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Skulpturen: Der Form halber

Christian Bahr ist Künstler und Schönheitschirurg. Seine Büsten stehen in der Charité und der HU.

Nein, Germany’s Next Topmodel guckt er sich nicht an. Aber Heidi Klum sei schon sehr schön, sagt er. Schön im symmetrischen Sinn. In Hinblick auf Proportionen des Gesichtes. Und Heidis Zähne erst! Christian Bahr, 46, ist Arzt in einer Schöneberger Privatklinik – „in erster Linie“, wie er betont. Doch abends, wenn jetzt im Sommer die Vögel nicht aufhören zu zwitschern, steht Bahr häufig in seinem Pankower Bildhaueratelier und formt der Welt ein Gesicht. Willy Brandt, die Brüder Klitschko, der Berliner Nasenoperateur Jaques Joseph. Sie alle hat Bahr in Büstenform verewigt. Kunst hat er nie studiert, aber „schon als Junge bin ich nach der Schule nach Hause gekommen und habe Gesichter gezeichnet. Gesichter faszinieren mich“, sagt Bahr. Sein Talent ist auch für andere weithin sichtbar: Seine Büsten stehen in der Charité-Sammlung, der Bibliothek der Humboldt-Universität und dem Künstlersalon Berlin.

In seinem Pankower Atelier steht ein rot bezogenes Plüschsofa mit antikem Tisch neben Holzregalen, in denen bewahrt Bahr seine Fachzeitschriften zur ästhetischen Chirurgie gleich neben CDs auf. Über der Küchenecke hängt eine marokkanische Glaslampe und taucht den riesigen Raum in warme Farben. Das Modellieren einer Büste ist ein komplizierter Vorgang, sagt Bahr. Dafür nimmt er einen Tonklumpen, dem er mit seinen Händen nach und nach detailgetreue Gesichtszüge gibt. Ein Foto oder Bild des Abzubildenden dient dem Charlottenburger als Vorlage. „Wenn das Original so weit fertig ist, wird es mit einer Silikonschicht überzogen.“ Wenn diese getrocknet ist, gießt sie Bahr mit Gipsmasse aus – eine zweite Plastik entsteht. Diese ist sein „Negativ“ – von ihr macht er später Reproduktionen. Ein Bronzegießer übernimmt dann die weitere Arbeit und kümmert sich um die Gips-Silikon-Plastik. Er überzieht den steinernen Kopf mit einer individuell angemischten Textur und überarbeitet die Büste dann noch einmal nach Erkalten mit feinen Bürsten und Schliffen. Eine Bronzierung kostet rund 900 Euro.

Eine Skulptur in Bahrs Atelier ist völlig weiß geblieben: Der Mann starrt nach oben, seine linke Körperhälfte ist mit Hautlappen übersät. Eine Erinnerung an die Zeit, als Bahr im Verbrennungszentrum des Marzahner Unfallkrankenhauses gearbeitet hat. Drei Jahre lang schnitt er dort Hautfetzen zusammen, transplantierte sie und gab schwerverletzten Brandopfern wieder neue Hoffnung – und einen neuen Körper. „Wir haben dort ohne Ende operiert“, sagt Bahr, während er an seinem Minztee nippt. Die Wiederherstellung eines Gesichts habe ihn schon damals begeistert. „Plastische Chirurgen fühlen sich wie die Bildhauer unter den Ärzten. Nichts in der Medizin ist so kreativ wie diese Tätigkeit.“

In seiner Praxis verkleinert Bahr Nasen, er legt abstehende Ohren an und strafft Brüste und Bäuche. Die meisten seiner Patienten sind Frauen. Männer machen nur 20 Prozent der Kundschaft aus. Attraktivität beim weiblichen Geschlecht zähle nach wie vor, beobachtet er. Männer müssten nicht gut aussehen, um schöne Frauen zu bekommen. „Jugend und Schönheit geht mit Macht und Einfluss zusammen – das wird immer so sein“, sagt er. An sich selbst würde er keine Hand anlegen. Äußerliche Eitelkeit sei nicht seine Sache, meint Bahr.

Die Sonne geht unter, der Kunsthandwerker – so nennt sich Bahr selbst – ist auch Hobbykoch und setzt Spaghetti mit Lammhacksoße auf. Noch einmal an diesem Abend nimmt die Sonne all ihre Kraft zusammen und lässt das Bildhaueratelier golden erstrahlen. Einfach schön.

Liva Haensel

Infos und Kontakt:

www.atelier-christian-bahr.de

Liva Haensel

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