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Boyes

© Rückeis

Salon: Hühnchen mit Kraut

Kolumnist Roger Boyes las im Tagesspiegel-Salon über Absurditäten im deutsch-britischen Leben.

Das Huhn ist deutsch. Roger Boyes sitzt im Löwenpalais in Grunewald und hält den toten zartrosa Vogel in seiner Supermarktverpackung in die Höhe, gewissermaßen als Beweisstück. Dann beginnt er zu lesen: „Auf dem Hinterteil des Tieres klebte ein Aufkleber mit der wertvollen Information: Alle Bereiche von der Aufzucht bis zur Schlachtung befinden sich in deutscher Hand. Das klang wie eine Frontmeldung.“

Solche nationalen Seltsamkeiten fallen dem Briten Boyes oft auf. Manche beschreibt der Berlin-Korrespondent der Londoner „Times“ in seiner Tagesspiegel-Kolumne „My Berlin“. Andere in seinen beiden Büchern über Deutschland und seine Bewohner, aus denen er an diesem Abend im Tagesspiegel-Salon vorliest. („How to be a Kraut. Leitfaden für ein wunderliches Land“ und „My dear Krauts. Wie ich die Deutschen entdeckte“, beide im Ullstein Verlag erschienen). Vor allem in Letzterem gehe es um „mein absolut absurdes Leben“, sagt Boyes. „Es ist zu 87 Prozent autobiographisch.“ Teil dieses absurden deutsch- englischen Lebens ist zum Beispiel Frau Beckenbender, sein „Guru für alles Deutsche“. Die alte Dame, die schon zu Studienzeiten seine „informelle Nachhilfelehrerin in spezifisch deutschen Fragen“ war, kommt heute manchmal zum Essen vorbei. Zu einer dieser Gelegenheiten verarbeitete er das deutsche Hühnchen – und das Resultat klingt auch nach einer Kriegshandlung: „Es war mit einer ungesund aussehenden Kruste aus dem Ofen gekommen und roch irgendwie nach Paraffin und Neutralreiniger“, liest Boyes.

Und auch in der Pause geht es um’s Huhn: Die Firma eßkultur serviert – wie sollte es anders sein – Chicken mit Backpflaumen und „Kraut“. Die Tagesspiegelleser stellten sich artig in die Schlange zum Buffet, als wollten sie die Thesen widerlegen, die Boyes nach der Pause aufstellt: Deutsche benehmen sich am Buffet wie im Krieg und verwendeten dort militärische Strategien wie in Stalingrad oder Kursk. Die erläutert er mit großen Strichen und Pfeilen auf einer Flipchart. „Die Deutschen fühlen sich immer so, als stehe die Apokalypse unmittelbar vor der Tür. Diese Ängste können sie nur durch ihre Planungswut unter Kontrolle bringen.“ Markus Hesselmann, Tagesspiegel- Korrespondent in London, der die Lesung moderiert, kontert: „Und ihr Briten genießt das Chaos.“ Daniela Martens

Hesselmanns London-Blog: http://london.tagesspiegel.de

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