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Eine Vase entsteht.

© Anett Kirchner

Steglitz-Zehlendorf: Töpfern in der Domäne Dahlem

Wer einmal Landleben in der Großstadt erfahren will, kann nach Steglitz-Zehlendorf zur Domäne Dahlem fahren - und Töpfern lernen.

Als müsse sie Frust ablassen, haut Regine Lüder einen Tonklumpen mit Wucht auf eine Gipsplatte. Ein zweites und ein drittes Mal. Dann knetet sie den Ton mit den Händen wie einen Kuchenteig. Töpfern ähnelt dem Backen, sagt sie und bearbeitet den eineinhalb Kilogramm schweren Batzen weiter. „So wecke ich den Ton auf, damit er weich wird und sich später gut verarbeiten lässt.“

Dabei lächelt sie vergnügt in sich hinein. Keine Spur von Frust. Sie liebt ihren Beruf. Das ist nicht zu übersehen. Wenig später: geschafft. Jetzt beginnt der eigentliche Teil der Arbeit an der Töpferscheibe. Die Keramikwerkstatt von Regine Lüder gehört zu den historischen Werkstätten der Domäne Dahlem.

Hier wird konsequent versucht, traditionelles Handwerk zu bewahren, zum Beispiel in der Hofschmiede, die wir bereits vorgestellt haben. Auch das Töpfern gehört zu den ältesten Handwerkstechniken der Welt. Laut Wissen.de werden die ältesten Keramikfunde in die Zeit um 7000 vor Christus datiert. „Es wäre schade, wenn das eines Tages ausstirbt“, sagt Regine Lüder.

Nur noch wenige Schulen bieten die Ausbildung an

Ihre Werkstatt ist ein Ausbildungsbetrieb und hat derzeit einen Lehrling. Nur noch wenige Schulen in Deutschland böten das Fach als Ausbildungsberuf an. Einige hätten bereits dicht gemacht. Trotzdem bleibt sie am Ball und beobachtet in den letzten Jahren einen positiven Trend.

„Es wächst eine junge Generation heran, die dieses alte Handwerk wieder mag“, freut sie sich. So kommen zu ihren Kursen, die sie anbietet, mitunter junge Erwachsene, die als Kind schon bei ihr getöpfert haben. Und als hätte sie es geahnt, steht im nächsten Moment eine junge Frau, etwa 14 Jahre alt, neben ihr. „Ich möchte ihnen als Dankeschön das hier schenken“, flüstert die schüchtern wirkende, junge Frau und drückt Regine Lüder ein Glas selbst gemachte Marmelade in die Hand. Sichtlich gerührt umarmt sie den Teenager, der seit vielen Jahren ihre Töpferkurse besucht.

Etwas mit den eigenen Händen formen, kreativ sein, sich auf einen Moment konzentrieren – das sei beim Töpfern wesentlich. Oder anders: von der Kopfarbeit, dem Denken, zur Handarbeit wechseln und umgekehrt. Töpfern fördert die Intelligenz und das Selbstbewusstsein, sagt Regine Lüder. „Denn ich stelle fest, dass die Menschen entspannter aus meiner Werkstatt herausgehen, als sie hineinkommen.“

Seit 1999 ist Regine Lüder mit ihrer Keramikwerkstatt auf dem Gelände der Domäne Dahlem. Sie hat sich hier auf 55 Quadratmetern eingerichtet; in einem einstöckigen, weiß getünchten Seitengebäude, in dem zu Zeiten des Dahlemer Rittergutes Stallungen gewesen sein müssen. „Hier gibt es noch Futtertröge, die darauf schließen lassen“, erläutert sie.

Im vorderen Bereich stehen ihre getöpferten Stücke; etwa Gebrauchskeramik wie Teller, Tassen und Vasen, aber auch kleine Skulpturen, Briefbeschwerer, ein Brunnen. Wenige Schritte weiter, im zweiten Raum, ist die Werkstatt.

