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Hunzinger

© ddp

Skulptur: 93-Jährige formt Denkmal für Rosa Luxemburg

"Rosa war eine tolle Frau": Die Berliner Künstlerin Ingeborg Hunzinger fühlt sich mit 93 Jahren noch nicht alt genug, um nur mit ihrem Hund zu spielen. Sie werkelt an einer Skulptur von Rosa Luxemburg, die bald vor der Volksbühne zu sehen sein soll.

Mit beiden Händen stützt sich Ingeborg Hunzinger auf ihren Krückstock und starrt wütend die halbfertige Tonfigur an. Eine lebensgroße Skulptur von Rosa Luxemburg (1871 - 1919), das sollte die Krönung ihres Lebenswerkes werden. Doch die 93-jährige Künstlerin ist nicht zufrieden: Die Füße sind ihrer Meinung nach zu groß, die Schultern zu breit. "So ein dickes Ei, furchtbar!" Sie sticht mit einem spitzen Messer in den Ton, der Körper soll schlanker werden. Schließlich sei Rosa sehr eitel gewesen. Einen breiten Hut will sie ihr noch modellieren und das Kleid später mit Blumen bemalen.

Die Künstlerin kramt ein vergilbtes Bild der Revolutionärin hervor und betrachtet es aufmerksam: "Rosa ist mein Schwarm, sie war eine tolle Frau." Luxemburg habe für eine gerechtere Welt gekämpft und sei für ihre Idee gestorben. Von der Notwendigkeit einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft ist auch Hunzinger überzeugt. Als 17-Jährige trat sie in die Kommunistische Partei ein, sie wollte die Ursachen von Armut und Elend bekämpfen - ein Ansatz, der bis heute ihre Kunst prägt.

"Was soll ich denn sonst machen?"

Jeden Morgen nach dem Frühstück macht sich die Bildhauerin an die Arbeit. Sie wirft sich einen alten Kittel über und trippelt in pinkfarbenen Schuhen ins Arbeitszimmer ihrer Wohnung in Rahnsdorf. Ihr Atelier im Garten hat keine Heizung, dort kann sie nur im Sommer arbeiten. Fragen nach ihrer Kraft und Ausdauer hört die ältere Dame gar nicht gerne. "Was soll ich denn sonst machen? Den ganzen Tag mit dem Hund spielen?" Hunzinger streckt die Zunge raus. Außerdem werde die Skulptur von Rosa Luxemburg sonst nie fertig.

Einen Platz hat Hunzinger schon ausgesucht: Auf dem Rasen vor der Volksbühne soll die Figur stehen, direkt neben der kleinen Birke. Ihre Kunst ist für den öffentlichen Raum bestimmt. Wenige Meter weiter setzt das wohl bekannteste Werk der Künstlerin langsam Moos an: Das Denkmal "Frauenprotest" in der Rosenstraße erinnert an den mutigen Widerstand von Frauen, die 1943 gegen die Verhaftung ihrer jüdischen Männer demonstrierten und so deren Freilassung erzwangen. Das Werk aus rötlichem Stein liegt Hunzinger am Herzen, ihre Mutter war Jüdin und sie damit auch. Gläubig sei sie aber nicht - "weder so noch so", sagt die gebürtige Berlinerin. Doch unter den Nazis musste Hunzinger ihr Studium abbrechen, es folgte ein Berufsverbot. "Jüdin und Kommunistin, das war zu viel."

Flucht vor den Nazis

Hunzinger floh während der NS-Zeit nach Italien. Dort verliebte sie sich in Michelangelo - und in den Maler Helmut Ruhmer, mit dem sie erst nach Sizilien und dann in den Schwarzwald zog. Sie bekamen zwei Kinder, die Heirat war ihnen aufgrund der Rassengesetze verboten. Kurz vor Kriegsende wurde Ruhmer eingezogen und fiel zwei Wochen später. Die 93-Jährige stellt ihre Teetasse ab und zeigt auf die Kakteen im Wintergarten, eine Pflanze trägt dicke orangene Blüten: "Die habe ich damals aus Sizilien mitgebracht, sind sie nicht wunderbar?" Das Land sei "zauberhaft", es fehle ihr sehr.

Zwischen den Blumentöpfen, auf den Fensterbänken und in Holzregalen, überall stehen ihre Kunstwerke von feinen Spinnweben und Staub bedeckt. Seit rund 55 Jahren wohnt Hunzinger in dem grünen Haus im Osten Berlins, überall sonst sei sie wegen ihres "Gekloppes" weggejagt worden, sagt die Bildhauerin. Nach der Scheidung von ihrem Mann Adolf Hunzinger lebte sie hier mit ihren drei Kindern.

Hunzingers Haus galt als linkes Zentrum

Langeweile kam nie auf: "Es ist das Haus der offenen Tür." Mit einem Lächeln blickt sie auf eine Büste aus braunem Ton, die neben anderen Köpfen auf einem Holzschrank thront. "Das ist Robert Havemann, mein Freund der Revolutionär." Die Frau mit dem weißen Pagenkopf breitet die Arme aus: Wolf Biermann, Rudi Dutschke, alle seien sie hier gewesen. Sie hätten auf dem Teppich gesessen und die in der DDR verbotenen Lieder gesungen. Sie selbst hat sich vor allem über "dieses ideologische Affentheater auf dem Gebiet der Kultur und die Bevormundung" geärgert, wie sie einst der "Wiener Zeitung" sagte.

Ihr Haus galt als linkes Zentrum für Leute aus Ost und West. "Getrunken haben wir, nicht gesoffen", stellt Hunzinger klar. Ein Glas Wein trinke sie heute noch gerne, das habe ihrer Gesundheit nicht geschadet. Im Gegenteil: Sie sei topfit. Auf dem Sessel liegt ein Buch von Rainer Maria Rilke, für die Lektüre braucht Hunzinger keine Brille, nur das linke Bein macht ihr zu schaffen. Von Krankheiten will die Künstlerin nichts wissen: "Ich habe noch so viel zu tun." Kürzlich habe sie einen wunderschönen Sandstein geschenkt bekommen, der liege im Atelier und rufe nach ihr. (ho/ddp)

Kathrin Hedtke[ddp]

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