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Stadtplanung: Berlin: Die Stadt der Zukunft

Forscher schätzen, dass im Jahr 2050 zwei Drittel der Menschen in Metropolen leben. Am Beispiel Berlins zeigt "ZEIT Wissen", wie die ideale Stadt aussehen könnte

Noch ragen überall nackte Stahlskelette in den Himmel, noch führen die meisten Asphaltpisten ins Nirgendwo. Doch schon in sechs Jahren soll eine knappe Autostunde von Seoul entfernt das Leben pulsieren. Ein amerikanischer Immobilienkonzern will dort die perfekte "Stadt der Städte" bauen: New Songdo. Mit einem Opernhaus, so eindrucksvoll wie das in Sydney, mit Kanälen, so malerisch wie die in Venedig, und einem Central Park, so weitläufig wie der in New York.

Mehr als 25 Milliarden Dollar investiert der Konzern in das moderne Utopia. Das südkoreanische Mammutprojekt passt in unsere Zeit, in die Ära der Metropolen oder "das Jahrtausend der Städte", wie es der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan genannt hat. Die Menschheit hat sich entschieden: gegen das Leben auf dem Land und für das in der City.

Inzwischen wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Räumen, 2050 werden es voraussichtlich mehr als zwei Drittel sein. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Sogwirkung der Städte nachlassen könnte. Weder in den armen Ländern des Südens, wo sie Heere von Glücklosen mit dem Versprechen einer besseren Zukunft locken. Noch in Europa, wo man sich auf die Lebensqualität der Metropolen zurückbesinnt und ihr hohes Tempo wieder schätzen lernt. Das Häuschen im Grünen kommt aus der Mode. Die Wiederentdeckung der Etagenwohnung sorgt für rasant fallende Mieten in den Speckgürteln - und lässt die anhaltende Debatte um die Pendlerpauschale in Deutschland überholt erscheinen.

Was eine Metropole ausmacht, lässt sich nicht planen

Unwahrscheinlich ist es allerdings, dass sich die Lust am Stadtleben mit Städten stillen lässt, die wie New Songdo komplett am Reißbrett entstanden sind. Natürlich ist es reizvoll, in perfekt geplanten Gebäuden zu wohnen, die kaum Energie verbrauchen und ihren Strom aus Solarzellen an der Fassade gewinnen. Auch die im Hochglanzprospekt versprochenen exzellenten Schulen, das internationale Hospital, das riesige Aquarium sowie der vom Golf-Profi angelegte 18-Loch-Kurs klingen verheißungsvoll.

Doch was eine Metropole wirklich ausmacht, lässt sich weder planen, noch entsteht es über Nacht. Es ist ihr einmaliger, über Jahrzehnte, oft Jahrhunderte gereifter Charakter: die ins Stadtbild gegossene Geschichte, der man in Berlin und Wien an jeder Ecke begegnet, die ethnische Vielfalt, die im Londoner East End vibriert, oder die Spannung zwischen Tradition und Moderne, wie sie in Pekings Altstadt zu spüren ist. "Neue Ideen brauchen alte Gebäude", schrieb die Urbanistin Jane Jacobs. Nicht Perfektion macht einen Ort lebenswert, sondern Authentizität. Ziemlich unbeholfen wirkt daher der Versuch der Bauherren New Songdos, die besten Elemente von Großstädten auf der ganzen Welt abzukupfern. Immerhin liegt dem aber eine richtige Annahme zugrunde: Die ideale Stadt schaut über ihre Grenzen hinaus und lernt von anderen. Nur dann meistert sie die Herausforderungen der Zukunft.

Die Stadt muss mit ihren Bürgern mithalten

Denn die werden gewaltig sein. Vielen Großstädten droht eine soziale Spaltung. Das gilt nicht nur für die boomenden Megacitys in Afrika, Asien und Südamerika, deren Slums unkontrolliert wuchern.

Auch die Städte im reichen Europa müssen sich davor hüten, in ein strahlendes Zentrum und eine Peripherie zu zerfallen, die nur trostloses Sammelbecken für Perspektivlose ist. Wer an den Rändern von Paris und Rotterdam aufwächst, hat schon heute geringere Chancen auf eine vernünftige Ausbildung, einen guten Job und wird leichter Opfer eines Verbrechens.

Eine ähnlich große Herausforderung ist es, dafür zu sorgen, dass die Infrastruktur einer Stadt mit den Bedürfnissen ihrer Bürger Schritt hält. Sie muss flexibler und funktionaler werden, sonst sinkt die Lebensqualität. Etwa in puncto Verkehr: Ein Deutscher pendelt im Schnitt eineinhalb Stunden täglich von und zur Arbeit, am Ende des Jahres hat er 14 Tage im Auto, im Bus oder im Zug verbracht. Neue Mobilitätskonzepte sind gefragt, die die Wege beschleunigen, indem sie verschiedene Angebote geschickt kombinieren: das Leihfahrrad, die Express-Hochbahn und das Elektroauto.

