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© promo

Yorckschlösschen: Spelunke mit Seele

Über 120 Jahre Mollen im Ausschank und 30 Jahre Jazz live - die Kneipe Yorckschlösschen, eine Kreuzberger Institution, feiert Geburtstag.

Na, wo sind sie denn, die Lederwestenträger mit dem Altbier in der Hand? So sieht doch das Klischeepublikum einer Jazz- und Blueskneipe aus. Aber nichts. Noch nicht mal Bierbäuche sind zu sehen. Stattdessen eine Familie mit munter quiekendem Kind, ein Trupp Studenten samt Professor, plaudernde Paare, ein Zeitung lesender Einzelgänger.

Am frühen Abend, wenn im Kreuzberger Yorckschlösschen noch keine Band spielt und Jazzgedudel leise aus den Boxen rieselt, ist’s kuschelig unter den Kronleuchtern. Die funzeligen Latüchten gehören zur Rumpelpatina aus Kitsch, Kunst und Jazzsouvenirs, die den Traditionsschuppen in der Yorckstraße 15 zuwuchert. Seit 30 Jahren gibt''s hier Jazz, Blues, Funk und Soul live. Inzwischen von mittwochs bis sonntags, an stolzen fünf Tagen die Woche. Und schon seit 1885 werden hier Buletten und Mollen serviert, was das Yorckschlösschen zu einer der ältesten Wirtschaften der Stadt macht. Zeit für das Lokal, sich selbst einmal kräftig zu feiern – mit Festkonzerten Berliner Bands und einer Filmpremiere.

Wirt Olaf Dähmlow, 58, lebt seit 32 Jahren in Berlin und hat 31 davon im Yorckschlösschen verbracht. Eigentlich wollte er an der Hochschule der Künste Bühnenbildnerei studieren, aber dann wurde er in der damaligen Kreuzberger Künstlerkneipe erst Putze und später Zapfer, Kellner, Geschäftsführer, Pächter, Besitzer. Ist mit ihm die Musik ins Lokal gekommen? Nö, grinst Dähmlow, „der Jazz kam hier irgendwie zu mir, und dann hab’ ich ihn lieben gelernt.“ Und dass heiß und innig, denn der Kneipier hat seinem Lokal nicht nur einen weltweiten Ruf unter Jazzmusikern und Fans beschert, sondern ist auch Gründer der Jazzinitiative und Veranstalter des Jazzsommers Berlin, zu dem das Bergmannstraßen- und das Savignyplatzfest gehören.

Was das Yorckschlösschen von anderen Jazzclubs der Stadt unterscheidet? „Es ist ’ne Kneipe“, sagt Olaf Dähmlow mit Schmackes, „kein Restaurant, keine Bar.“ Nicht cool, nicht fein, sondern eine Jazzspelunke, wie er sie im French Quarter in New Orleans oft besucht hat. „Bei uns werden die Würstchen nicht gerade gebogen“, setzt Dähmlow nach. Dabei war das nach dem Biss in die Hausbockwurst doch eh schon klar.

Gibt’s noch Stammgäste aus den Siebzigern? Nur eine Handvoll, erzählt Dähmlow, der auch privat in dem einst „Neuschwanstein für Arme“ genannten weißen Haus mit den Türmchen wohnt. „Die andern sind an sich selbst gestorben.“ Wie? „Na, die haben sich in Grund und Boden gesoffen.“

Damals, Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger, trafen sich hier Hungerkünstler, Halbkriminelle, Säufer und Berliner Malerpoeten wie Kurt Mühlenhaupt und Friedrich Schröder-Sonnenstern. Sie schluckten wie die Spechte, schimpften wie die Rohrspatzen und torkelten gerne mal scheppernd in die Musikinstrumente. „Alle Irren Kreuzbergs trafen sich hier zum Ball der Hoffnungslosen“, erzählt der lakonische Kneipier, dazu kamen illegal um Geld pokernde Zocker und Drogendealer. Um die ganze Mischpoke endlich loszuwerden, erließ er Hausverbote für „Bekloppte“, die ihm danach noch jahrelang Protestschlägereien lieferten. Und, gab’s das eine oder andere Veilchen? „Bei denen schon, bei mir nicht“, behauptet er. Ein Wirt habe erstens immer Heimvorteil, und zweitens seien die anderen stets besoffener als er.

Ein Relikt aus den wilden Tagen ist die traditionelle Kreuzberger Kunstversteigerung für bedürftige Bohemiens, die wie eh und je am ersten Advent im Yorckschlösschen stattfindet. Am 29. November ab 14 Uhr ist es wieder so weit. Weniger bedürftig ist dagegen Til Schweiger, der neulich in dem häufig als Drehort gebuchten Lokal mit seiner Filmcrew feierte.

Mit vier oder sechs Euro „Musikzuschlag“ pro Konzertabend und Platz für gerade mal 120 Leute kann so eine Kneipe keine Goldgrube sein. Olaf Dähmlow sieht’s gelassen und findet jede Krise gut. „Denn von alleine bewegste dich ja sonst nicht.“ Auf die Idee, mal junge Freejazzer zu buchen, kommt er aber nicht. „Der Laden soll ja voll werden“, lacht er. Gunda Bartels

Yorckschlösschen, Yorckstr. 15 in Kreuzberg, Festkonzerte: 21., 22., 25. November, Livemusik: mittwochs bis sonntags, www.yorckschloesschen.de

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