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Ein frischer Anstrich kann in Berlin für Mieterhöhung sorgen - und treibt die Bewohner an den Stadtrand.

© dpa

Steigende Mieten: Häuserkampf in Berlin

Das Wohnen in Berlin wird stetig teurer, die sozialen Spannungen nehmen zu. Das bekommen alle zu spüren, die in dieser Stadt an ihrer Zukunft bauen. Eine Spurensuche in Top- und Randlagen.

Spandau, Heerstraße Nord. Gentrifizierung? Das Wort hat Ursula Neue noch nie gehört. Die 53-Jährige lächelt verlegen. Sie zieht einen vollgepackten Einkaufstrolley aus der evangelischen Kirche im Spandauer Stadtteil Staaken. Dort gastiert jeden Donnerstag die Berliner Tafel. Frau Neue hat sich Milch, Butter, Nudeln und Reis geholt, wie jede Woche. Das Wort, das Frau Neue nichts sagt, definiert der Duden als „Aufwertung eines Stadtteils durch Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die ansässigen Bevölkerungsschichten verdrängt werden“, und dieses Phänomen kennt Frau Neue sehr wohl.

Es hat ihr Leben stark verändert, zumindest in den vergangenen zwei Jahren. Sie musste das Häuschen mit Garten in Charlottenburg, in dem sie groß geworden ist, verlassen und in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in einer Großsiedlung am Stadtrand in Spandau ausweichen. Das Jobcenter, das Frau Neues Miete bezahlt, schrieb ihr vor etwa zwei Jahren, kurz nach ihrer Scheidung, sie und ihre damals zehnjährige Tochter müssten umziehen. Die Miete für das Häuschen hielt das Amt zwar für drei Personen für angemessen, nicht aber für zwei.

Ursula Neue, die vier Kinder großgezogen und seit der Heirat nicht mehr in ihrem Job als Erzieherin gearbeitet hat, suchte in Charlottenburg nach einem neuen Heim. Doch keine Wohnung mit mindestens zwei Zimmern war so günstig zu haben, dass das Jobcenter die volle Miete übernommen hätte. Eine Wohnung, die den Preisforderungen des Jobcenters entsprach, fand sie in Spandau, im Norden der Heerstraße.

Das Jobcenter wollte die Mieten in ihrem Kiez nicht zahlen

Wie viele Menschen bisher wie Frau Neue aus zentralen Lagen der Stadt von Kreuzberg, Mitte, Charlottenburg wegen steigender Mieten in eine billigere Wohnung am Stadtrand, in die Hochhaussiedlungen in Spandau, Marzahn und Reinickendorf ausgewichen sind, ist unklar. Der Senat sammelt dazu keine Daten. Im Stadtentwicklungsbericht 2030 steht nur: „Die Wohnquartiere der inneren Stadt gewinnen durchgehend (…) durch die Außenzuwanderung und verlieren alle durch die Binnenwanderung“. Zugleich heißt es dort: „Von einer Peripherisierung, also einer systematischen Verdrängung in die äußere Stadt, kann jedoch nicht gesprochen werden.“

Aber es gibt konkrete Zahlen: Die Berliner Jobcenter registrieren die Umzüge von Menschen, die in Bedarfsgemeinschaften leben, also Hartz IV oder andere Sozialleistungen beziehen. Demnach sind zwischen März 2012 und März 2013 allein aus Charlottenburg-Wilmersdorf 325 Menschen nach Spandau gezogen, insgesamt zogen 1545 Transferleistungsempfänger nach Spandau und 749 weg. Wie in Spandau kamen auch in Marzahn-Hellersdorf im selben Zeitraum knapp 800 neue Transferleistungsempfänger hinzu, während zentrale Bezirke wie Mitte mehr als 1100, Friedrichshain-Kreuzberg fast 900 Bedürftige verloren.

