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Berlin: Stalins Festung wandelt sich zum Märchenschloss

Rote Sterne, Marmor und Blattgold –  Russlands Botschaft Unter den Linden ist 50 Jahre alt

Von Lothar Heinke

Es war nur ein kurzer Moment, eine kleine Szene am Rande des Sommerballs in der Botschaft der Russischen Föderation. Die Fotografen entdecken den Hausherrn Sergej B. Krylow im Gespräch mit seinem früheren amerikanischen Amtskollegen John Kornblum. Schon platzieren sie die beiden Abgesandten zweier großer, lange Zeit nicht gerade befreundeter Mächte in die Mitte der Kuppelhalle mit dem Wappen und den Fahnen der UdSSR. Vom roten Stern auf dem gläsernen Spasski-Turm des Kreml zucken Strahlenblitze, die Uhr schlägt zur vollen Stunde wie ihr Moskauer Pendant. Und nun umarmen sich die Herren Krylow und Kornblum – es ist ein schönes, hoffnungsvolles und friedfertiges Bild, gerade hier, wo einst die Welt des bösen Imperialismus gegeißelt und die eigene Größe beschworen wurde.

Heute, beim Sommerball, sitzen die Kinder und Enkel der Kontrahenten von einst an festlich gedeckten, runden Tischen im Spiegelsaal vor flackernden Kerzen, deren Widerschein den Saal überströmt. Tausend Leute mögen es sein, die es sich gut sein lassen als Gast bei Mütterchen Russland, und kaum einer beachtet noch den kräftigen Kopf des Genossen Lenin, der, seit einiger Zeit vom Vorhof in den Garten verrückt, erhaben über Kaviarschüsseln, Sektflaschen, Bierhähne und kulinarische Köstlichkeiten blickt.

East meets West unter der weiß-blau-roten Trikolore in der Berliner Mitte, und eine Kapelle gratuliert mit heißem Beat der Botschaft der Russischen Föderation zu ihrem fünfzigjährigen Bestehen. So alt ist das Haus Unter den Linden 63 - 65. Fünfzig Jahre Politik in prächtiger Repräsentanz, die uns jahrzehntelang wie eine Festung erschien. Seit der Wende aber öffnet sie sich mehr und mehr wie ein Märchenschloss. „Die an das Treppenhaus angrenzenden Festräume strahlen mit Säulen, Stuck, grünem, rotem, weißem, gelben Marmor und Granit, erlesenen Parketts und Möbeln, blattvergoldeten Spiegeln und Stuckpaneelen, Bronze- und Messingkandelabern“, schwärmt der „Neue Architekturführer“ und fügt an, dass die an die klassizistischen Palasträume St. Petersburgs angelehnten Interieurs in Berlin ihresgleichen suchen, vom Schloss Charlottenburg vielleicht einmal abgesehen.

Genau besehen ist die Botschaft 165 Jahre alt. Nach einem Kaufvertrag vom Januar 1837 überließ die Herzogin von Sagan dem Zaren Nikolaus I. das Grundstück Unter den Linden 63 für 105 000 Taler. Frankreichs Diplomaten folgten erst 1860, die Briten 1884. Übrigens sollen damals nach Landessitte 149 Fuhrwerke russische Heimaterde nach Berlin aufs Botschaftsgelände gekarrt haben. Das „Kurland-Palais“ wurde im Krieg schwer beschädigt, nach 1945 planten die Russen den größten Neubau einer sowjetischen Botschaft im Ausland. Er war nicht allein für die DDR gedacht, sondern für ein neues Gesamtdeutschland. Sowjetische und deutsche Fachleute arbeiteten von 1949 bis 1952 an dem Komplex, der bis heute das Pathos seiner Entstehungszeit nicht leugnet. Die schwarze Marmortreppe hinter den schweren Eisentüren hat eine besondere Geschichte. Adolf Hitler wollte den wertvollen Marmor aus Finnland für ein Siegesdenkmal in Moskau verwenden; nach dem Krieg erinnerte man sich des edlen Steins, der dann für die neue Botschaft Unter den Linden verwendet wurde.

50 Jahre später nennt uns Botschafter Sergej J. Krylow einige spektakuläre Ereignisse im Russischen Palais: 1954 tagte hier die Außenministerkonferenz der Siegermächte, später wurde hinter den Sandsteinmauern über West-Berlin verhandelt. Und eines Tages über den Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR. Chrustschow war da, Breshnew und zuletzt Putin, der auch mit den Chefs aller politischen Parteien sprach. Zu dem von den Ereignissen überholten Wandschmuck der Säle – besonders im Saal mit den goldenen Wappen früherer Unionsrepubliken – hat der Botschafter eine ganz klare Meinung: „Das ist ein Teil unserer Geschichte. Ich bin gegen Veränderungen.“ Die Räume sind außerdem so ungewöhnlich, dass Krylows Einladungen sehr begehrt sind und große Firmen viel darum geben, hier zu Gast sein zu dürfen. „Aber hierher kommen nur Organisationen und Firmen, mit denen wir eng verbunden sind und zusammenarbeiten, wie Siemens.“ Auch für eine Verkaufsausstellung mit Bildern von Marc Chagall war die Botschaft jüngst ein ebenso goldener wie heimatlicher Rahmen.

Ein Mann, der immer wieder gern an seine einstige Wirkungsstätte zurückkehrt, ist Igor F. Maximytschew. Der große, grauhaarige Diplomat mit der tiefen Stimme, den Peter Ustinow in dem TV-„Deutschlandspiel“ zum 9. November 1989 verkörperte, ist in den fünf Jahren Unter den Linden „ein bisschen Berliner“ geworden. Als Gesandter erlebte er den Fall der Mauer, als amtierender Leiter der Außenstelle – die Botschafts-Nr. 1 befand sich damals ja noch in Bonn – öffnete er 1991 die „Festung“ mit Empfängen und Konzerten für die Öffentlichkeit. „Wir waren der festen Überzeugung, dass wir endlich zusammengehören, dass diese Unsinnsteilung der Welt und die Konfrontation vorbei ist, dass wir ein Europa aufbauen können. Aber dann haben wir mit Entsetzen feststellen müssen, dass sich niemand beeilte, uns zu umarmen, obwohl unsere Arme weit ausgebreitet waren.“ Nun aber wurde endlich eine gemeinsame Sprache mit den Vereinigten Staaten gefunden, und „solange Russen und Deutsche sich verstehen, wird in Europa nichts Unangenehmes passieren können.“ Die Feiern in der Botschaft seien Schritte auf diesem Weg.

Igor Maximytschews schönstes Erlebnis in der Botschaft war die Neujahrsfeier 1990, als junge Leute plötzlich auf seinem Fenstersims standen und mit den Diplomaten anstießen. Solch Überschwang und Freude habe er danach nie wieder bei den Deutschen erlebt.

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