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Schillertheater: Comeback eines Altstars

Moderne Bühnentechnik, mehr Klangfülle, eine neue Montagehalle: Das Schillertheater wird Opernhaus – und Übergangsquartier.

Andreas Zerr klopft den Gipsstaub von der Jeans, dann balanciert der Architekt auf Brettern über frischen Estrich in den Theatersaal und schreit gegen einen kreischenden Bandschleifer an: „Hier können Sie in der Saison 2010/11 ,Das Rheingold’ von Richard Wagner erleben.“ Staub legt sich auf die Zunge, der Arbeiter auf dem Gerüst an der Wand schleift weiter schwarze Farbe von den Paneelen, beseitigt ein Stück Theatergeschichte. Boy Gobert, Intendant des Schillertheaters in den achtziger Jahren, hatte den Saal so düster streichen lassen, in der Künstlerszene damals der letzte Schrei. Jetzt wird das Buchenholz darunter freigelegt. „Sieht das nicht gut aus?“ fragt Zerr und zeigt auf eine fertige Wandpartie. „Wenn die Oper ab Oktober hier spielt, wird das den Gästen gefallen.“

Draußen auf der Bismarckstraße schiebt sich unterdessen der Verkehr durch den trüben Morgen. Die Portale zum Theater sind verschlossen, der Vorplatz ist menschenleer, die Fassade so grau wie eh und je. Keine Spur von Großbaustelle. Doch an der der Rückseite des Bühnenhauses sieht es ganz anders aus. Kleinlaster und Kombis parken kreuz und quer. Es wird mit Hochdruck gearbeitet.

30 Firmen, rund 100 Mitarbeiter verwandeln den Fünfziger-Jahre-Bau des früheren Sprechtheaters in ein Opernhaus. Anfang 2009 haben sie begonnen, bis September soll alles fertig sein – ein Übergangsquartier. Die Staatsoper Unter den Linden zieht für drei Jahre ein, ihr Domizil wird in der Zeit saniert. Am 3. Oktober soll sich im Schillertheater erstmals der Vorhang heben – mit einer Uraufführung.

Für die verantwortlichen Architekten Andreas Zerr und Peter Hapke ist der Umbau eine Premiere. Sie haben den Aussichtsturm an der Gedenkstätte Bernauer Straße gebaut oder das Mahnmal zur Bücherverbrennung am Bebelplatz, aber noch keine derart ungewöhnliche Verwandlung dirigiert wie an der Bismarckstraße. Wer die besten Spielorte ihrer Baustelle sehen will, dem zeigen die beiden Mittvierziger zuallererst den Rang, überwinden Absperrbänder, laufen Slalom um Handwerker, die rhythmisch hämmern, als wollten sie das Haus schon mal auf die Oper einstimmen. Von der Balustrade aus sieht man am besten auf die Bühne.

Dort hat Peter Weiss 1964 sein legendäres Stück „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ inszeniert. Jetzt arbeiten hier Männer auf einem Gerüst knapp unter der Saaldecke. Sie installieren bauchige Segel aus Gipskarton, das künftige Proszenium: Es reflektiert Orchesterklänge in den Saal. Überhaupt, die Akustik. „Da hat die Oper ganz andere Ansprüche als ein Sprechtheater“, sagt Zerr. Um die sogenannte Nachhallzeit zu verlängern, wurden schon die schallschluckenden Veloursböden im Saal entfernt.

Die rund 1000 Sessel aus den Sechzigern kehren dagegen aufgemöbelt wieder in den Saal zurück, die Muranoglas-Lampen an der Decke findet das Architekten-Duo zwar hässlich, aber sie bleiben hängen. Der Umbau soll kostensparend und effizient sein. 26 Millionen Euro darf alles kosten. Deshalb wird nur so viel überholt, verändert oder neu geschaffen, wie es der Opernbetrieb erfordert. „Der Fokus liegt auf den Essentials“, sagen die Planer. Beispiel: der Orchestergraben. Der Vorgänger war viel zu klein, inzwischen ist er für 120 Opernmusiker auf 7,5 Meter Breite und 15 Meter Länge vergrößert. Er wirkt jetzt wie der Frachtraum eines Binnenschiffes. Von ihren Einspielzimmern erreichen ihn die Instrumentalisten auf direktem Weg. Früher mussten sie durch verwinkelte Gänge und über eine Wendeltreppe laufen. „Stellen Sie sich mal vor“, sagt Peter Hapke, „wie die Musiker ihre Kontrabässe da hochgeschleppt haben.“

Auch die komplette Bühnentechnik wird gerade ausgetauscht. Neue Hydraulik, elektrische Seilwinden statt Handzüge, eine Bühne mit eingelassenen Scheiben, die sich wie Tortenplatten drehen lassen. So bewegen sich Dekorationen und Darsteller im Kreis. Darüber verliert sich der Blick im 31 Meter hohen Bühnenturm. Nur ganz oben glänzt Stahl. Es sind die Träger des neuen Schnürbodens. Sein Vorgänger war altersschwach. „Der hätte die tonnenschweren Kulissenteile, die in den Bühnenhimmel hinaufgezogen werden, gar nicht halten können“, sagt Andreas Zerr.

Und dann zeigt er den Clou des Umbaus: die neue Montagehalle aus Beton. Kulissen kann man hier vorbauen und auf Untersätzen schnell zur Bühne rollen. Unter den Linden ist das komplizierter, Umbauten werden dort auf Nebenbühnen vorbereitet. Für die Halle musste zwar ein Teil des Bühnenhauses weichen, aber das hat Vorteile. Über der Halle haben sie gerade eine Probebühne eingebaut, nah an den Künstlergarderoben, dem Orchesterprobenraum oder Kostümfundus. Und ein neuer Aufzug, neun mal drei Meter Fläche, schafft alles, was zur Bühne muss, ins Parterre. Das sind für ein Stück bis zu 80 Chorsänger, zwei Lkw-Ladungen Instrumentenkoffer und 300 Kostüme.

Oper mobil, optimierte Arbeitsabläufe, kurze Wege. „Hier entsteht das am besten funktionierende Bühnenhaus Berlins“, sagen die Architekten. „Vielleicht wollen wir 2013 da gar nicht mehr raus“, scherzt Staatsoper-Intendant Jürgen Flimm. Jedenfalls sieht er den Umzug als „experimentelle Phase, die uns gut tun wird“. Ab 2014 soll die Komische Oper das Schillertheater übergangsweise beziehen.

Die Theaterräume werden jetzt neu gestrichen, das Interieur erhält das Bild der fünfziger Jahre zurück, im Theatersaal werden warme Holztöne dominieren. Im Foyer haben Restauratoren das Beige der Achtziger abgekratzt, bis sie zartes Ocker freilegten. So soll es an der Sektbar wieder aussehen. Sind die Maler fertig, wird champagnerfarbener Teppich ausgerollt.

Der Effekt ist derzeit allenfalls zu erahnen. „Es läuft alles nach Plan“, sagen die Architekten, sie teilen ihren Optimismus mit dem Namenspatron der Bühne. „Ich habe immer ein gewisses Vertrauen in die Oper gehabt“, stand bis vor kurzem auf einer Banderole am Theaterportal. Friedrich Schiller schrieb das 1797 an Goethe.

Lust auf eine Besichtigung der Schillertheater-Baustelle? Am Freitag, 5. März, führt Architekt Andreas Zerr zwei Gruppen à 20 Leser durchs Theater (Beginn 14 und 15 Uhr). Die Plätze werden verlost. Bewerbung unter verlosung@tagesspiegel.de

 Christoph Stollowsky

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