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Berlin: Standhaft im Wind

Tausende Studenten auf der Demo und einige beim PDS-Parteitag

Der Wind bläst ihnen eisig ins Gesicht. Sie hüpfen auf der Stelle, reiben sich die Hände und pusten was die Lunge hergibt in die Trillerpfeifen. „Nur weil es jetzt kalt geworden ist, geben wir doch nicht sofort auf“, sagen die drei Studentinnen am Nachmittag Unter den Linden. Seit zehn Minuten stehen sie und die anderen Teilnehmer an der vierten SonnabendDemonstration der Studenten gegen die Streichpläne des Senats auf der Kreuzung zur Friedrichstraße und versuchen, so laut wie nur möglich zu sein. Denn drüben in Sichtweite sitzt die PDS auf ihrem Landesparteitag im Hotel Maritim pro Arte beisammen, „Und wir müssen so laut wie nur möglich sein, damit die uns auch hören“, verlangt ein Sprecher übers Mikrophon. Schon blasen die drei Frauen wieder in ihre Trillerpfeifen. Eine gellende Geräuschkulisse ist das – die Passanten halten sich die Ohren zu.

Ansonsten meinen die Studenten für ihre Proteste nichts als Rückenwind zu spüren. 5000, schätzt die Polizei, sind es, die die Kreuzung zur Friedrichstraße besetzt halten. 15000 zählen die Veranstalter. Sie sind vom Brandenburger Tor über den Potsdamer Platz und die Friedrichstraße hierher gezogen – Zielpunkt des Zuges ist das Hauptgebäude der Humboldt-Universität. Damit die Studenten das Maritim nicht stürmen, hat die Polizei ein halbes Dutzend Mannschaftswagen in Stellung gebracht, verzichtet aber darauf, die Beamten mit Helm und Schutzschilden antreten zu lassen. Auf der Straße bleibt auch alles friedlich, die Studenten hielten stattdessen ihre Transparente hoch: „Bildung krepiert, weil Dummheit regiert“.

Knapp 200 Demonstranten schaffen es dennoch, bis vor die Tür des Hotels zu kommen. Drinnen diskutiert die PDS bereits mit einem Dutzend streikender Studenten. Während ihre Kommilitonen vor dem Hotel Parolen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“ skandieren, kommt es im Sitzungssaal beinahe zur Eskalation. Studenten werfen der PDS vor, in der Koalition eine Politik wie der chilenische Ex-Diktator Pinochet zu machen. Benjamin Hoff, wissenschaftspolitischer Sprecher der PDS-Fraktion, weist diesen Vorwurf empört als „obszön“ zurück, kann die Situation schließlich aber doch beruhigen. Die PDS teile viele Anliegen wie Mitbestimmungsrechte für Studenten, weshalb ihr Kurs auch „mehr als eine Umarmungsstrategie“ sei.

Die Studenten lehnen das von PDS-Wissenschaftssenator Thomas Flierl favorisierte Studienkonten-Modell ab. „Studienkonten sind Studiengebühren“, sagt ein Vertreter von ihnen. „Der PDS fällt nichts Besseres ein, als die Bildung zu verscherbeln. Die Partei der sozialen Gerechtigkeit verbiegt sich, ohne rot zu werden.“ Thomas Flierl bleibt aber bei seiner Position und verteidigt die angepeilte Sparsumme von 75 Millionen Euro im Hochschulbereich. Er bietet den Studierenden jedoch einen Dialog an.

Die Parolen der Studenten draußen sind von einem Dialog weit entfernt. „Wie soll ich meinen Abschluss machen, wenn Pflicht- Vorlesungen nicht einmal im Semester, sondern nur einmal im Jahr stattfinden?“, fragt ein Sprecher übers Mikrophon und erntet dafür Applaus. Eine Situation, die viele Studenten kennen. Auf ihren Plakaten ist aber nicht Thomas Flierl der Buhmann, sondern Klaus Wowereit und Thilo Sarrazin. Sie schieben einen schrottreifen bunt bemalten VW-Jetta vor sich her, an dem sie ein Plakat mit der Aufschrift „Zurück in die Steinzeit“ angebracht haben.

Sie wollen nicht locker lassen. Die von ihnen initiierte Mahnwache für die Bildung vor dem Roten Rathaus soll weitergehen und die Vorlesungen unter freiem Himmel am Potsdamer Platz auch. Für den Sonntag- vormittag kündigen die Studenten an, dass sie mit einem stillen Protestmarsch vom Berliner Dom zur Siegessäule ziehen wollen, wo sie schließlich nachmittags unter dem Motto „Bildung auf Sparflamme“ Kerzen anzünden wollen. Für den Abend ist wieder das sonntägliche „HU-sleep-in“ geplant. oew, sib

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