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Start-up-Boom: Berlin ist das Silicon Valley Europas

In Berlin-Mitte hat sich ein Zentrum für junge Internetfirmen mit viel Gründergeist und Innovationskraft entwickelt. Die Stadt gilt international als hip und cool, beliebter als London.

Noch vor kurzem galt London als das europäische Mekka für Internetgründer. Jetzt ist Berlin mit über 60 Start-ups der absolute Hotspot. Hier mischt sich kreative Brainpower mit technischem Know-how. Das Ergebnis: erfolgreiche Internetunternehmen. Warum sonst würden Venture Capitalists wie Marc Andreessen, Mitbegründer von Netscape, oder Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher ihr Geld in Berliner Start-ups stecken?

Kutchers aktuelles Interesse gilt dabei dem Social Media Unternehmen Amen. Hier darf jeder seine Meinung posten und die Meinungen anderer bewerten. Amen kommt unserem Bedürfnis nach, unsere Ansichten über Gott und die Welt öffentlich kundzutun, eine wilde Mischung aus Twitter, Facebook und Meinungsbarometer mit dem Potenzial, Menschen aus aller Welt miteinander zu vernetzen. Online ist die englischsprachige Plattform allerdings noch nicht. Bis auf Screenshots, die zeigen, wie alles wird, ist noch nichts zu sehen. Und trotzdem: In der Szene ist der Hype schon da.

Kein Wunder, denn die Gründer sind keine Neulinge: Felix Peterson gründete 2004 in Berlin den Internetdienst Plazes, der Usern ermöglicht, Freunden und Bekannten virtuell zu zeigen, wo sie sich gerade befanden. Ziemlich innovativ in einer Zeit, als es noch keine Smartphones gab. 2008 verkaufte Peterson sein Unternehmen an Nokia und heuerte dort als Führungskraft an. Auch Amen-Mitbegründerin Caitlin Winner ist keine Unbekannte in der Branche. Sie ist Absolventin des renommierten MIT Media Labs und Gründerin des Softwareentwicklers Plum. Auch Plum wurde von Nokia gekauft. Das war 2010. Und Winner wurde ebenfalls Nokia-Mitarbeiterin. Jetzt aber haben sie genug von der Corporate-Welt und starten erneut als Gründer.

Nur zwei von vielen Start-up-Biografien, die man in der Spree-Metropole findet. „Was für Berlin spricht, ist eine Kombination verschiedener Faktoren“, sagt Ralph Kunz, Geschäftsführer von Catagonia, einem Software- und Serviceunternehmen, das in Online- und Mobiltechnologie investiert, ein sogenannter Inkubator. „Die Stadt zieht aufgrund der niedrigen Lebenshaltungskosten junge, kreative Menschen an, die Etabliertes infrage stellen. Außerdem ist Berlin offen, sehr international, und Büroräume sind vergleichsweise günstig. Ideale Bedingungen für Start-ups.“ Etablierte Firmen dienen dabei als Brutkästen, wo schon Praktikanten oder Werkstudenten alles lernen, was sie benötigen, um sich mit einer eigenen Idee selbstständig zu machen. Aber auch aus dem Management spalten sich immer wieder Gründer ab. Manche sind dabei vollkommen branchenfremd. So wie Regine Harr.

Bevor sie nelou.com gründete, war sie Investmentbankerin. Während ihrer Zeit in Bangladesch, wo sie im Micro-Financing tätig war, kam sie mit der Modeindustrie in Berührung. „Mir wurde klar, dass junge Labels keine Chance haben, ihre Kollektionen produzieren zu lassen oder überhaupt eine Präsenz auf dem Markt aufzubauen“, sagt sie. Alles werde von den Großen der Branche dominiert. Aus dieser Erkenntnis und ihrer Liebe zur Mode heraus wurde eine Geschäftsidee geboren: eine Verkaufsplattform für junge Designer, die sich von DaWanda absetzen sollte. Vorbild waren eher hochwertige Designer-E-Commerce-Seiten wie Net-A-Porter, Yoox oder Mytheresa. „Mir war wichtig, dass sich unsere Kunden, die nicht tagein, tagaus im Internet leben, von der Webseite angesprochen fühlen“, sagt Harr.

Weiter auf Seite 2: E-Commerce ist ein großes Thema

Mittlerweile ist Nelou fast ein Jahr online und zum Partner der Vienna Fashion Week avanciert. Im neuen Onlinemagazin präsentiert Nelou ihren Kundinnen die aktuellen Trends, die sie direkt aus dem Magazin heraus bestellen können, und bei nelou.tv lernt man in kleinen Interviews die Designer hinter den Marken kennen. „Ich bin überrascht, wie viel wir schon erreicht haben“, meint Harr. Mit einem Pop-up-Store und einer eigenen Modenschau auf der Vienna Fashion Week ist Nelou außerdem das Cross-over aus der virtuellen in die reale Welt gelungen.

Das nötige Know-how für ihr Start-up hat Regine Harr bei einem viermonatigen Gründertraining des Founder Institutes gelernt, das sich „Globalizing Silicon Valley“ auf die Fahnen geschrieben hat und Starthilfe in Form von Wissen und Networking gibt. „In meinem Semester war ich die einzige Frau“, schmunzelt sie. Dass sie und ihr Geschäftspartner Boris Berghammer sich für Berlin als Standort entschieden haben, hat viel mit der Kreativszene zu tun, aber auch mit der Kostenstruktur. Finanzielle Starthilfe gab es außerdem von der IBB. „Berlin ist hip und cool“, sagt Harr. „Die Stadt hat London als Hub klar abgelöst. Außerdem kann man sich hier auch als kleines Unternehmen eine Launchparty leisten und sich ausleben. Wo geht das denn noch?“

Das sehen andere Webgründer und Investoren genauso. Und so tummelt sich in Berlin mittlerweile eine bunte, sehr internationale Szene aus Kreativen, Programmierern und Investoren, die das Potenzial der Stadt erkannt haben. „Ein riesiges Thema ist E-Commerce mit Firmen wie Zalando, MyToys oder Daily Deal“, sagt Alexander Hüsing, Gründer des Branchenblogs Deutsche Start-ups. „Außerdem gehören Firmen wie der Spieleentwickler Wooga und die Musikplattform SoundCloud zu den Großen.“ Aber ohne Katalysatoren wie E-Bay und Immobilienscout – eine Gründung aus der Zeit der New Economy – wäre der Aufstieg Berlins zum Silicon Valley Europas nicht möglich. Insbesondere der aus ehemaligen E-Bay-Mitarbeitern hervorgegangene Inkubator Rocket Internet ist dabei mit Gründungen wie Zalando, E-Darling und Groupon wegweisend und wird es mit seinen Ressourcen, Ideen und finanziellen Möglichkeiten bleiben. „Berlin ist als globaler Melting Pot eine Keimzelle für internationale Geschäftsmodelle“, sagt Christian Weiß, Geschäftsführer bei Rocket Internet und prognostiziert, dass der Standortvorteil auch noch eine Weile anhalten wird. Nährboden für mehr coole Start-ups.

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