Gleichzeitig werden Altbauten in der Innenstadt von Investoren gekauft und hochwertig saniert. Teure Neubauwohnungen entstehen, und manche wohlhabende Berliner im Zentrum schützen ihr Eigentum durch hohe Zäune oder privaten Wachschutz. Spaltet sich die Stadt gerade in Reiche und Arme? In Gewinner und Verlierer der Gentrifizierung? Drohen Berliner Randgebiete ins soziale Abseits zu rutschen? Wer lebt unsicherer: Mieter oder Wohnungseigentümer?

Gentrifizierungsgegner rufen im Internet zu "kreativen Aktionen" auf

Radikale Gentrifizierungsgegner tun jedenfalls schon einiges dafür, damit sich Immobilienbesitzer, Investoren und Makler in der Stadt nicht allzu wohl fühlen. Im Frühjahr stellte eine anonyme Gruppe die „Berliner Liste“ ins Internet. Auf der sind jene versammelt, die autonome Linke als Profiteure und Beschleuniger der Gentrifizierung betrachten: Hausbesitzer, Immobilienmakler, Investoren, Politiker. Die Verfasser riefen dazu auf, die auf der Liste genannten Menschen, Häuser, Firmen und Institutionen anzugreifen, mit „kreativen, militanten, radikalen, bunten, auffälligen, guten Aktionen“. Dutzende solcher Aktionen werden auf der Seite gesammelt, von Brandstiftungen, Sabotageakten auf Baustellen bis zu Farbbeutelanschlägen wie den vor zwei Wochen auf die Wohnanlage Choriner Höfe in Prenzlauer Berg.

Frau Neue zieht ihren Einkaufstrolley die Straße entlang, in Richtung der bunt gestrichenen Hochhäuser im Norden der Heerstraße. In den siebziger Jahren, als die Wohntürme neu waren, zogen viele gerne ein. Heute bezieht hier jeder Dritte Transferleistungen, fast jedes Kind lebt in einer Familie, die staatlich unterstützt wird. In die Politik setzen die Leute hier nicht viel Hoffnung, die Wahlbeteiligung in Staaken lag bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011 unter 40 Prozent, in manchen Straßenzügen sogar unter 25 Prozent. Ursula Neue schüttelt den Kopf. Nein, Farbbeutelattacken auf Privathäuser findet sie nicht gut. „Man muss doch das Zuhause von allen Menschen respektieren“, sagt sie, ein wenig empört.

Ihre Wut richtet sich nicht gegen die in den schicken Wohnungen, sondern gegen die Hartz-IV-Politik

Die Empörung gilt aber nicht nur den Farbbeutelwerfern. Sondern auch jenen, die schuld daran sind, dass sie ihr Charlottenburger Häuschen verlassen musste. Sie sagt: „Manchmal empfinde ich auch eine solche Wut, dass ich am liebsten etwas werfen würde.“ Ihre Wut richtet sich nicht gegen die Wohlhabenden, die sich schicke Eigentumswohnungen kaufen. Auch nicht gegen Investoren, die sie bauen oder jene, die sie vermarkten. Und nicht gegen die Wohnungsbaupolitik. „Ich bin wütend auf das Jobcenter und die ganze Hartz-IV-Politik“, erklärt sie. „Ständig wird man gegängelt.“ Sie stellt den Trolley ab, kramt in ihrer Tasche und zündet sich eine selbst gestopfte Zigarette an. „Man darf nicht mal wohnen, wo man will.“

Schöneberger Ufer, Tiergarten

Schöneberger Ufer, Tiergarten. Nein, man will sich lieber hier treffen, am Schöneberger Ufer Ecke Potsdamer Straße, in einem ehemaligen Bürogebäude, vielleicht wegen der schönen Aussicht auf den Potsdamer Platz, „garantiert unverbaubar“ sagt der Unternehmenssprecher. Ein Ortstermin mit dem Immobilienmakler Nikolaus Ziegert vor dem Neubau in Friedrichshain, in dem es vor einigen Wochen gebrannt hat, wird abgelehnt – auch, wenn die Schäden des Anschlags längst beseitigt und die ersten Mieter eingezogen sind. Die Objekte, die Ziegert vermarktet, werden auf der „Berliner Liste“ als potenzielle Ziele für „kreative Aktionen“ empfohlen. Für die exklusive Adresse am Potsdamer Platz war vor 14 Tagen Verkaufsstart, 8500 Euro kostet der Quadratmeter, ein Drittel der Wohnungen sei reserviert, sagt Ziegert, ein schmaler Mann mit Brille und leiser Stimme.

Auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist Geld zu verdienen

Seine Erfolgsgeschichte: Er verdient Geld auf dem Berliner Wohnungsmarkt, weil dort Geld zu verdienen ist. Ein paar zerschlagene Fensterscheiben oder geflutete Baufundamente ändern daran nichts, angezündete Neubauten auch nicht. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: „Die Bedrohung, die von den Aktionen ausgeht, wird sehr ernst genommen“, sagt Ziegert. „Schließlich waren schon einige unserer Kunden persönlich betroffen.“ So seien in der Kreuzbergstraße im Erdgeschoss eines Hauses die Scheiben zerstört worden, die oberen Etagen seien bereits bewohnt gewesen, sagt Ziegert. Die Gefährdung von Menschen sei eine neue Qualität.

Ziegert ist eine Ausnahme. Zum einen, weil seine Wohnungen in einer Preisklasse angesiedelt sind, die für viele Berliner nicht erschwinglich ist. Zum anderen, weil er einer der wenigen ist, der derzeit offen spricht. Viele Geschichten vom Berliner Wohnungsmarkt sind nur hinter vorgehaltener Hand zu hören. Zum Beispiel von einem umstrittenen Luxusneubau in einem Szeneviertel, wo sechsmal pro Nacht die Polizei zur Kontrolle vorbeischaut. So steht es in den Berichten des privat beauftragten Wachschutzes, der dreimal pro Stunde im und am Gebäude Patrouille läuft, mal mit Hund, mal ohne. In letzter Zeit hätte sich die Lage aber stark verbessert, berichtet dann der Bauherr. Auch deshalb wolle man auf gar keinen Fall mit Namen und Adresse in der Zeitung stehen: bloß keine Aufmerksamkeit erregen.

Wowereit müsste ehrlich sagen, dass die Mieten steigen, weil es zu wenige Wohnungen gibt

Aufmerksamkeit kann nämlich bedeuten, dass Wohnungsinteressenten abspringen, weil sie nicht ständig in Sorge sein wollen, dass ihre Fensterscheiben heil bleiben. Aufmerksamkeit kann auch Investoren abschrecken, ihr Geld in den Berliner Wohnungsbau zu stecken. Das ist die andere Seite, und für Nikolaus Ziegert trägt auch die Landespolitik daran eine gewisse Mitschuld, denn sie versäume es, ausreichend landeseigene Grundstücke für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. „Wäre Klaus Wowereit ehrlich, müsste er jetzt öffentlich sagen, dass die Mieten auf absehbare Zeit unweigerlich steigen, weil es zu wenige Wohnungen gibt“, sagt Ziegert. Stattdessen werde so getan, als würden die Luxusneubauten und sanierte Altbauten die Mieten in die Höhe treiben. Wer aber den Schwarzen Peter permanent den Investoren zuschiebe, „der muss sich nicht wundern, wenn es am Ende auf den Baustellen brennt“, sagt der Makler.

