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© David Heerde

THEKEN Tanz: Stagger Lee in Schöneberg

Schöneberger Galgenvögel schlürfen Cocktails in der Nollendorfstraße.

Von Frank Jansen

Stagger Lee war kein netter Mensch. Der schwarze US-Bürger, der eigentlich Lee Shelton hieß, war in St. Louis, so gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als Zuhälter unterwegs und erschoss 1895 einen Freund. Von hinten. Ein feiger Mörder und Sexist, so könnte man kulturpessimistisch jammern, muss natürlich eine mythische Kunstfigur werden, ein Held der verderbten Moderne. Prompt ist es so gekommen. Wilson Pickett, Neil Diamond, Ike & Tina Turner und Nick Cave, um nur einige zu nennen, haben Stagger Lee in Songs verewigt. Und in Berlin, der verderbtesten Stadt westlich der Wolga, gibt es nun sogar einen Trinktempel zu Ehren des kaltblütigen Gangsters.

Das Licht im „Stagger Lee“ war schummrig. Dunkler Holzdielenboden. Wuchtig dunkler, mit einer Messing-Footrail gesäumter Holzblocktresen, auf dem eine Registrierkasse der Marke „National“ thront. Dunkelbraune Chesterfield-Sofas und dunkeltiefe Ledersessel. Eine Saloon-Schwingtür führt zum Raucherraum mit einem dunklen Klavier und zu einem Flur mit schwerer Gittertür, wie in einem US-Gefängnis so um 1895.

Das Publikum setzte sich aus Schönberger Galgenvögeln zusammen. Männer mit dicken Koteletten, Frauen in schrillen Strumpfhosen, diverse Tätowierungen, herbes Gelächter. Ein Keeper trug eine lange Schürze mit Lederbesatz, ein anderer hohe Schaftstiefel. Dieser Mensch lachte freundlich und brachte die Karte, besser: ein Verbrecheralbum mit Drinks.

Zu Schwarz-Weiß-Fotos mit zwielichtigen Figuren werden Getränke samt seltsamen Kommentaren angeboten. Der drinking man orderte beispielsweise einen Tijuana Shootout (Tequila, Galliano, frische Früchte und, laut Karte, ein Hauch Zucker), der mit dem Satz „Wir nehmen keine Gefangenen!“ untertitelt war. Doch der Cocktail war nicht gemeingefährlich, sondern richtig lecker. Wahrscheinlich ein fieser Trick, um die Gäste noch tiefer ins Verderben zu locken.

Und es gab kein Halten. Der Stagger Lee Julep (Bourbon, Minze und, laut Karte, ein Hauch von Kirsche) verdiente das Attribut „superb“, ebenso wie die sehr aromatischen Virgin-Drinks Carson City Kid (Pink Grapefruit, Orangenmarmelade, Agavennektar), Rio Bravo (Vanillesirup, Minze, Limettensaft, Soda, Ginger Beer, frische Ananas, Angostura Bitters) und The Good, The Bad, The Ugly (Himbeerpüree, Holunderblütensirup, Apfelsaft, Limettensaft). Die Krönung Robert Mitchum. Der Stiefelkeeper servierte ein Wasserglas halbvoll mit Tequila, eine Schachtel Streichhölzer – und eine Lucky Strike. Laut Karte „Mitchums letztes Abendmahl“. Der drinking man hat es genossen.

Und Stagger Lee wird jetzt verehrt. Frank Jansen

Stagger Lee, Nollendorfstraße 27, Schöneberg, Tel.: 29 03 61 58, geöffnet dienstags bis samstags ab 18 Uhr

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