zum Hauptinhalt
Den Dom im Rücken. Petra Zimmermann wird in der zentral gelegenen Kirche Heiligabend zwei Gottesdienste halten.

© Thilo Rückeis

Stadtspaziergang mit Dompredigerin Petra Zimmermann: Berliner Dom erwartet Heiligabend bis zu 10.000 Besucher

Inmitten der Stadt, die aus Brüchen zusammenwächst, steht der Berliner Dom. Hier arbeitet Dompredigerin Petra Zimmermann – natürlich auch zu Weihnachten.

Der Berliner Dom hat tatsächlich ein Klingelschild. Die verschiedenen Knöpfe an Pforte 2 führen zum Pförtner, in zwei Büros oder in die beiden Veranstaltungssäle des Gotteshauses. Nur ein Schild ist unbeschriftet. Welche Instanz hier wohl zu erreichen ist? Petra Zimmermann lächelt auf die Frage – und lässt sie unbeantwortet. Anders als die nach ihrem Gefühl zu diesem architektonischen Klotz, in dem sie seit knapp zwölf Jahren als Dompredigerin arbeitet. Wirkungsstätte nennt sie die Kirche, die im Februar 1905 fertiggestellt wurde – übrigens fünf Jahre später als geplant.

Der Weg um das Gotteshaus führt uns durch den entblätterten Kastanienhain am Lustgarten, in dem im Sommer bis zu 40000 Stare nächtigen. „Hitchcock“, sagt die Dompredigerin und guckt so, als würde ihr der Gedanke an das gruselige Meisterwerk „Die Vögel“ einen wohligen Schauer bescheren. Später bestätigt sie die Liebe zum Krimi mit dem schönen Satz: „Der ,Tatort‘ gehört zu meiner Sonntagsliturgie.“

Die vier nackten Jugendlichen frieren auch im Nieselregen nicht

Nur wenige Schritte sind es von den Kastanien bis zur denkmalgeschützten Friedrichsbrücke, die hier auf knapp 70 Metern Länge die Spree überquert. Der Fluss, der die östliche Seite des Doms begrenzt, sieht an diesem grauen Dezembertag wenig einladend aus. Petra Zimmermann setzt mit ihrer blauen Wolljacke einen Leuchtpunkt in die Tristesse. „Wenn ich an meinem Schreibtisch anfange auf dem Bleistift rumzukauen, weil ich nicht weiterkomme, gehe ich zum Fenster und schaue auf die Spree.“ Schreibt sie in ihrem Büro an den Predigten? Nein, die entwirft sie zu Hause, in Hoppegarten. „Da habe ich die Literatur, die ich brauche.“ Literatur, das klingt nach Bibliothek, nach Geborgenheit und Gemütlichkeit. Und passt so gar nicht zum Nieselregen, der sich wie ein feuchter Film ungemütlich mit dem Wind verbindet, als wir das Vera-Brittain-Ufer betreten. Seit knapp zwei Jahren ist dieser Teil der Spreepromenade nach der englischen Schriftstellerin, Feministin und Pazifistin benannt. Ungerührt von Wind und Wetter haben sich auf der Mauer zum Fluss drei Mädchen und ein Knabe niedergelassen. Alle vier sind nackt. Und aus Bronze. Die von Wilfried Fitzenreiter gestaltete Figurengruppe gehörte ursprünglich zu einem Brunnen, der beim Neubau des Dom-Aquarée direkt um die Ecke weichen musste. Nun haben die vier Jugendlichen gegenüber dem Dom Platz genommen und sind nicht nur für die spanischen Touristen, die sich gerade um sie scharen, ein beliebtes Fotomotiv.

Die "Domerhaltungsgebühr" beträgt sieben Euro

Auf dem kleinen Stück bis zur mehrspurigen Karl-Liebknecht-Straße liegen Restaurants, Cafés, ein Segway-Vermieter, der City-Touren bietet, das DDR-Museum und der Anlegeplatz „Berliner Dom“ der Stern und Kreisschifffahrt Berlin. „Manchmal wünsche ich mir schon, die Touristen würden sich in der Stadt besser verteilen“, sagt Petra Zimmermann und schaut leicht gequält. „Andererseits leben wir natürlich davon, dass viele von ihnen den Dom besuchen.“ Außerhalb der Gottesdienste kostet der Besuch in der evangelischen Kirche sieben Euro. „Domerhaltungsgebühr“ heißt es auf der Website, nicht „Eintritt“. Manchmal, sagt die 60-Jährige, erlebe sie hier einen anderen Tourismus, als sie ihn sich wünsche. Der Blick fällt fast automatisch auf den fliegenden Händler, der seinen Stand mit russischen Soldatenmützen und DDR-Devotionalien auf der Liebknechtbrücke aufgebaut hat.

Ganz nah sind wir hier einer Wunde der ehemals geteilten Stadt, die erst nach ihrer Vereinigung gerissen wurde: Dort, wo einst der Palast der Republik stand, wird nun der Wiederaufbau des Berliner Schlosses vorangetrieben. „Ich glaube, dass die Eröffnung des Humboldt-Forums die Situation hier verändern wird. Der Dialog der Kulturen könnte gefördert werden – gerade auch im Gespräch mit uns als Kirche. Wir können einander interessante Partner sein“, sagt die Pfarrerin.

