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Rumänen

© ddp

Scheibenputzer: Urlaub von der Armut

Immer mehr Rumänen zieht es nach Berlin. Sie kommen als Touristen, putzen Autoscheiben, musizieren oder betteln um ein paar Cents. Auch viele Kinder sind dabei – die Behörden schauen weg.

Ihr Rumtata klingt, als ob ein ganzes Blasorchester vor dem Wohnhaus in Neukölln steht. Dabei ist es nur ein Trio: Trommler, Trompeter und ein kleiner Junge mit Schifferklavier stehen unter den Balkonen. Zwei Frauen halten Becher in die Höhe in der Hoffnung, dass die Bewohner Kleingeld regnen lassen. Viele dieser kleinen Kapellen ziehen in diesem Sommer durch die Stadt. Die Musiker sind Rumänen, die in dem Glauben gekommen sind, dass das Geld in Berlin auf der Straße liegt.

Die rumänischen Neuankömmlinge, die meisten von ihnen Roma, sind an vielen Ecken der Stadt zu finden und haben unterschiedliche Einnahmequellen für sich erschlossen: Die einen musizieren, andere sitzen stumm vor ihrer Geldschale am Straßenrand, oder sie belagern Kreuzungen, wo sie Punks oder Studenten Konkurrenz machen, indem sie Autofahrern einen Wischlappen auf die Windschutzscheiben klatschen und ihnen gegen eine kleine Spende zu mehr Durchblick verhelfen. Egal, ob gewollt oder nicht.

Für Christof Kaiser von der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft in Berlin war es nach dem EU-Beitritt Rumäniens nur eine Frage der Zeit, bis die neuen EU-Bürger nach Deutschland kommen würden, um die Hand nach ein paar Cents auszustrecken: „Zwar erlebt Rumänien einen wirtschaftlichen Aufschwung, aber davon merken die Leute in den kleinen Dörfern nichts. Dort herrscht Armut. Die Deutschen haben den Ruf, sehr spendabel zu sein. Das spricht sich herum. Und jetzt, da die Grenzen offen sind, ist es doch logisch, dass die alle hierherströmen.“

Die rumänischen Neuankömmlinge gelten als Touristen, und als solche dürfen sie drei Monate „Urlaub“ machen. „Ist die Zeit um, gehen sie für ein paar Tage wieder zurück über die Grenze, um dann wieder aufzutauchen“, erklärt Kaiser. In Berlin und in anderen Großstädten mieten sie Pensionszimmer oder teilen sich Wohnungen. Kein Problem bei einem Tagesverdienst von 30 bis 40 Euro. „Die Deutschen sind doch selber schuld, sie haben das Gefühl, geben zu müssen. Dann bekommen sie zu hören, dass das Geld für ein Haus in Rumänien gebraucht wird, aber die bauen keine Häuser, sondern stecken das Geld in Autos und sonstige Dinge“, erklärt Christof Kaiser. Seit 30 Jahren beschäftigt sich Kaiser mit dem Land, in dem man an jeder Straßenecke um kleine Spenden gebeten wird. Was ihn besonders ärgert, ist die Tatsache, dass oft Kinder mit nach Deutschland geschleppt werden, die eigentlich zu Hause die Schulbank drücken sollten, aber wegen des „hohen Mitleidsfaktors“ unverzichtbar sind. Christof Kaiser gibt ihnen nie etwas, weil sie in ihrem Heimatland kostenlos zur Schule gehen und an der Schulspeisung teilnehmen können.

In Berlin dagegen scheint die Unsicherheit im Umgang mit dem neuen Typus Tourist groß zu sein. Beim Deutsch-Rumänischen Forum heißt es, dass man sich nur für die gute internationale Beziehung zwischen Deutschland und Rumänien interessiere, nicht für Rumänen, die kurzfristig hierherkämen. Auch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales fühlt sich nicht zuständig und verweist weiter an die Polizei. Doch die Straßenmusik ist nicht strafbar, ebenso wenig wie Betteln oder Scheibenputzen. Für die Polizei ist das Thema „eine Grauzone“. In der Vergangenheit mussten sich die Ermittler mit rumänischen Kinderbanden beschäftigen, die Passanten bestahlen, auch mit Hütchenspielern gab es Probleme. Die neuen rumänischen Touristen verhielten sich allerdings überwiegend friedlich, heißt es. Man könne nur gegen sie vorgehen, wenn sich jemand belästigt oder bedroht fühlt. In solchen Fällen kann die Polizei Platzverweise aussprechen. Auch für die Kinder könne wenig getan werden. Erst wenn das „Kindeswohl gefährdet ist“, heißt es, darf die Polizei einschreiten – zum Beispiel, wenn sie unterernährt sind oder Spuren von Misshandlungen aufweisen. Auch von Kinderarbeit dürfe man nicht sprechen, weil die Kinder keinen festen Lohn bekommen, sondern nur eine Spende.

Christof Kaiser hält die Situation gerade der Kinder dennoch für problematisch. Die Politik müsse nach Lösungen suchen. Denn für ihn ist klar, dass die rumänischen Gelegenheitsjobber kein Phänomen von kurzer Dauer sein werden: „Es werden noch mehr kommen.“

Antonie Rietzschel

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