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Auf Filzpantoffeln durchs Schloss Schlittern: Nele Schnorr von Carolsfeld fühlte sich dort zu Hause.

© Mike Wolff

Stadtschloss: „Es war mein Schloss“

Sie hat den weitläufigen Kasten als Kind erlebt: Nele Schnorr von Carolsfeld weiß noch, wie es roch.

Kein Besuch im Schloss, ohne den „Blutwursttisch“. Nele hatte ihn so getauft, weil seine Musterung an den Querschnitt einer Filetwurst erinnerte. Die bunten Steinchen, aus denen er zusammengesetzt ist, sind zu jeder Jahreszeit kühl. Und Nele durfte, was allen anderen verboten war: den Wursttisch berühren.

Nele Schnorr von Carolsfeld ist fast 90. Das Alter sieht man ihr nur an den Händen an und den Gehhilfen. Das Laufen fällt ihr schwer. Wenn sie aber von ihren Erinnerungen an das Berliner Schloss spricht, scheint diese Last von ihr abzufallen. Sie verlässt ihren Lesesessel im zweiten Stock eines Reinickendorfer Mietshauses und nimmt den Zuhörer mit auf einen Rundgang durchs Berliner Schloss: durch den Weißen Saal, vorbei an von Schadows Skulptur der Prinzessinnen Friederike und Luise, das imposante Treppenhaus hinauf. Orte, die es heute nicht mehr gibt. „Es war mein Schloss“, sagt Schnorr von Carolsfeld und lächelt.

Da war dieser typische Schloss-Geruch, der von den glänzenden mit Intarsien bestückten Parkettböden ausging. Die erwachsenen Besucher mussten weiße Filzpantoffeln anziehen, bevor sie sie betreten durften. „Wir Kinder nicht“, sagt Schnorr von Carolsfeld, wir wären darauf herumgeschlittert.“ 80 Jahre ist es her, dass das kleine Mädchen Nele an der Hand ihres Vaters durchs Schloss ging. Auf den Vater ist sie stolz, besonders dann, wenn er ihrer Schulklasse eine Führung gibt. Ludwig Schnorr von Carolsfeld, ein Nachfahre des Romantikmalers und Bibelgestalters Julius, ist ein großer warmherziger Mann. Er ist Direktor des Museums im Schloss. Das wird nach dem Ersten Weltkrieg eröffnet. Deutschland versucht sich gerade an der Demokratie, der Monarch ist abgedankt und seine Repräsentationsbauten werden erstmals einer staunenden Öffentlichkeit zugänglich.

Neles Vater zieht in ein mahagonigetäfeltes Büro im zweiten Stock des Westflügels. Dort bringt der Professor für Kunstgeschichte Unmengen von Büchern unter. Was Nele dort am meisten begeistert, ist die büroeigene Toilette – ein ungeheurer Luxus. Deren Wände sind mit rotem Samt überzogen und der Sitz ist aus massivem Mahagoniholz. Aber auch die niedrigen breiten Stufen des überdimensionierten Schlüter’schen Treppenhauses haben es Nele angetan. Der Vater erklärt, dass man die Treppen mit dem Pferd hinaufreiten konnte. Ob davon jemals Gebrauch gemacht wurde? Von Carolsfeld hat es nicht gesehen, aber das Bild des Pferdes auf der Treppe hat sie noch heute vor sich.

1933 wohnen die von Carolsfelds in der Lietzenburger Straße. Nele beobachtet gebannt von der Wohnung im obersten Stock aus die glühenden Papierreste, die aus dem Hof des Postamtes in der nahen Emser Straße aufsteigen. Die Nazis verbrennen Bücher und Deutschlandfahnen. Immer deutlicher sind ihre Schlachtrufe bis hinauf in die Wohnung zu hören. Die Schnorr von Carolsfelds sind seit Generationen eine bekannte Künstlerfamilie, selbstverständlich gibt es Juden und Homosexuelle im Freundeskreis. Wegen des bedrückenden Klimas in der Stadt zieht die Familie nach Frohnau auf ein Waldgrundstück. Der Vater arbeitet aber weiter im Schloss. „Er hat sich geweigert, der Partei beizutreten“, sagt von Carolsfeld. Dass er bis 1945 Direktor des Museums bleiben konnte, habe er dem wohlgesinnten Kultusminister zu verdanken. Und der Beratung Görings bei der Porzellansammlung. Auf diesem Gebiet war von Carolsfeld der unangefochtene Spezialist.

Die schlimmste Zeit für den Vater beginnt, als die Bombardierung Berlins bevorsteht und die Bestände des Schlosses in Bunker ausgelagert werden müssen. Was darf rein und was nicht? Ludwig von Carolsfeld ist für die Auswahl der Kunstgegenstände verantwortlich. An der Last dieser Entscheidung trägt er schwer. „Für ihn waren diese Sachen seine Kinder“, sagt von Carolsfeld. Als am 2. Februar 1945 Bomben auf das Schloss fallen und fast alle Räume bis auf den Nordwestflügel ausbrennen, setzt das dem Vater körperlich stark zu. Er stirbt am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation.

Seine Tochter kommt später noch einmal ins Schloss, in den unzerstörten Weißen Saal. Nur das Gefühl dabei habe sich verändert, es sei nicht mehr ihr Schloss gewesen, sagt sie. „Die Einrichtung und die Mitarbeiter waren in der ganzen Welt zerstreut.“ Dennoch: Als im September 1950 die Sprengung des Schlosses begann, „ging mir das an den Lebensnerv“.

Nele Schnorr von Carolsfeld fände ein neues Stadtschloss schön, allerdings unter einer Bedingung: „Wenn sie es nicht so bauen können, wie es war, sollten sie es lassen.“ Kein Zweifel, dass eine Kuppel draufgehört: „Ohne sie wäre das Schloss amputiert.“ Den „Blutwursttisch“, glaubt Nele Schnorr von Carolsfeld, wird sie wohl nicht mehr wiedersehen. Er wird vermisst.

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