"Wir gehören stärker ins öffentliche Bewusstsein"

Nur einen Kilometer von hier entfernt soll bis zum Jahr 2019 das House of One entstehen. Ein interreligiöses Gebäude, in dem eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee ihren Platz finden. Zimmermanns Gedanken schweifen zurück zu einer Gedenkandacht nach einem Terroranschlag, die im Dom von ihr, einem Rabbi und einem Imam gestaltet wurde. Bei der Nachbereitung fragte sie beide Kollegen, ob die Wahl der Kirche für sie schwierig gewesen sei? „Das ist doch der Berliner Dom, das ist der Ort für uns alle“, sei die entspannte Antwort gewesen.

Jetzt haben wir den Dom einmal umrundet. Vom Lustgarten aus gesehen östlich gelegen erreicht man seinen Haupteingang. Dass die Bushaltestelle der BVG hier lediglich „Lustgarten“ heißt und der Dom unerwähnt bleibt, macht Petra Zimmermann etwas aus: „Wir gehören einfach stärker ins öffentliche Bewusstsein“, sagt sie und verweist darauf, dass auch auf touristischen Wegweisern ein Hinweis auf den Dom fehlt.

Wenn der Dom geschlossen ist, findet sie Zeit für innere Einkehr

Der Dom. 98 Meter ist er hoch, seine Grundfläche beträgt knapp 7000 Quadratmeter, fast 1500 Menschen können darin Platz nehmen. Riesig also, innen prachtvoll und opulent. Wo findet die Dompredigerin hier einen Ort der Muße? Zeit zur Besinnung? Sie überlegt kurz. „Wenn der Dom geschlossen ist, wenn dieser Raum ganz ruhig wird. Dann setze ich mich gerne nach vorne in die erste Reihe und schaue in die Kerzen.“ Dies sei auch einer der Momente, in denen sie intensiv bete. „Gemeindeglieder in Not bitten mich häufig, für sie zu beten. Und für manche bete ich auch, obwohl ich nicht darum gebeten wurde.“

Fertig ist sie mit ihrem Predigttext noch nicht

So still, wie in diesen Momenten der inneren Einkehr, wird es Heiligabend für sie nicht sein: Sechs Gottesdienste werden am Sonntag im Dom gefeiert (siehe Seite 14). Bei der Christvesper um 18 Uhr und dem Abendgottesdienst um 20 Uhr predigt Petra Zimmermann. Fertig ist sie mit ihrem Text kurz vor Weihnachten noch nicht. „Predigten gehören zu den schwersten Dingen überhaupt“, sagt sie und spricht sogar vom Gefühl der Verzweiflung beim Schreiben. Aber sie weiß natürlich, welcher Bibeltext eine Rolle spielen wird. Und welches aktuelle Thema sie umtreibt, das sie deshalb unterbringen möchte: „Mich beschäftigt, warum wir in einer wirtschaftlich so erfolgreichen Phase eine solche Verzagtheit zeigen und uns abschotten wollen.“

Aus Sicherheitsgründen wird jeder Gottesdienstbesucher kontrolliert

Vor einem Jahr musste sie ihre Predigt völlig umschreiben, nachdem fünf Tage vor Weihnachten der Anschlag auf dem Breitscheidplatz verübt worden war. Und während der Dom zu all seinen Weihnachtsgottesdiensten üblicherweise mehr als 10000 Besucher verzeichnet, blieben viele im vergangenen Jahr zu Hause. „Die hatten nach dem Anschlag einfach Angst.“ Dass der Dom tatsächlich ein mögliches Anschlagsziel des Attentäters vom Breitscheidplatz war, wurde erst vor wenigen Tagen bekannt. Unabhängig davon hat das Haus schon vor einem Jahr seine Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Jeder wird kontrolliert, große Taschen dürfen nicht mit in die Gottesdienste genommen werden.

Und wann ist bei Petra Zimmermann privat Weihnachten? „Am zweiten Feiertag nachmittags.“ Doch das sei schließlich schon bei der Berufswahl klar gewesen. Die Besonderheit des Festes erlebe sie sowieso im Dom. Und freue sich, wenn viele Besucher kommen, egal aus welchen Gründen. „Es ist einfach schön, wenn die Menschen berührt werden.“

In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm. Mit Sängerin Inga Humpe am Spree-Ufer in Mitte. Mit Weltenbummlerin Heidi Hetzer im Opern-Viertel. Mit DJ Alfred Heinrichs durch Lichtenberg. Mit Lüül durch Eichkamp in Westend. Mit dem Hauptmann-Darsteller Jürgen Hilbrecht durch Köpenick. Mit Sängerin Elif durch Moabit. Mit Autorin Emilia Smechowski durch Kreuzberg. Mit dem Botschafter des Vatikans an der Hasenheide entlang. Mit dem SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck durch das südliche Neukölln. Mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick zwischen Hansaviertel und Moabit. Mit Prenzlschwäbin Bärbel Stolz durch, na klar, Prenzlauer Berg. Mit Autor und Kurator Dmitrij Belkin durch das Bayerische Viertel. Mit Gayle Tufts durch Schöneberg. Mit Violinist Daniel Hope durch die City West. Mit dem Fotografen Andreas Mühe durch Niederschönhausen. Mit Schauspielerin Jenny Schily durch Grunewald.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false