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© Imago

Sinnkrise in Prenzlauer Berg: Gibt's noch was außer Eigentumswohnung?

Schöne Mütter, schicke Kinder, totalsanierte Straßen: Prenzlauer Berg hat sich gewandelt. Doch jenseits des gesträhnt gefönten Seitenscheitels tut sich eine Leere auf. Was fehlt zum jungbürgerlichen Glück?

Man kann reisen, ohne sich zu bewegen. Dauert nur länger. Hat dann aber auch was Endgültiges – ganz ohne Rückfahrschein. Im Prenzlauer Berg ist das gepflegte Vorortambiente angekommen. Nicht erst seit gestern. Aber erst jetzt wurde ich von der gepflegten Langeweile, der perfekten Kombination von Kinderkleidung, den breiten matt stylisch scheinenden Eheringen, dem grinsenden Klacken der Digitalkameras und dem angerichteten Brunch in Silberstockwerken endgültig mit einer Schelle aufgeweckt. Man heult vergangenen Zeiten nicht nach. Man verändert sich ja auch. Die Depression wäre programmiert. „Kind, Du musst auch mal loslassen!“

Vor Jahren liefen die Gespräche der Mütter, ob im Cafe am Kollwitzplatz oder im Sandkasten noch anders ab: „Hast Du schon gehört? Lisa ist nicht mehr mit Tom zusammen. Morgen mach ich ’ne Extraschicht bei H&M, Inventur. Das ist echt super, so ein bisjen Kohle extra.“ Augenringe gab es um die Augen gratis. Der Kaffee in der Hand, die Rettung, um den Vormittag zu überstehen bis zum Mittagsschlaf vom Kind. Dem wurde prophezeit: „Ob de willst oder nicht.“ Fast alle waren mal auf dem Sozi, um die Erstausstattung abzuholen.

Das hat sich geändert. Wenn man heute seine Ohren aufsperrt, kann man die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen erfahren. Die Mütter um die Vierzig sehen gepflegt aus. Die nachgetönten Haare sitzen perfekt. Gesteppte Jacken bei den Kindern sind Standardcode, man versteht sich. Ein Vermögen an Kinderwagenwert steht vor dem grünen Metallzaun. Ein unauffälliges Kinderoutfit kann hier die 400-Euro-Marke schaffen. Die Männer haben auch gepflegte Frisuren, oft einen welligen Seitenscheitel und wie die Kinder grün gesteppte Jacken an. Gibt es was zu jagen? Den Schwiegereltern wird der Kiez gezeigt.

Cafes, Restaurants, Luxus- Kindershops, Interior Design Werkstätten, Wellness Oasen, Schönheitssalons, Eisläden alles hausgemacht, säumen die total sanierten Straßen. Die Manufaktur der Dinge wird wieder entdeckt: Geigen, Kinderspielzeug aus Holz handbemalt, Torten, Käse, Öle, Seifencremes. Wertarbeit hat ihren Preis. Wir zahlen gern.

Neben den noch geduldeten CO2- Heizpilzen sitzen die Gäste essend, trinkend auf den Terrassen. Frühstückstürme werden serviert mit den köstlichsten Früchten, luftgetrocknetem Schinken und französischem Käse. Die Teekarte liest sich wie eine Reise ins Land der Sinne. Milchschaum perfekt situiert mit der kunstvollen Spitze, die jede Wiener Melangerie in den Schatten stellen könnte, machen das Glück perfekt. Glück, das man immer haben kann. Kann man die Milchschaumspitze vielleicht auch zweimal drehen? Oder mit fettarmer ökologischer Sahne frisch von der Kuh im Holztrog entrahmt schichten wie eine White Russian? Das wäre eine Aufgabe.

Über der Käseglocke Prenzlauer Berg schwebt latent die Frage: „Gibt es einen Sinn? Kann es eine Herausforderung jenseits der Rate für die Eigentumswohnung und dem gesträhnt geföhntem Seitenscheitel geben?“

„Oh, nein. Nein. Shit, oh my god. Mir hat eben eine Taube auf den Kopf gekackt“, kreischt eine Frau mit hohen Stöckelstiefeln en vouge mit Plateauspitzen, eng gezurrtem Guccigürtel über der taillierten braunen Lederjacke. Ihr männlicher Begleiter mit Boss-Fliegerbrille blickt sehr besorgt. Oh, Nein, heute geht es nicht in den Kampf, um an ein Ideal zu glauben. Es geht um Taubenschiss auf dem Kopf der Dame für heute Nacht.

Manchmal gibt es noch ein unsaniertes Haus. Mit Videokameras wird es archiviert. Sind das die neuen Besitzer oder Touristen? „Kinder, kuckt mal schnell. So hat das früher hier mal ausgesehen.“

„Mama findest Du das schöner?“, fragen die Kinder dann zurück.

„Nö. Aber so sah es eben mal aus hier, alles. Ich habe damals nie ein Foto gemacht.“

Jogger umkreisen den Kollwitzplatz mit Basecaps und I-pod. Ein kleiner Junge rennt nach seinem Ball und übersieht die joggende, taffe Frau. Sie prallen aufeinander. Groß knallt auf Mini. Der Rhythmus der joggenden Frau, Mitte dreißig, in engen schwarzen Lauftights und straffem Pferdeschwanz am Hinterkopf ist unterbrochen. Der Pferdeschwanz und ihre Muskeln kommen unerwartet zur Ruhe. Der Blick, den sie auf den Jungen wirft, und ihr Kopfschütteln sind so voller Verachtung und Unverständnis, dass einem das Blut in den Adern gefriert.

Die Berliner Mietskasernen wandern weiter an den Stadtrand. Vier Kilometer weiter in der Berliner Allee in Weißensee ist auf Plakaten zu lesen: „Kindergeld nur für deutsche Kinder.“ Sieht man aber nur, wenn man da hinfährt. Oder mit der Tram fährt. In der Straßenbahn sitzt ein Soldat auf Freigang mit seiner Freundin. Es ist die M4 Richtung Hohenschönhausen. Er hat blond-getönte und sie schwarz gefärbte Haare. Solarium-braun sind sie beide. Hypnotisiert spielen sie auf ihren Handys rum. „Eh Süße, weißt du wie geil das war mit dem Panzer zu fahren. Mit so einem Riesen Ding. Das war so ein geiles Gefühl. Nicht nur in der Kaserne, sondern richtig da draußen, ey, auf der Straße, draußen“, erzählte er mit aufrichtiger Begeisterung seiner Freundin. Die sieht ihn fasziniert an. Ihre Füße stecken in schneeweißen Füßlingen und Buffalo-Turnschuhen. Sie macht eine Riesenblase mit dem Kaugummi.

Auf dem Kollwitzplatz zielt ein Junge mit einer Wasserpistole ohne Wasser auf andere Kinder. Mit kollektivem Blick wird der Verantwortliche des erzieherischen Fremdlings gesucht. Die Mutter outet sich selbst. Mit roten Flecken im Gesicht hastet sie zu ihrem Zögling hin und versucht ihm das Plastikding aus der Hand zu reißen.

Zum Kaufhof am Alex: für 70 Euro Schulbedarf für Sohnemann kaufen. Auf dem Rückweg in der Rosa-Luxemburg-Straße an der Volksbühne vorbei. Vor Monaten hing dort ein Riesenplakat: „Don’t look back.“ Ne, mach ich ja gar nicht.

Tanja Leston

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