Künstlerhaus Bethanien, Kreuzberg

Künstlerhaus Bethanien, Kreuzberg. „Vokü – Essen gegen Spende“. In der Druzbar-Volksküche, im Seitenflügel des Künstlerhauses Bethanien in Kreuzberg, kocht ein rothaariges Mädchen rotes Curry. Es läuft Ska, die Wände sind voller Sprüche, „Kein Mensch ist illegal“, „Mieten runter“, „Rauchen grenzt aus“. Rauchen ist nur im Gang erlaubt. Vor der Küche warten etwa 20 junge Menschen, viele Rastas, viele Tattoos, viele Piercings. Der „Soli“, den sie heute fürs Essen gegeben haben, ist für Antigentrifizierungsaktionen bestimmt, „Repressionsgelder“ sollen damit bezahlt werden, also Geldstrafen, zu denen gefasste Täter verurteilt wurden. Frage an die Wartenden: „Für welche Aktion ist der Soli heute?“ Schulterzucken. Keiner weiß Bescheid. „Soll wahrscheinlich auch keiner wissen“, mutmaßt eine junge Frau. Schließlich flüstert die rothaarige Köchin, es gehe um Aktionen „während der langen Nacht der Hausbesichtigungen“. Aber mehr will sie nicht sagen.

Berlin ist nicht die einzige Stadt, in der das Problem besteht

Das Internetportal Immobilien-Scout-24 hatte im Oktober 2011 zu einem „exklusiven Streifzug durch das Immobilienangebot der Hauptstadt“ eingeladen. Linksautonome riefen daraufhin zur „Langen Nacht der Hausbesetzungen“ auf, nervten die Makler, schrieben Sprüche an Wände, warfen Eier auf die Shuttlebusse, die vom Alexanderplatz zu den Wohnungsbesichtigungen fuhren, legten sich mit Polizisten an. Nachdem das Curry alle ist, zeigt das Mädchen mit den roten Haaren einen Film. Mit ernster Miene sagt sie: „Passend zum Soli habe ich einen Dokumentarfilm über Gentrifizierung ausgesucht.“ Licht aus, Film ab. Die Geschichte spielt in Columbus, Ohio. Ein paar Schwule und Lesben kaufen Häuser in einem Viertel, in dem bisher nur Afroamerikaner lebten. Kurz bevor die Homosexuellen zuziehen, wurde das Viertel unter Denkmalschutz gestellt, seitdem müssen die Besitzer ihre Häuser besser in Schuss halten und höhere Steuern zahlen. Ergebnis: Das Wohnen wird viel teurer. Die Schwarzen machen dafür die zugezogenen Homosexuellen verantwortlich. Die Zuzügler werfen den Schwarzen wiederum vor, dass sie ihre Häuser nicht instand halten und dass im Viertel zu viel eingebrochen wird.

„Wollt Ihr drüber diskutieren?“, fragt das rothaarige Mädchen, als der Film zu Ende ist. Lange Pause. Schließlich sagt ein Mädchen, „irgendwie kann man beide Seiten voll gut verstehen, schwierig einen Schuldigen auszumachen.“ „Es ist ja nie leicht, einen Schuldigen auszumachen“, antwortet die Rothaarige. Pause. „Was hätten sie tun können, damit das alles besser abläuft?“, fragt ein Junge. „Sie hätten sich zusammensetzen und miteinander reden können“, antwortet ein Mädchen. Die Rothaarige nickt. Mit dem Tagesspiegel wollte über das Thema übrigens kein linkes Bündnis offiziell sprechen.

Am Ende dreht sich alles um das Geld

Im Seitenflügel des Künstlerhauses Bethanien diskutieren die Linken noch eine Weile über die Gentrifizierung im Film. Am Ende sind die Schuldigen dann doch ein wenig klarer definiert. Da ist die Immobilienmaklerin, die irgendwann im Film sagt, „Ich mag Kapitalismus. Am Ende dreht sich alles immer nur ums Geld. Deshalb bin ich hier“. Und da sind die Politiker, die das Viertel unter Denkmalschutz gestellt haben, – „vielleicht zusammen mit der Immobilienmaklerin?“ – nicht etwa, um alte Gebäude zu schützen, sondern um die Gegend aufzuwerten.

