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Treptow: "Schönstes Obdachlosenheim der Welt“ entsteht

In Schöneweide soll ein Obdachlosenheim als Kunstprojekt genutzt werden. Um den dort 20 beherbergten Männer neuen Lebensmut zu geben, soll die Innenarchitektur an Reichenhäuser erinnern.

Heimbewohner Wolfgang Binder hat sich die Haare gekämmt und ein frisches T-Shirt angezogen. Nun steht er kerzengerade in seinem neuen Zimmer. Es sieht nach Urlaub in der Toskana aus – weiße Möbel, weiße Vorhänge, ein Kristalllüster an der Decke –, nur Wolfgang Binder sieht nicht aus, als würde er regelmäßig in die Sonne fliegen. Hier passt etwas nicht zusammen, ein Bruch im Kontext der sozialen Realität. Das ist Methode, genauer: angewandte Konzeptkunst. Der provozierende Titel: „Reichtum 2“.

Der Kunstort ist das Obdachlosenheim „Haus Schöneweide“ an der Michael-Brückner-Straße in Treptow. Es beherbergt 20 Männer, die den Halt im Leben verloren haben. Viele sind alkoholkrank, manche auch behindert. Die Männer können sich nicht allein versorgen, einige haben sich aufgegeben. Um sie wachzurütteln und neu zu motivieren, will die Künstlerin Miriam Kilali das Haus Schöneweide zum „schönsten Obdachlosenheim der Welt“ umgestalten. Drinnen soll es so aussehen wie der Urlaubspalazzo vermögender Leute in der Toskana.

Kilali, die in Berlin lebt, hat schon mal ein ähnliches Projekt realisiert: das „Hotel Marfino“ in Moskau, vormals ein verwohntes Heim für Obdachlose. Auch dort war die Idee, dass eine schön gestaltete Umgebung auf die Bewohner abfärbt, ihnen das Bewusstsein für den eigenen Wert zurückgibt und sie neu aktiviert. Die Obdachlosen haben bei der Umgestaltung mitgeholfen – „zwei von ihnen wurden dabei so unruhig, dass sie sich wieder einen Job gesucht haben“, erzählt Kilali.

Die Idee kam ihr während des Kunststudiums. Damals arbeitete sie ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für Obdachlose. Gegen die „totale Hoffnungslosigkeit“ dieser Menschen wollte sie etwas unternehmen, mit den Mitteln der Kunst. Das Moskauer Projekt hat sie völlig allein auf die Beine gestellt, Sponsoren angesprochen, mit Behörden verhandelt. In Berlin stehen ihr die Diakonie zur Seite und der Träger der Einrichtung, die „GeBeWo – Soziale Dienste“. Um das dreistöckige Haus neu zu gestalten, sind 130 000 Euro veranschlagt, hinzu kommen ehrenamtliche Leistungen und Sachspenden.

Kilali spricht eher zurückhaltend von ihrem Kunstschaffen. Es sei „schön zu sehen“, wie Gestrandete wieder Mut fassen. Nebenbei macht Kilali auch „herkömmliche Kunst“, Fotoserien aus den Ländern, die sie bereist, aber diese Arbeit scheint sie nicht in der gleichen Weise zu befriedigen. Die Idee, seelisch verkümmerte Menschen zu reaktivieren, sei Teil einer größeren Vision. „Wenn alle mitmachen würden, die Welt anders zu gestalten, ginge es uns schon viel besser“, sagt Kilali.

Die meisten Obdachlosen im Haus Schöneweide haben die Bereicherung ihres Lebens angenommen. Jeder darf sich ein Fotomotiv von Kilali aussuchen und großformatig übers Bett hängen. Peter Sternberg, 59, ehemals Kohlenkutscher, hat sich für ein New-York-Panorama entschieden. In seinem neuen Zimmer fühlt er sich wohler als vorher. Besonders freut ihn, dass er seinen Fernsehsessel behalten kann, das gute Stück hat mal 1000 Mark gekostet. Nun wird der Sessel neu bezogen – goldgelb, damit er zur Strukturtapete passt. Und zum „Goldenen Band“, einer Art Bordüre, die sich durchs ganze Haus zieht.

Der Reichtum soll überall sichtbar sein. Im Foyer haben sie Pilaster an die Wände geklebt, im Speisesaal liegt Fischgrätparkett aus bestem Holz, im Fernsehzimmer steht eine cremefarbene Ledercouch. Das Treppenhaus wird neu lackiert und mit einem roten Teppich belegt. Zum Winter soll dann alles fertig sein in der Obdachlosenvilla Schöneweide.

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