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Schriftsteller: Mahlsdorf – Friedenau 1:1

Vorige Woche wurde Schriftstellerin Herta Müller gefeiert, jetzt Kathrin Schmidt. Zeit, in ihrem Viertel vorbeizuschauen.

Es riecht nach Rosmarin und Herbst. In den Gärten hinter den Einfamilienhäusern leuchten Birkenstämme, Buchenlaub und das satte Rot alter Rosen. Der Postbote, der auf seinem Rad über das Kopfsteinpflaster holpert, scheint genauso in diese Idylle zu gehören wie das alte Ehepaar, das Hand in Hand über die Straße geht. Er ist 94, sie 82, viele Jahre leben sie schon in Mahlsdorf. Dass die Schriftstellerin Kathrin Schmidt, die am Montag mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden ist, ebenfalls hier wohnt, wissen die Senioren nicht. Obwohl sie gerne lesen, sagen sie.

„Das machen fast alle Mahlsdorfer, ob alt oder jung“, erzählt Ute Kohlhoff. Die 50-Jährige ist seit 21 Jahren Filialleiterin der Buchhandlung Petras in der Fritz-Reuter-Straße. Es ist die einzige Buchhandlung in Mahlsdorf, doch Autorin Schmidt selbst sei noch nie hier gewesen. Dennoch hat Kohlhoff erst mal 20 Exemplare des prämierten Romans „Du stirbst nicht“ vorbestellt, erste Nachfragen von Kunden gab es schon.

In den 60 Jahre alten Holzregalen der Buchhandlung steht auch das Kinderbuch „Guten Tag, Frau Igel“, das Ingeborg Meyer-Rey illustriert hat. Auch die bekannte Kinderbuchillustratorin und -autorin der DDR hat bis zu ihrem Tod 2001 in Mahlsdorf gelebt. Nicht weit von der Straße mit den tiefen Schlaglöchern und den weißen Gartenzäunen, in der Schmidt, die 1997 Stadtschreiberin in Hellersdorf war, mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern wohnt. Vor ihrem Einfamilienhaus streckt ein Zitronenbaum dem kalten Oktoberwind trotzig seine Früchte entgegen. Großstadtidylle – fast wie am anderen Ende der Stadt, in Friedenau, wo seit einer Woche mit Herta Müller eine Literaturnobelpreisträgerin wohnt. Kleiner Kiez, große Ehre.

In Mahlsdorf holt gerade ein Nachbar die Post aus seinem Briefkasten. Sein Familienname steht darauf, nennen möchte er ihn nicht. Wie überhaupt die Mahlsdorfer unangenehm berührt zu sein scheinen von dem plötzlichen Interesse an ihrem Musiker- und Dichterviertel. Dabei hat hier mit Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf einmal der berühmteste und nicht gerade öffentlichkeitsscheue Transvestit der DDR-Geschichte gewohnt und hier 1960 das bis heute populäre Gründerzeitmuseum eröffnet.

Doch die Autorin Schmidt kennt fast niemand hier und falls doch, schweigt man sich, wie der Herr am Briefkasten, lieber darüber aus. Er fände es auch nicht gut, wenn Frau Schmidt über seine Patente reden würde, sagt er. Wofür die gelten, will er nicht verraten. Einen Tipp habe er aber für seine Nachbarin, sagt er und lächelt: „Sie soll die 25 000 Euro Preisgeld nehmen und verduften, bis sich der Rummel hier gelegt hat.“

Ein paar Straßen weiter erzählt Psychotherapeutin Jutta Steffens, dass sie mal mit Schmidts Mann, der ebenfalls Therapeut ist, in einer Beratungsstelle zusammengearbeitet hat. Sie hat Schmidts langwierige Krankengeschichte nach einer Gehirnblutung, auf der der stark autobiografisch gefärbte Roman „Du stirbst nicht“ beruht, selbst am Rande miterlebt. „Deshalb finde ich das Buch so interessant“, sagt Steffens. „Und weil es Spaß macht, manche Personen von hier darin wiederzuerkennen.“ Eva Kalwa

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