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Fremde Nachbarn: Rudolf Konschak (l.) wohnt im ehemlaigen Osten, am Engeldamm. Mehmet Kalin lebt am Bethaniendamm, auf der Westeite.

© Mike Wolff

Serie (1) - 20 Jahre Einheit: Nachbarn im Mauerschatten

Rudolf Konschak und Mehmet Kalin wohnen sich gegenüber, aber in vollkommen unterschiedlichen Welten. Früher verlief zwischen ihnen der Todesstreifen. Heute trennt die beiden eine neue Grünanlage.

Eine selbst gezimmerte Bretterdatsche mitten in Berlin, zwei Etagen hoch, das „Baumhaus an der Mauer“. Rudolf Konschak kann nach 20 Jahren immer noch nicht glauben, dass so was in Deutschland möglich ist. Kein Statiker hat sich je hier blicken lassen. „Würden sie sofort sperren“, brummelt Konschak, der Mann von der Ostseite. Mehmet Kalin, der Wessi mit türkischen Wurzeln, lacht und erzählt, wie seine Freunde zur Wendezeit die neu errichtete Datsche begutachteten. „Die haben gesagt: Ich fühle mich wie zu Hause, weil es so illegal gebaut ist.“

Die beiden Männer sitzen auf der Baumhaus-Veranda mit Blick auf Konschaks Elternhaus am Engeldamm. Mehmet Kalin hat zum Tee geladen, stellvertretend für seinen Vater Osman, der an Alzheimer erkrankt ist. Die Konschaks und Kalins sind Nachbarn, seit rund 30 Jahren, und einander doch fremd. Früher stand die Mauer zwischen ihnen, jetzt trennen sie eine Grünanlage und kulturellen Barrieren.

Rudolf Konschak, ein kleiner, kompakter Sportsmann, wurde vor 76 Jahren hier geboren. Sein Vater war im Viertel eine Instanz, ein Hüne, der die Nägel mit der bloßen Hand ins Tresenholz drücken konnte. Von ihm übernahm der Sohn die Tischlerei. Ein paar Häuser weiter gab es früher eine Möbelfabrik. „Die haben für die Russen Schlafzimmer gebaut.“ Inzwischen sind die Räume zu teuren Lofts umgebaut. „Da hat die Almsick, die Schwimmerin, mal gewohnt.“

Mit der Berliner Mauer verbindet Konschak vor allem skurrile, bisweilen auch schreckliche Erinnerungen. Leitern im Hof mussten immer angekettet werden, damit sie nicht zur Flucht benutzt wurden. Wenn Konschak Geburtstag feierte, verlangte die Polizei eine vollständige Gästeliste. Und der Engeldamm war zur engen Gasse mutiert, weil mittendrauf die Hinterlandmauer verlief. Nur mit dem Handkarren konnten sie hier Material transportieren.

Vom Todesstreifen jenseits der Mauer hat Konschak noch das Heulen und Rasseln der Kettenhunde im Ohr. „Die bekamen am Tag nur 200 Gramm Futter, damit sie scharf bleiben. Gab ja bald keine Karnickel mehr, haben die Hunde weggefressen.“ Manchmal stießen die Hunde auf ihrer Wachtour gegen die Signaldrähte. „Dann gab es Alarm, alles wurde hell.“ Einmal war der Alarm echt. Jemand wollte durch die Sperranlagen. „Damals wohnten wir in der Melchiorstraße, vierter Stock, mit bestem Blick über die Mauer. Die Grenzer riefen: Verschwinden sie vom Fenster, das hat Konsequenzen!“ Der West-Flüchtling, der seine Mutter im Osten auf offiziellem Weg nicht besuchen durfte, kam nur bis zum Maschendrahtzaun.

