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U-Bahnlinie 2: Mit der Zweiten fährt man besser

Am Freitagabend feiert das Musical "Linie 2" im Grips-Theater Premiere. Auch die echte U-Bahn-Strecke ist eine Bühne – für Komödien und Tragödien. Unsere Redakteure haben den Anfang gemacht - jetzt sind Sie gefragt. Welche Geschichten haben Sie in der U2 erlebt, was verbinden Sie mit den Bahnstationen?

Zum 40. Geburtstag des Grips-Theaters hat Volker Ludwig eine Fortsetzung seines Musical-Klassikers „Linie 1“ geschrieben: „Linie 2 – Der Alptraum“ heißt sie. Wir schreiben schon jetzt auf, welche Geschichten die rote Bahn zu erzählen hat.

Pankow
Fast 70 Jahre hat’s gedauert, bis der Bahnhof Wirklichkeit wurde. Seit 2000 ist die Station Ausgangs- und Endpunkt der Linie 2. Die Eröffnung wurde – natürlich – mit einem Sonderzug nach Pankow gefeiert. Fast pompös nimmt er sich aus im Vergleich zu den anderen Stationen, riesig hoch ist die Bahnsteighalle, eine kleine Ewigkeit dauert die Fahrt auf der langen Rolltreppe. Wie viele kleine Ewigkeiten wird’s wohl dauern, bis die U-Bahn weiterfährt bis Pankow, Kirche? Das wünschen sich die Pankower, so lange es diese U-Bahnstrecke gibt. Björn Seeling

Vinetastraße
Kann es einen passenderen Namen für eine U-Bahn-Station geben? Die Stadt Vineta soll ja einst, so heißt es in der Sage, in der Ostsee versunken sein. Das erinnert an die gelben Züge, die kurz vor der Station in den Untergrund verschwinden. Und so wie Vineta immer mal wieder aus der Versenkung auftauchen soll, so rauschen die Bahnen in umgekehrter Richtung aus dem Tunnel in Richtung Hochbahnstrecke. Noch Parallelen gefällig? Vineta war einst wichtig und bedeutend, so wie die Station gleichen Namens. Denn für viele Jahrzehnte war hier – je nach Blickpunkt des Betrachters – Anfangs- oder Endpunkt der Linie. Menschenmassen wälzten sich die Treppen hinaus und hinunter. Seit die Strecke 2000 in Richtung Pankower Zentrum verlängert wurde, ist es ruhig geworden. Das scheint auch den Mann aus Bronze ein bisschen zu grämen. 1986 hat man ihn hier unten auf den Bahnsteig gestellt, seither hat „Der Schreitende“, wie er eigentlich heißt, keine Sonne mehr gesehen. Armer Kerl. Man sollte ihn öfter besuchen fahren. Björn Seeling

Eberswalder Straße
Für Besitzer einer Monatsmarke hat der Mann mit dem abgewetzten Outfit und den staubigen Haaren kein Verständnis, höchstens ein abfälliges Grummeln. Tagein, tagaus steht er am Ausgang zur Eberswalder und fragt aussteigende Reisende nach überflüssigen Fahrscheinen – um diese dann weiterzuverkaufen. Mittlerweile gehört er zum Bahnhof wie der Fernsehturm zu Berlin. Fahrgäste stecken ihm neben Tickets auch Zigaretten und Essen zu. So kann man sich sein Wohlwollen sichern, ohne die Monatsmarke herzugeben. Nana Heymann

Alexanderplatz
Er gilt als zugig, unwirtlich, sozialistisch-realistisch. Deshalb wird er gerne zugestellt mit hässlichen Buden und lauten Bühnen. Scientologen werben Kunden, Tierschützer und Exiliraner sammeln Unterschriften, Jesus-Freaks singen, wie sehr sie Jesus lieben. Das alles ist nicht schlimm, denn man kann den Platz komplett unterqueren. Wer vom Park-Inn-Hotel kommt, nimmt etwa den Eingang zum U-2-Bahnsteig, den er leicht erkennen kann, weil davor ein Bratwurstverkäufer steht, der die schwere, große Bratapparatur am Körper trägt. Der Anblick erweckt Mitleid; dafür ist die Bratwurst billig. Früher bot mal der Bahnsteig gute Unterhaltung, weil an den Wänden keine Werbung hing, sondern Kunst. Wer die Kunst nicht verstand, durfte sie sich erklären lassen: Auf dem Bahnsteig standen Schautafeln mit rührenden Erklärtexten zu Symbolgehalt, kunsthistorischer Einordnung und gesellschaftlicher Relevanz. David Ensikat