Spandau, Heerstraße Nord

Spandau, Heerstraße Nord. Von jenen, die aus Kreuzberg, Mitte oder Charlottenburg in die Spandauer Randlage umsiedeln mussten, kommen seit einiger Zeit viele in den Gemeinwesensverein Heerstraße Nord, mit Sitz inmitten der bunten Wohnblöcke. Geschäftsführerin Petra Sperling bietet dort mit ihren Kolleginnen soziale Beratung an. „Die Menschen, die zu uns ziehen müssen, sind eingeschüchtert und verunsichert. Sie plagen existenzielle Ängste. So ein erzwungener Umzug ist ein kleines Trauma.“ Pause. „Die Frage, wer gut und wer schlecht ist, stellen sie sich nicht.“ Langsam gebe es auch hier kaum noch freie Wohnungen.

Sperling meint, dass das, was gerade in Berlin passiert, zur normalen Entwicklung in Metropolen gehöre – aber es berge Gefahren. „Die Menschen, die von einer Wohnung in die nächste ziehen müssen und so zur Manövriermasse werden, isolieren sich, nehmen nicht mehr an der Gesellschaft teil. Daran kann und muss man was ändern.“ Sie wird lauter, ein wenig zornig. „Warum müssen die Jobcenter so hart sein? Wieso können die Menschen nicht in ihrer vertrauten Gegend bleiben, auch wenn die Wohnung um hundert Euro zu teuer ist?“

Der Zustrom kann für das soziale Klima in den Siedlungen zum Problem werden

Auch für das soziale Klima in den Großsiedlungen könne der Zustrom der Verdrängten zum Problem werden. „Die Menschen, die hier schon lange wohnen, fühlen sich wohl“, sagt Sperling. „Wenn viele zuziehen, die nicht gern hier leben, kann sich das auf die anderen auswirken.“ Und dann sagt Sperling noch: „Ich frage mich: Wohin werden die Menschen ziehen, die sich die Wohnungen hier auch nicht mehr leisten können?“ Ursula Neue hat vor ein paar Wochen wieder Post vom Jobcenter bekommen. Sie soll noch einmal umziehen. Ihre mittlerweile zwölfjährige Tochter ist vorübergehend zum Vater gezogen, für eine Person ist ihre 60-Quadratmeter große Wohnung jetzt um genau hundert Euro zu teuer. Sie soll in eine Wohnung für 380 Euro ziehen. „Meine Tochter wird dann kein Zimmer mehr bei mir haben“, sagt sie, dreht sich weg, tupft sich die Augen. „Vielleicht sollten wir Hartz-IV-ler wirklich mal ’nen Aufstand machen“, sagt sie und lächelt kurz. „Aber wer weiß, was uns dann blüht?“ Sie nimmt ihren Trolley und zieht ihn weiter in Richtung Hochhäuser.

Marthashof, Prenzlauer Berg. Es hat gar nicht so lange gedauert, da merkten die ersten Bewohner im Marthashof, in der mit Zaun und Eisentoren gesicherten Wohnanlage am Mauerpark: Die wirkliche Gefahr lauert nicht draußen auf der Straße, sondern unten in der Tiefgarage. Vor gut drei Jahren sind die ersten Bewohner eingezogen, ein „urban village“ im Werbesprech des Investors Stofanel. Eine „gated community“ in der Sprache der Kritiker, die hier die Reichen vermuten, die für mehr als 3000 Euro pro Quadratmeter abends hinter Zäunen vor dem Elend in Deckung gehen, das sie tagsüber als Szeneviertel genießen. Aber die Aufregung legte sich bald, kaum jemand rüttelte am Metalltor oder warf Farbbeutel gegen die Fassade in der Schwedter Straße. Und jetzt sieht es plötzlich so aus, als würde die wichtigste politische Forderung der Linken doch noch Wirklichkeit: die Umverteilung des Reichtums, in ihrer drastischsten Art.

