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THEKEN Tanz: Train

Eine Zeit lang stand er da, als habe man ihn vergessen. Wäre ein großer Kran erschienen und hätte den fossilhaften Restposten auf einen Schlepper gehoben, der dann ohne jede Zeremonie einfach weggerauscht wäre, würde sich heute wohl niemand mehr an ihn erinnern.

Von Frank Jansen

Eine Zeit lang stand er da, als habe man ihn vergessen. Wäre ein großer Kran erschienen und hätte den fossilhaften Restposten auf einen Schlepper gehoben, der dann ohne jede Zeremonie einfach weggerauscht wäre, würde sich heute wohl niemand mehr an ihn erinnern. Doch es kam anders. Der am Kleistpark gestrandete S-Bahn-Waggon, angeblich aus den 20er Jahren stammend, steht hier immer noch – und trotzt weiter dem Krach des Straßenverkehrs und der ästhetischen Kälte der großen Kreuzung samt scheußlicher U-Bahneingänge. 1996 wurde der große Ausrangierte gegenüber der BVG-Hauptverwaltung endgelagert und zur Bar aufgehübscht. Was Besseres kann einem alten S-Bahn-Waggon kaum passieren, sollte man meinen. Doch die N.N.-Bar in der Hauptstraße, die den stählernen Cocktail-Ausschank betrieb, gab ihn irgendwann nach der Jahrtausendwende auf. Und dann sich selbst.

Während die N.N.-Bar verschwunden blieb, wurde der N.N.-Train, manchmal auch nur N-Train genannt, um 2004 herum revitalisiert. Allerdings heißt er jetzt nur noch Train. Und der Waggon ist zu einer für BVG-Verhältnisse reichlich schrillen Erscheinung mutiert. Außen leuchtet das tiefrote Stahlkleid mit schmalen Goldstreifen, innen prunken schmale Kronleuchter an der geknitterten Goldfoliendecke. An die Wände wurden arabeskenhaft gemusterte Goldtapeten drapiert. Nur die alten Holzbänke sind roh und hart geblieben. Sitzfleisch wäre also mitzubringen. Oder zumindest ein fix aufzupustendes Plastikkissen. Wer es trotzdem nicht aushält, kann sich im angeschlossenen Biergarten in einen Strandkorb setzen.

Das Interieur gefällt, doch das Beste sind die Drinks – und der Service. Der Keeper brachte zu jedem Cocktail ungefragt ein Glas Wasser und eine Schale mit knackig gerösteten Nüsschen. Dazu genossen drinking man und compañera einen wuchtigen und sehr süßen Gin Tai, einen ebenso wenig unwuchtigen Vodka Tai sowie einen zart rosafarbenen, aber eben auch wieder sehr üppig in Klasse und Masse präsentierten Red Fizz (Gin, Preiselbeersirup, Grenadine, Zitronensaft, Soda). So hätte es stundenlang weiterplätschern können.

Es ist also zu befürchten, dass sich am Kleistpark ein Bermuda-Dreieck aus hochgefährlichen Bars bildet, dem die Gäste nicht mehr entrinnen können. Der Train, die Zoulou-Bar und das „Studio“ in den früheren Räumen der N.-N.-Bar ballen sich zu einem Cocktailbiotop, vor dem die EG-Gesundheitsminister warnen sollten. Frank Jansen

Train, Hauptstraße 162, Schöneberg, Tel.: 0177-34 44 123, täglich ab 18 Uhr

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