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Tammy Murphy: Das Parteibuch ist wie eine Zahnpastasorte

Von der Bankerin zur Botschaftersgattin: Familienmanagerin Tammy Murphy war früher Workaholic.

In ihrem ersten Leben war Tammy Murphy Bankerin und arbeitete praktisch rund um die Uhr. In einem einzigen Jahr verbrauchte sie 168 Flugtickets. Die Frau des amerikanischen Botschafters trauert der alten Karriere nicht nach. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Identität gelitten hat. Ich war nicht mehr ich selbst, sondern nur noch mein Job.“

Heute setzt sie ihre Energien für andere Dinge ein. An der Spitze stehen die vier Kinder. „Wir sind ein Team“, sagt die 44-Jährige. Die ganze Familie ist fußballverrückt, und sonntagnachmittags splittet sich das eine Team auf in zwei Mannschaften. Die Eltern und Tochter Emma spielen in der einen, die drei Jungen in der anderen Mannschaft. Zwei der Jungs spielen sowieso im Hertha-Jugendclub. „Fußball ist der am schnellsten wachsende Sport in den USA“, sagt Tammy Murphy. Die Familie hat ein eigenes Frauenfußball-Team namens Sky Blue. Die Atmosphäre bei den Spielen ist wie bei einem gigantischen Familienausflug, Picknicks inklusive.

Tammy Murphy hat drei große Interessengebiete, die sie bislang vor allem durch ihre Tätigkeit in verschiedenen Vorständen auslebt: Erziehung, Jugend und Umweltfragen. Am Thema Umwelt arbeitet sie in der Organisation von Al Gore. Da sieht sie auch Möglichkeiten für wechselseitige Anregungen, weil Deutsche so engagiert sind im Umweltschutz. Am Anfang hat es sie überrascht und fasziniert, wie gründlich hier der Müll getrennt wird.

Das Hauptquartier der Familie befindet sich in Redbank, New Jersey. Dort hat Tammy Murphy zusammen mit ihrem Mann vor fast zehn Jahren einen Telefonnotruf für Kinder aufgebaut. „Da kann man sich mit jedem Problem melden, egal ob es Missbrauch ist, oder ob die Algebra-Hausaufgaben zu schwer sind“. Im ersten Jahr kamen 2200 Anrufe. Dann wurde daraus der zentrale Kindernotruf für den ganzen Staat. „Inzwischen kommen 15 000 Anrufe in einem Monat“, sagt sie stolz. Anfangs wurde sie mal gefragt, wie man den Erfolg einer solchen Hotline messen kann. Wenn einem Kind, das unglücklich ist, wirksam geholfen wird, dann ist das Erfolg, so sieht sie es.

Sie interessiert sich sehr für soziale Projekte für junge Immigranten. Die Botschaft unterstützt auch weiter das von Murphys Vorgänger geründete Austauschprojekt „Windows on America“. Zwar hat sie nicht allzu viel Zeit zum Reisen, weil die Kinder so viele Aktivitäten pflegen, dass sie als Logistikerin vom Dienst eingeplant ist. Aber sie hat sich auch schon Schulen in Kreuzberg, Wedding, Weimar und Dresden angeschaut.

Den eigenen Kindern gibt sie gerne kleine Forschungsprojekte auf, die sie sonntags den Eltern vortragen. Nach einem Besuch in Oman haben sie einen Reiseführer über das Land erstellt. Als das Thema im Februar „Berlinale“ hieß, haben zwei Söhne einen Sketch aufgeführt, ein Filmstar-Interview am roten Teppich. Der Team-Gedanke gilt auch für die diplomatische Tätigkeit. Tammy Murphy liebt dabei die Bandbreite der Gespräche, in denen es um Klimawandel und Afghanistan, aber auch um Kulturaustausch geht. „Es ist wirklich faszinierend, wenn man mitwirken kann, gegenseitiges Verständnis aufzubauen und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.“ Auch die Kinder kommen zu den Empfängen, begrüßen die Gäste, lernen etwas über die Welt und lehren ihre Eltern, Dinge durch Kinderaugen zu sehen. Als ein Imam zu Gast war, haben sie später gefragt, ob seine Art zu beten bedeute, dass er das Gebet ganz in sich aufnehmen wolle.

Als sie noch in der Bankerszene verkehrte, drehte sich alles nur um Wirtschaftsthemen. Sie hatte überall in Europa zu tun, arbeitete unter anderem an den Finanzplänen der Modeunternehmen Gucci und Mondi. Philip Murphy kannte sie aus der Szene. Er war damals für Goldman Sachs in Frankfurt. Eines Tages verabredeten sie sich dort zum Abendessen. Da muss ein Blitz eingeschlagen sein: „18 Tage später waren wir verlobt.“ Rasch fügt sie hinzu: „Nicht, dass ich meinen Kindern dieses Tempo empfehlen würde, aber bei mir hat es funktioniert.“ Seit 16 Jahren ist sie nun verheiratet, und am Anfang musste sie sich sehr daran gewöhnen, plötzlich „Mrs. Murphy“ zu sein.

Wenn sie heute ihre Prioritäten aufzählt, klingt sie sehr amerikanisch: „Mein Lebensziel ist es, eine gute Mutter zu sein, eine gute Ehefrau und eine gute Tochter.“ Ihre Eltern waren die ersten Gäste in der Residenz, die Mutter ist eine Engländerin, deren Bruder im letzten Krieg gefallen ist, der jüdische Vater hat deutsch-polnische Wurzeln und handelt in Virginia Beach mit deutschen Autos.

Die Eltern seien Republikaner und sie selbst ebenfalls, erzählt sie freimütig. Das überrascht, da Philip Murphy im Wahlkampf die Finanzen des demokratischen Präsidenten gemanagt hat. „Ich weiß“, lacht sie. Ihre Interessen, zum Beispiel für den Umweltschutz, seien ja auch alle demokratisch. Aber das Parteibuch zu wechseln käme ihr so vor, als solle sie die Zahnpastasorte wechseln, ein Gedanke, der ihr eher nicht behagt.

Wenn man sich mit Tammy Murphy unterhält, wird man immer wieder überrascht. Was ihr an Deutschland als Allererstes aufgefallen sei? „Überall, wo ich war, London, New York, habe ich einen Test gemacht und auf dem Weg zur U-Bahn Fremde angelächelt oder gegrüßt“, erzählt sie. „Aber nur in Deutschland haben sie auch zurückgelächelt.“

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