt sich stolz den Erfinder des „Bildermöbels“. Das Wort hat er geprägt aus Verachtung für all jene, die Kunst als Einrichtungsstück kaufen, weil über dem Sofa noch ein Lücke ist. „Grauenhaft! Solche Leute hab ich gleich weggeschickt.“

Im Vergleich zu den durchgestylten Wohnungen heutiger Großgaleristen wirkt die Springer’sche Diele geradezu bescheiden. Dabei sind sie alle schon hier gewesen, Henry Miller und Baselitz, Berggruen und Schuster, Peter Raue, der als junger Referendar bei Springer Kunst auf Raten kaufte. Hier, in der Diele, hält Springer einmal im Jahr Hof: am 9. April, seinem Geburtstag, ein guter Tag, wie er findet, „da wurden auch Baudelaire und der Junge vom ,Playboy’, Hugh Hefner geboren“. Dann kommt die West-Berliner Kulturgesellschaft und verbeugt sich vor dem Grandseigneur im Rollstuhl oder gibt ihm einen „Glatzenkuss“, wie er ihn nennt: von oben auf den Charakterschädel. Der ist schon seit Jahrzehnten nackt.

An der Dielenwand lehnt ein großes Foto der Eltern, „die hatten nie jemanden anderen“, erzählt der Sohn mit liebevollem Erstaunen – nicht vorher, nicht hinterher, nicht nebenbei. „Da war ich ganz anders.“ Springer junior ist in vierter Ehe mit der Künstlerin Christa Dichgans verheiratet. In der Hommage, die die Galerie Contemporary Fine Arts dem Galeristen gewidmet hat („darauf bin ich rasend stolz“), hängt gleich am Eingang ihr „Portrait Rudolf Springer“: ein aufeinandergetürmter Haufen aus ihrem Leben, Hummer, Toilettenreiniger, eine afrikanische Skulptur, obenauf das Zehlendorfer Haus, im Vordergrund Springer als Stehaufmännchen. „Mir macht das Leben wahnsinnig viel Spaß“, erklärt der 98-Jährige sein hohes Alter und strahlt. Immer wieder blitzt diese Lust aus seinen Augen, wenn er von „den Weibern“ erzählt, wenn er sich amüsiert über seine eigene Frechheit („ich sage immer, was ich denke, nicht, was taktisch ist“), wenn er mit den Fingern über einen Holzdruck streicht („da kann man die Farben noch spüren“) oder ein schweres Buch mit Zeichnungen von Penck aus dem Regal holt: „Hier, das ist was Tolles!“ Helfen lassen will er sich nicht dabei, obwohl der linke Arm seit einem Schlaganfall stark beeinträchtigt ist.

Nach vier Stunden Gespräch scheint er eher erfrischt als ermüdet zu sein, er genießt es, ein Gegenüber zu haben, das seine Geschichten noch nicht kennt. Nach einem Blick auf die Uhr bietet er den obligatorischen Rotwein an, „es ist nach fünf, da darf ich“. „Maßhalten“ nennt er als zweites Rezept. Dass der Lebemann sich an diese Regel gehalten hat, mag man nur schwer glauben, aber es ist wohl auch die Disziplin, mit der der frühere Segler und Tennisspieler noch zweimal in der Woche Gymnastik macht, die ihn so alt hat werden lassen: „Ich bin Preuße. “ Ein bisschen sind’s auch die Gene, die große Schwester lebt auch noch, mit 99. Ein Familienmensch aber ist Springer nicht, wieviele Urenkel er hat? Keine Ahnung.

Springer mag Preuße sein, pünktlich und ohne Pardon, aber einer mit französischem Einschlag: In Paris hat er in den 30er Jahren gelebt, seine erste Frau war Französin, jahrzehntelang hatte er ein Domizil in Südfrankreich. Aber gefragt, wo, wenn nicht in Berlin, er sich vorstellen könnte zu leben, antwortet er: „Norwegen, das sind fabelhafte Leute“.

Eigentlich habe seine Frau Christa Dichgans ihn in ihrem Porträt als Dampfwalze porträtieren wollen, erzählt Springer. „Das habe ich abgelehnt.“ Gepasst hätte es schon. Wenn er zum ersten Mal zu jemandem zu Besuch kommt, erklärt er den Gastgebern gern, was nicht stimmt an der Einrichtung, „beim zweiten Mal hab ich mich ja schon dran gewöhnt. Meistens stellen die Leute ihre Möbel dann auch um.“ Der Berliner kokettiert mit seiner Direktheit, duzt am liebsten jeden sofort, erzählt freudestrahlend vom Besuch in einer feinen New Yorker Familie, wo er trotz Ermahnung am Ende doch „Scheiße“ gesagt hat.

Zum Abschied lässt er sich aus dem Rollstuhl helfen, um aufrecht die Hand zu geben. „Damit Sie nicht denken, dass ich ein greiser Idiot bin, sondern ein kesser Mann.“ Dass er 100 Jahre alt wird, daran hegt der Optimist keine Zweifel. In der Küche, die ihm der liebste Raum im Haus ist, zeigt er noch eine alte Keramikschüssel aus Frankreich, deren Riss mit großen Haken geflickt worden ist. Gerade deswegen hat er sie gekauft: weil da jemandem die Schale wichtiger war als ihre Unversehrtheit. „Es verrät – einen Menschen.“

Rudolf Springer, Marchand d’Art, né 1909, Contemporary Fine Arts, Sophienstraße 21, bis 25. August. Dort ist auch ein Filmporträt von Angelika Margull zu sehen mit Aufnahmen aus Haus und Garten.

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