Eindruck vom Landleben

Töpferscheibe, Regale mit in Folie gewickeltem Ton, zwei Brennöfen, ein Tisch in der Mitte, Stühle, Eimer mit Farben, Glasuren, Werkzeug – all das findet sich hier. Durch die geöffneten Fenster ist das muntere Gackern der Domäne-Hühner zu hören. Es braucht nicht viel Fantasie, um hier einen Eindruck vom Landleben zu bekommen.

Regine Lüder hat inzwischen an ihrer Töpferscheibe Platz genommen und „zentriert“ den Tonklumpen, wie es heißt. Um das Material modellieren zu können, taucht sie einen kleinen Schwamm in Wasser und befeuchtet damit den Ton. Anschließend drückt sie mit ihren Fingern ein Loch in die Mitte des Werkstücks. Durch die Rotation der Töpferscheibe entsteht ein Hohlraum.

Mit ihrem „Lieblingswerkzeug“, einer ausgedienten Krankenkassen-Gesundheitskarte, streicht sie die äußere Schicht des Tons vorsichtig glatt. Allmählich nimmt der Gegenstand Form an. Es wird ein Krug, bauchig, vielleicht für Wein. Er erinnert ein wenig an die Amphoren der alten Römer. Nur der Henkel fehlt noch.

Zwischendurch kommt eine ältere Dame in die Werkstatt. Sie möchte für ihre Enkelin eine Figur und Malfarben holen. „Moment!“ Regine Lüder hält die Töpferscheibe an, springt auf, holt eine Schildkröte aus Ton und gibt sie der Frau. Sie bietet diesen Service in den Sommerferien. Großeltern mit Enkeln, Familien oder Jugendliche sind willkommen, Figuren selbst zu bemalen und sie mit nach Hause zu nehmen.

Die 57-Jährige weiß, wie beliebt dieses Angebot ist. Sie hat zwei eigene Kinder, Tochter und Sohn, zwar inzwischen erwachsen, aber sie haben früher gemeinsam viel Zeit hier in der Werkstatt verbracht. Ihre Tochter, die an der Freien Universität Berlin (FU) in Dahlem studiert, besucht ihre Mutter heute noch gern und hilft in der Werkstatt aus.

Regine Lüder, die aus Kiel stammt, ist früher eigentlich Sportlehrerin gewesen, konnte nach einem Motorradunfall aber diesen Beruf nicht mehr ausüben. Weil sie, seit sie acht Jahre alt war, vom Töpfern fasziniert ist, entschied sie sich für einen beruflichen Neuanfang, machte eine Lehre zur Töpfer-Gesellin.

Töpfern kann im Grunde jeder

1984 zog sie nach Berlin. Hier gründete Regine Lüder eine Familie und machte sich später mit ihrer ersten Töpferwerkstatt in Charlottenburg selbstständig. Von der Möglichkeit, sich auf dem Gelände der Domäne Dahlem etwas Neues aufzubauen, erfuhr sie durch eine Anzeige. Zuvor gab es in den Räumen hier bereits eine Werkstatt, die von ehrenamtlichen Töpfern betrieben wurde.

„Das historische Ambiente inspirierte mich und passte gut zu der Einstellung, die ich zu meinem Beruf habe“, erinnert sie sich. Schritt für Schritt entstand daraufhin die heutige Keramikwerkstatt. Töpfern kann im Grunde jeder, sagt sie, aber es sei wie beim Klavierspielen. „Einen Ton können wir sofort spielen, für eine Melodie müssen wir lange üben.“

Um bestimmte Töpfertechniken vollends zu beherrschen, brauche es auch hier viel Erfahrung. Und genau genommen das, was die meisten Besucher ihrer Werkstatt gern sehen – nämlich wenn sich die Töpferscheibe dreht und ein neues Tongefäß entsteht - mache nur etwa zehn Prozent dieser Arbeit aus. Was noch dazu gehört? Abdrehen, Henkeln, den Boden ebnen, zwei Mal brennen, jeweils 14 bis 18 Stunden bei rund 1240 Grad Celsius, zwischendurch ein- und ausbauen, glasieren und so weiter.

Für die Töpferkurse für Kinder in den Sommerferien sind noch Plätze frei. Infos: www.facebook.com/luederkeramik

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