Spittelmarkt
Schöne Aussicht, Wohlfühl-Ambiente, architektonische Liebe zum Detail – das alles hat der Spittelmarkt nicht. Stattdessen blickt man auf Plattenbauten und die verstopfte Leipziger Straße. Den Spittelmarkt liebt oder meidet man, wer hier aussteigt, hat meistens einen triftigen Grund. Eine Meldeadresse zum Beispiel. Oder einen Fleischspieß beim „Spitteleck“. Oder er möchte die Stadt erleben, wie sie zum Glück auch manchmal ist: zu wahr, um schön zu sein. Sebastian Leber

Mohrenstraße
Hier war zu DDR-Zeiten die Welt zu Ende. Erst hieß er U-Bahnhof Thälmannplatz, und als in Prenzlauer Berg der Thälmannpark entstand, wurde er zur Otto-Grotewohl-Straße. Dennoch ist er für Touristen eine Attraktion, weil man hier die allerletzten Reste der einstigen Reichskanzlei sehen und anfassen kann: Die Wände und Pfeiler sind von jenem dunkelrot gemaserten Marmor, mit dem Hitlers Reichskanzlei (die gegenüber an der Voß-, Ecke Wilhelmstraße stand) ausgestattet war. Jetzt ist dies der Bahnhof Mohrenstraße, nach der Straße nebenan. Die heißt so, weil König Friedrich I. in einem Haus Afrikaner einquartiert hatte – vor 300 Jahren. Lothar Heinke

Gleisdreieck
Hier schlug mal das Verkehrsherz der Kapitale. Als Ausgangspunkt und Ziel eines Blutstromes beschrieb Joseph Roth das Gleisdreieck. Jahrzehntelang überquerte die U-Bahn riesige Gleisanlagen, die Güter, Menschen und Welt in die Stadt brachten. Davon ist nichts geblieben. Selbst über den Golfplatz ist wieder Gras gewachsen. Die Fernbahn, mit nur noch vier Gleispaaren, verschwindet kleinlaut in einem Tunnel. Und trotzdem: Wer auf dem oberen Bahnsteig ein paar Minuten warten muss, läuft am besten ans westliche Ende, Richtung Kurfürstenstraße. Dort spürt man immer noch, was hier mal war. Weit schweift der Blick zum Potsdamer Platz und nach Süden über die Dächer Schönebergs in die Ferne. Immer noch großstädtisch. Udo Badelt

Bülowstraße
Ein türkischer Basar – hier? Wer mit auswärtigen Gästen auf dem U-Bahnhof Bülowstraße steht und diese Episode aus der West-Berliner Geschichte erzählt, wird nur ungläubiges Staunen ernten. Nichts erinnert mehr an das orientalische Geschäftsleben, das in den achtziger Jahren dort florierte. Anfang der siebziger Jahre war die Linie stillgelegt worden, und in den Hochbahnhof in der Bülowstraße zog erst der Vergnügungstempel U-Tropia, dann der Türkische Basar ein, der sich dort bis zur Sanierung der Strecke 1993 hielt. Das Gegenstück, einen Flohmarkt, gab es am Nollendorfplatz, und dazwischen pendelte als Touristenattraktion die letzte Straßenbahn West-Berlins. Andreas Conrad

Wittenbergplatz
Wie war das gleich mit Linie 1 und Linie 2? Egal: Hier am Wittenbergplatz trifft sich alles und läuft auch wieder auseinander, der Bahnhof ist ein Ort ewigen Transits, hier haben sich einst die Wilmersdorfer Witwen zum Kuchenfassen verabredet und die Dealer zum Dealen, und immer noch steigen hier alle Feingemachten und Gutgekleideten aus, um sich droben noch feiner machen zu lassen und noch besser zu kleiden. Ehrlicherweise sollte dieser Bahnhof ja „KaDeWe“ heißen, nicht wahr, zumal die Schlacht bei Wittenberg 1813, eine wichtige Zäsur in den Befreiungskriegen gegen Napoleon, vergessen und vergeben ist. Eine andere Tradition ist immerhin in den letzten Jahren konsequent gebrochen worden, nämlich jene, dass es am Wittenbergplatz immer durchregnet und auf den Bahnsteig tropft. Alles grundsaniert, endlich, und nur noch die planen Sandflächen um den Bahnhof erinnern daran, dass er sich jahrelang, von Zäunen eingefriedet, in einer Art Dauerarrest befand und die Leute draußen drängelten, statt zu flanieren. Nun kann der Bahnhof wieder seiner Bestimmung nachkommen: Drehscheibe zu sein für all jene, die eine der vier an seinen Rändern angesiedelten Currywurstbuden besuchen wollen. Bernd Matthies

