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Berlin: Stärker als Kyrill

Nach dem Tornado in Südbrandenburg hat das Aufräumen begonnen. Der Sturm erreichte Tempo 250

Mühlberg – Fassungslos und kopfschüttelnd gehen die Einwohner der Kleinstadt Mühlberg im äußersten Brandenburger Südwesten am Dienstag durch die Straßen. Ein Tornado mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 250 Kilometern pro Stunde hatte am Sonntagnachmittag innerhalb von 20 Minuten 80 Prozent aller 300 Dächer teilweise erheblich geschädigt. Dicke Bäume wurden samt Wurzelwerk aus der Erde herausgedreht, Dachziegel wirbelten durch die Straßen. Dazu prasselten Hagelkörner in der Größe von Tennisbällen vom Himmel. Verletzt wurde in der 4500-Einwohner- Stadt niemand. „Ein Tornado dieser Stärke kommt in Deutschland nur alle zwei bis drei Jahre vor“, sagte Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst. „Er kann noch nicht vorausgesagt werden.“ Der Experte ordnete den Tornado auf einer international üblichen Skala von 1 bis 5 auf Platz drei ein.

„Bei uns verfärbte sich der Himmel gelb-grün“, erzählte Bürgermeisterin Hannelore Brendel am Dienstag. „Da ahnten wir schon Schlimmes. Aber nie hatten wir mit so einer Katastrophe gerechnet.“ Wie heftig der Sturm war, schilderte auch Gastwirt Günter Jahn. „Acht Männer haben versucht, ein Wohnzelt festzuhalten. Nach nicht einmal einer halben Minute mussten wir die Seile loslassen“, sagte Jahn, der gestern seine abgeschürften Handgelenke pflegen musste. „Noch schlimmer aber wiegen die Schäden an meinem Wohnhaus. Ich kann jetzt vom Erdgeschoss in den Himmel schauen, weil Dach und Obergeschoss abgedeckt worden sind.“

Auch über Großenhain im benachbarten Sachsen wütete das Unwetter. Hier kam ein sechsjähriges Mädchen ums Leben, als ein Baum ein Auto unter sich begraben hatte. Das Kind konnte noch schwer verletzt aus dem Wrack gezogen werden, starb aber im Krankenhaus. Zudem wurden mehrere Einwohner verletzt.

Brandenburgs Innenminister Rainer Speer (SPD) sprach nach einem Besuch in Mühlberg von einem „zweiten Wunder“. Denn trotz der massiven Schäden, die in die Millionen gehen dürften, sei genau wie beim Hochwasser der Elbe im Sommer 2002 niemand verletzt worden. „Wir werden uns um eine rasche Schadensbeseitigung bemühen, denn für Donnerstag sind schon wieder Niederschläge angekündigt worden“, versprach Speer. „Bis dahin wollen wir die größten Lücken in den Dächern abdichten.“

Bürgermeisterin Brendel hob die große Solidarität zwischen den Einwohnern hervor und lobte den Gemeinsinn, der beim Hochwasser vor acht Jahren gewachsen sei. „Alle obdachlos gewordenen Einwohner fanden Unterkunft bei Verwandten und Bekannten.“ Dennoch beklagte sie besonders die Schäden an historischen Gebäuden. Die Klosterkirche habe ihre Spitze verloren und auch das Schloss sei erheblich beschädigt worden.

Tornados, für die auch der verharmlosende Begriff „Windhose“ gebräuchlich ist, sind gar nicht so selten in Deutschland. „Wir bekommen pro Jahr etwa 20 bis 60 Tornado-Meldungen“, sagte Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst. 90 Prozent davon erreichen die niedrigsten Stufe 1. Nach Friedrichs Erklärung entstehen Tornados unter einer hoch reichenden Schauer- und Gewitterwolke. Darunter müsse sehr feuchter Wind aus verschiedenen Richtungen wehen, der sich dann zu einem bis zum Erdboden reichenden typischen Wolkenrüssel entwickle. „Die genaue Entstehung gehört zu den letzten Geheimnissen der Meteorologie“, sagte Friedrich. Sie könnten wegen ihres begrenzten lokalen Auftretens nicht vom Radar oder vom Satelliten erfasst werden. Nur wenn Augenzeugen eine Meldung abgeben würden, könnten andere Regionen gewarnt werden. Der legendäre Sturm „Kyrill“ erreichte Windgeschwindigkeiten von „nur“ 180 bis 200 Kilometern pro Stunde.

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