Normalerweise verliefen die Grenzdurchbrüche in die andere Richtung. Damit Flüchtlinge schnell aus der Schussbahn der Soldaten kamen, standen die Haustüren auf der Westseite immer offen, erzählt Mehmet Kalin. Er kam 1980 als 16-Jähriger aus der Türkei und fing gleich an zu arbeiten. Die Familie zog an den Bethaniendamm, direkt im Mauerschatten. Hier war es billig und ruhig. Von den deutsch-deutschen Verwicklungen erfuhren die Kalins meistens aus dem Fernsehen. Zweimal reiste Mehmet in den Osten. Im Gedächtnis blieben ihm der Fernsehturm und der Geschmack eines vorzüglichen Kaninchenrückens, den er in einem Dresdener Lokal verspeiste´

Mitte der achtziger Jahre suchte Mehmets Vater Osman einen Nebenerwerb für den Ruhestand. Sein Blick fiel auf einen kleinen, vernachlässigten Winkel an der Mauer. Dort wucherte Unkraut über Schutt und Sperrmüll. Osman Kalin entschied, hier Zwiebeln und Knoblauch anzubauen. Dass sein Gemüse auf dem Territorium der DDR gedieh, weil die Mauerlinie nicht genau der Grenze folgte, ahnte er nicht. Die DDR-Soldaten kamen eines Tages durch eine Mauerluke, um die Besitzverhältnisse zu klären. „Es entwickelte sich eine Freundschaft. Zu Weihnachten bekamen wir immer ein Paket mit Keksen und Wein.“ Als die Mauer verschwand, blieb Osmans Garten übrig und wurde zum Medienereignis.

Inzwischen ackert Sohn Mehmet im Garten. Er hat viel Zeit, weil er wenig Arbeit findet. Seit der Wende ist es schwieriger geworden mit Jobs im Wegebau. Ende der 90er Jahre machte Mehmet eine Ausbildung zum Elektriker, eine Anstellung bekam er nicht. Als die Mauer verschwand, sagten seine Freunde, dass nun die Deutschen aus dem Osten die Jobs kriegen, die bislang für sie abfielen. Mehmet zuckt mit den Schultern. Offenbar hatten sie recht. Für Konschak lief es besser. Er half beim Sanieren der Altbauten mit und verstand sich gut mit den neuen Hausbesitzern aus dem Westen.

Was sich in den 20 Jahren seit der Wende sonst ereignet hat? Nicht der Rede wert, findet Rudolf Konschak. Die Linden, die sie zur Wende gepflanzt haben, sind groß geworden. „Früher standen hier Pappeln.“ Dann schweift er wieder in seine Jugend ab. In der Nachkriegszeit wohnten am Bethaniendamm viele Klassenkameraden. Gemeinsam plünderten sie die Trümmerberge, sammelten Munitionsreste und trieben gefährlichen Unfug. Der Grünzug des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals war Schwarzmarkt für alle Arten von Schiebereien zwischen den Sektoren.

Das Kreuzberg von heute ist für Konschak eine andere Welt, geeignet allenfalls für Kurzausflüge. Besucher führt er gerne durch die Oranienstraße, „um ihnen einen Schrecken einzujagen“. Für länger fährt er auf einen Campingplatz am Liepnitzsee bei Wandlitz. Neidisch auf Kalins Stadtdatsche ist er nicht. „Wir haben’s viel schöner am See.“ Neugierig ist er aber doch.

Konschak: „Habe da mal gesehen von drüben, wie er an den Hydranten geht, Rohr rein – mit ’nem C-Rohr gießen sie hier.“ (lacht)

Kalin: „Haben wir gemietet. Da kann man schön gießen. 2008 haben wir Brunnen bauen lassen, alles vom Senat genehmigt. Dürfen im Jahr 40 Kubikmeter Wasser abzapfen.“

Konschak: „Dann hat das ja seine Richtigkeit. Stell dir mal vor, wir drehen jetzt auch das Ding auf. Bei uns geht das ja nich’, im Osten.“

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