Aus der Tiefgarage werden Autos gestohlen

Aus der Tiefgarage vom Marthashof werden Autos geklaut, klagen Bewohner, in der dunklen Jahreszeit etwa alle sechs Wochen eins. Auch Abstellräume im Keller würden geknackt. „Die Leute, die hierher zum Klauen kommen, die brauchen Zeit, in der sie unbeobachtet sind. Dafür ist eine Tiefgarage ideal“, sagt Sabine von Sarnowski, eine Mittdreißigerin, knapp 80 Quadratmeter hat ihre Wohnung, gut 300 000 Euro kostete sie. Es war das Erbe der Oma, cash bezahlt, das Leben hat es gut mit ihr gemeint, sagt sie: „Ich hätte schließlich auch in einem Slum in Afrika geboren werden können.“ Stattdessen lebt sie auf einer abgegrenzten Wohlstandsinsel, in einer Wohnung mit großem Balkon in der vierten Etage.

Ein Montagvormittag, ihr Mann schläft noch, aus den Wohnungen im Erdgeschoss laufen die ersten Kinder in den Garten, Gelächter, Gebrüll. Der Blick fällt auf rechteckige Rasenflächen, kleine Hecken zwischen den einzelnen Parzellen, jedes Rasenstück mit einem Spielhaus ausgestattet, die Grundstücksgrenze eine massive Steinmauer. Amüsant sei es, vom Balkon den Rüstungswettlauf der Spielzeugsammlungen zu beobachten, immer prächtiger seien die Spielhäuser ausgestattet, „und erstaunlicherweise wollen die Kinder immer lieber beim Nachbarn spielen“. Ein Kinderparadies. Wenn es nach ihr ginge, sagt von Sarnowski, bräuchte es keine Metalltür zur Straße. „Natürlich habe ich mich schon gefragt, was passiert, wenn irgendwelche Idioten in die Tiefgarage gehen und die Autos anzünden“, sagt sie. Doch Angst vor Anschlägen hat sie nicht, die Gefährdungslage ist eine andere: Wer sich hier unberechtigt Zutritt in die Tiefgarage verschafft, der zündet keine Autos an. Er klaut sie. Oder sucht Ersatzteile: Ein Porsche Cayenne habe unlängst über Nacht die Scheinwerfer eingebüßt, „sauber abgeschraubt“, sagt ein Bewohner.

Torstraße, Mitte

Torstraße, Mitte. Der größte Witz ist wohl der Kinderspielplatz, der im Hinterhof entstehen soll, in einer etwa 35 Quadratmeter großen Schuttecke, eingemauert zu allen Seiten, gut drei Meter hoch die Wände. Wo momentan leichter Modergeruch aus dem Keller nach oben dringt, sollen „Sandkasten und Spielgeräte“ hin, hat der neue Eigentümer angekündigt. „Die armen Kinder, die dort einmal spielen müssen“, sagt einer der jetzigen Mieter und blickt aus seinem Küchenfenster in den Hinterhof, ein dunkles Loch, in dem 15 Mülltonnen aufgereiht sind. In der Zeitung will kein Bewohner seinen Namen lesen, die Rechtsanwältin hat davon abgeraten, denn offen zu kritisieren, was hier geschieht, könnte die fristlose Kündigung bedeuten. Darum nennen wir sie mehrere Menschen mittleren Alters, die in einem Haus in der Torstraße, Ecke Christinenstraße wohnen, und gerne bleiben wollen.