Die ideale Metropole - am Beispiel Berlins

Zudem stellt sich die Frage, wie viel Mobilität in einer modernen Stadt überhaupt nötig ist - lassen sich nicht Wohnen und Arbeiten stärker an einem Ort konzentrieren als bisher? Schließlich verursachen Städte massive Umweltprobleme. Wie gierige Organismen fressen sie sich in die Region, verbrauchen deren Wasser- und Nahrungsmittelvorräte, verpesten die Luft und erzeugen große Mengen an Müll.

Vor allem aber verursachen ihre Bewohner vier Fünftel aller Treibhausgase und sind damit die Hauptschuldigen der globalen Erwärmung. Die schlechte Nachricht für Großstädter ist: Sie werden besonders stark unter den Folgen des Klimawandels leiden. Extreme Wetterereignisse wie Stürme oder Trockenperioden treffen sie ungleich härter.

Die gute Nachricht: Sie können auch besonders viel tun, um die globale Erwärmung zu bremsen. Wo viele Menschen dicht zusammenleben, lassen sich CO2 und andere Treibhausgase einfacher vermeiden. Berichte Über Megacitys wie Mexico City, Tokyo oder Shanghai mit mehr als zehn Millionen Einwohnern mögen zwar derzeit viel Aufmerksamkeit erregen. Die Zukunft der Menschheit wird dort aber nicht liegen. Der weitaus größere Teil der Weltbevölkerung wird 2050 in Ballungsräumen mit bis zu fünf Millionen Einwohnern leben. Wie eine ideale Metropole dieser Größe aussieht, beschreibt die neue ZEIT Wissen-Serie am Beispiel Berlins. Die Hauptstadt und ihre 3,4 Millionen Einwohner haben beste Voraussetzungen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Ihre ungeheure Wandlungsfähigkeit macht sie schon heute zum Magneten für Kreative aus aller Welt.

Die Hauptstadt könnte sich verbessern

Straßenzüge in Friedrichshain, Mitte oder Kreuzberg verändern ihr Aussehen oft binnen Monaten so sehr, dass sie kaum wiederzuerkennen sind. Andererseits hat Berlin auch enorme Probleme. Manche sind typisch für Kommunen seiner Größe: etwa die alternde Infrastruktur, die wenig nachhaltige Energieversorgung, der nervende Verkehr. Manche sind aber auch Berlin-spezifisch: Noch immer merkt man an allen Ecken und Enden, dass die Stadt aus zwei Hälften entstanden ist, die sich ein halbes Jahrhundert lang unabhängig voneinander entwickelt haben.

Und während die Bevölkerung anderswo wächst, altert sie in Berlin vor allem. Die Euphorie der Wiedervereinigung ist längst verflogen, der erhoffte Ansturm von Menschen und Unternehmen ausgeblieben. Zwar sind seit 1995 etwa 1,5 Millionen Menschen zugezogen - genauso viele haben die Stadt aber auch verlassen.

"Arm, aber sexy" nennt Bürgermeister Klaus Wowereit Berlin gern. Arm ist es sicher, es könnte aber noch sexyer werden.

DAS BERLIN PROJEKT In der neuen ZEIT Wissen-Serie erklären Forscher, wie unsere Hauptstadt zukunftsfähig wird.

TEIL 1: DIE HUNGRIGE STADT Städte tragen nicht nur erheblich zur globalen Erwärmung bei - sie können auch am meisten dagegen tun. Der erste Teil beschreibt, wie die ideale Stadt ihren Verbrauch an Kohle, Gas und Öl reduziert und erneuerbare Energiequellen nutzt.

TEIL 2: DIE BEWEGTE STADT Gleise und Straßen sind die Lebensadern von Metropolen - Staus und ein unzuverlässiger Nahverkehr können einen Infarkt auslösen. Der zweite Teil erklärt, wie die ideale Stadt dank neuer Ideen und Erfindungen in Bewegung bleibt.

TEIL 3: DIE SAUBERE STADT Städte sind Orte der Verschwendung: Sie brauchen große Mengen an Wasser, verdrecken die Luft und verursachen immer mehr Müll. Der dritte Teil zeigt, wie die ideale Stadt sauber bleibt und sparsam mit ihren Ressourcen umgeht.

TEIL 4: DIE SOZIALE STADT Vielfalt ist eine Stärke von Metropolen - und eine ihrer größten Herausforderungen. Der vierte Teil berichtet, wie die ideale Stadt das Miteinander von Einheimischen und Migranten, Jungen und Alten sowie Reichen und Armen organisiert.

Jens Uehlecke[Zeit Wissen]

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