Zoologischer Garten
Der Zug rollt ein, die Bremsen verstummen. War das der Sonderzug aus Pankow? Nicht mehr nötig, vor fast 20 Jahren wurden die Weichen gestellt für den Linienverkehr. Von 1 auf 2. Wer aussteigt, sieht die letzten Kräne der großen Wandlung der Stadt. Um die Jahrtausendwende waren sie Symbol für das neue Berlin. Am Bahnhof Zoo, der für die West-Berliner Abfahrtsbahnhof nach West-Deutschland und also eine Ikone war, ragen sie in den Regenhimmel, wie ein später Abschiedsgruß für das Lebensgefühl West-Berlin. Es riecht nach Brezeln und Pizzazungen, nach Zukunft und immer noch nach Abenteuer. Die Demos finden jetzt anderswo statt. Die Nachfahren der Kinder vom Bahnhof Zoo schnorren, aber nicht aufdringlich. Bei Ullrich am Zoo, dem Riesensupermarkt, sind die Schlangen überschaubar. Ach, ja, man könnte umsteigen in die U 9. In zwei Minuten ist man am Hansa-Platz. Am Grips-Theater. Elisabeth Binder

Deutsche Oper
„Der Tod des Demonstranten“, das von Alfred Hrdlicka geschaffene Mahnmal für Benno Ohnesorg, steht direkt neben der Treppe in den Untergrund. In der Krummen Straße, in unmittelbarer Nähe zu einem der Eingänge des U-Bahnhofs Deutsche Oper, traf den Studenten während der Anti-Schah-Demonstration vom 2. Juni 1967 der tödliche Schuss. Ein Datum, das im Gedächtnis präsent blieb. Damals konnte man den U-Bahnhof nur in einer Richtung verlassen. Am 8. Juli 2000 wäre das fast zur tödlichen Falle geworden. Ein brennender Zug hielt im Bahnhof, durch das Feuer war der Ausgang versperrt. Die Fahrgäste retteten sich durch den Tunnel, nur 21 erlitten Verletzungen durch Rauchgas – Glück gehabt. Andreas Conrad

Theodor-Heuss-Platz
Es heißt ja immer, Bismarck habe mit der Anlage des Kurfürstendamms die Pariser Champs-Élysées kopieren wollen. Aber kommt nicht die Achse des Kaiserdamms dieser Idee viel näher? An dessen höchster Stelle, am Theodor-Heuss-Platz, stand allerdings nie ein Triumphbogen, nur ein ewiges Feuer erinnert seit 1955 an die Opfer von Flucht und Vertreibung. Monumental waren Platz und Bahnhof vor allem in der Namensgebung: Zuerst „Reichskanzlerplatz“, dann „Adolf-Hitler-Platz“. Heute geht es weniger martialisch zu. Der Bahnhof ist vor allem Einfallstor für die Bewohner des gutbürgerlichen Westend. In der Reichsstraße dreht sich alles um frisches Obst und Gemüse, um orthopädische Strümpfe, Uhren und gutes Essen. Irgendwie auch viel sympathischer. Udo Badelt

Olympia-Stadion
So heißt der U-Bahnhof „Olympia-Stadion“ wirklich, geschrieben mit Bindestrich. Eine Eigenart, so speziell wie der Charme des Bahnhofs an sich. Wenn Hertha im Olympiastadion (ja, ohne Bindestrich) antritt, beginnt auf dem Bahnhofsvorplatz das große Theater: Schläger, Kinder, Anzugträger – sie alle spuckt der Backsteinbau aus, freudig erregt, voller Hoffnung, trotzig und stolz. „Hertha BSC, heißt unser Verein – Hertha BSC, wird es immer sein!“, singen sie, die da aus den vollgestopften Zügen herausdrängen und hinauf zum Stadion eilen, Wochenende für Wochenende. Singende Männer, kläffende Polizeihunde, platzende Bierflaschen, der Sound von Frank Zander – die Sinfonie der Großstadt. Vielleicht nicht schön, aber ehrlich. André Görke

Ruhleben
Endbahnhof, bitte alle aussteigen. Dabei sollte die U 2 mal weiterführen, über Rathaus Spandau bis nach Hakenfelde. Daraus ist nichts geworden, Ruhleben blieb Endstation. Passt irgendwie, nicht weit von hier liegt der Friedhof mit dem Krematorium. Ruh’ und Leben liegen eben nah beieinander, nur bei der BVG gibt es immer einen Rückfahrschein, mit dem nächsten Zug geht es wieder Richtung Pankow. Stephan Wiehler

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes war irrtümlich die Rede davon, dass am Alexanderplatz noch immer Kunst gezeigt wird. Das ist natürlich Geschichte, genauso das zweite Gleis (zur Zeit gesperrt) im Bahnhof Ruhleben. Dank an alle, die uns darauf aufmerksam gemacht haben! 

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