Die Kosten der Modernisierung können voll auf die Mieter umgelegt werden

Ihr Problem: Die Wohnungen im Haus werden gerade im Internet angeboten – die leer stehenden zum Verkauf, die noch vermieteten als Anlageobjekte, bis zu 5,9 Prozent Rendite stellt der Verkäufer in Aussicht. In dieser Rechnung sind die jetzigen Mieter eine nachgeordnete Größe, denn sie werden kaum bleiben können, wenn es so kommt wie geplant, und das liegt auch an dem Spielplatz. Gut 33 000 Euro kosten Sandkiste und Spielgerät, außerdem ein Gehweg und Fahrradständer. Weil die Neugestaltung als Modernisierung gilt, mit der sich die Wohnqualität angeblich verbessert, können diese Kosten auf die Mieter umgelegt werden, ebenso wie die 110 000 Euro für den neuen Fahrstuhl, der den Hinterhof noch etwas kleiner machen wird. Oder die Klingelanlage mit Videokanal für fast 22 000 Euro. Oder die „Hebebühne“, mit der die Mülleimer automatisch im Boden versenkt werden können: 24 000 Euro, voll umlagefähig. Dazu eine moderne Heizungsanlage, neue Leitungen, ein paar Balkone an die Fassade; am Ende steigt die Kaltmiete für eine Zwei-Zimmer-Wohnung um fast 600 Euro. Das könne sich keiner leisten, sagen die Bewohner.

Eigentlich gilt hier der Milieuschutz

Und wenn sie ausziehen, können die Wohnungen noch teurer vermietet werden. Dabei steht das Haus in einem Gebiet, in dem die Mieter eigentlich geschützt werden sollen: In der Gegend rund um den Teutoburger Platz sind Luxussanierungen nicht erlaubt. Hier gilt der Milieuschutz, der verhindern soll, dass alteingesessene Mieter durch teure Sanierungen verdrängt werden. Verboten sind zum Beispiel Fußbodenheizungen, Kamine oder ein zweiter Balkon in einer Wohnung. Das ist die eine Wahrheit. Die andere Wahrheit ist, dass bei den erlaubten Modernisierungen kein Bauherr verpflichtet ist, besonders sparsam zu sein. „Ob eine Badewanne für 500 oder für 5000 Euro eingebaut wird, ist für den Eigentümer egal – solange er das Geld vorstrecken kann. Am Ende zahlen eh die Mieter“, sagt einer der jetzigen Bewohner.

Was also ist der Milieuschutz wert, wenn er das Milieu nicht schützt? Die Antwort: Der Milieuschutz greift. „In diesem Fall können bestimmte Luxusmaßnahmen nicht ausgeführt werden und somit nicht in die Miete einfließen“, sagt Pankows grüner Baustadtrat Jens-Holger Kirchner. Soll heißen: Ohne Milieuschutz wäre alles schon viel teurer. Für seine Pläne zum Milieuschutz, zum Vorkaufsrecht des Bezirks und zur Mietpreisbegrenzung ist Kirchner heftig kritisiert worden; einigen gelten die Vorstöße als unzulässige staatliche Eingriffe ins Marktgeschehen. „Für mich scheint diese Regelung aber komplett wirkungslos zu sein“, sagt eine Mieterin aus der Christinenstraße. Wenn selbst engagierte Politiker gegen steigende Mieten offensichtlich kaum etwas machen können – wer dann?

Wer bereit ist, dafür zu zahlen, bekommt einen Spielplatz dazu

Und die „Berliner Liste“? „Prinzipiell finde ich es sinnvoll, auf die Gewinner der Vertreibung hinzuweisen“, sagt einer der Mieter. „Das muss ja nicht bedeuten, dass man denen gleich die Scheiben einschmeißt.“ So wehren sie sich auf ihre Art, irgendwer hat eine Internetseite erstellt, darauf sind die Wasserschäden im Keller zu sehen, die feuchten Stellen, die maroden Ecken des gut 140 Jahre alten Hauses. „Eigentlich ist es absurd, was hier passiert“, sagt der Mieter am Küchenfenster, absurd wie ein Spielplatz im dunklen Hinterhof. Denn Wohnungen mögen knapp sein in dieser Gegend, Spielplätze nicht. Der nächste liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Aber das spielt keine Rolle. Wer bereit ist, 3700 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung zu zahlen, bekommt in diesem Haus einen Spielplatz dazu. Ob er benutzt wird oder nicht. Um den Verkauf kümmert sich Ziegert.

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