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Berlin: Stille Örtchen

Autoren-Duo testete die Berliner Bedürfnisanstalten: Die teuerste High-Tech-Anlage steht in Spandau

Berlins Horror-Klo befindet sich unter der Kreuzung Prinzenallee/Osloer Straße in Wedding. Reiner Elwers spricht von „desaströsen Verhältnissen“ insbesondere in der Herrenabteilung. Schon von außen eine Ruine, dreckig und mit zerstörter Einrichtung präsentierte sich die noch unsanierte Anlage dem Tester. Weil es schon lange überfällig war, sich des anrüchigen Themas anzunehmen, hat Elwers gemeinsam mit Co-Autorin Rachel Nissen die öffentlichen Bedürfnisanstalten der Hauptstadt unter die Lupe genommen.

Herausgekommen ist dabei nicht nur ein neuer „Stadtführer für alle Fälle“, sondern auch eine „Hitliste“ der stillen Örtchen Berlins. Gestern wurde das wohl teuerste Örtchen ausgezeichnet. 1,3 Millionen Mark hat die Firma Wall vor anderthalb Jahren investiert, um die marode Toilette unter dem Spandauer Marktplatz in eine High-Tech-Bedürfnisanstalt mit Spezialfahrstuhl und vollautomatisch verstellbarem Behinderten-WC zu verwandeln. Obwohl während der Öffnungszeiten (6 bis 22 Uhr) ständig Personal vor Ort ist, gehört sie mit 20 Cent für die Kabinennutzung zu den kostengünstigsten Erleichterungsmöglichkeiten der Metropole.

Beide Toiletten unterstehen übrigens der Wall AG. 1992 hat der Senat die bisher von der Stadtreinigung betriebenen, städtischen Bedürfnisanstalten in die Obhut des Stadtmöbelfabrikanten gegeben, der aber noch nicht in allen Bezirken so weit fortgeschritten ist wie in Spandau. Die Firma fungiert auch als Sponsor des Buches, das nach Hamburger Vorbild entstand. Doch Wall hat keineswegs das Berliner WC-Monopol. So landete die Toilette des Berliner Aquariums auf dem zweiten Platz der Hitliste, nicht zuletzt wegen der ebenso fröhlichen wie fotoscheuen Klofrau.

Den schönsten Ausblick beim Öffnen der Tür bietet das WC an der Wannsee-Anlegestelle. Das von einem Schweizer Unternehmen betriebene McClean-Center im Bahnhof Zoo erlaubt für 7 Euro auch die „teuersten Dusche unseres Lebens“, während das „Café Achteck“ am Fellbacher Platz den gelungenen Wandel vom Pissoir zur Bedürfnisanstalt für beiderlei Geschlecht repräsentiert.

DDR-Nostalgiestimmung ist dagegen am Alexanderplatz angesagt. Hier findet der Ostalgiker noch authentische DDR-Sanitärarchitektur der sechziger Jahre.

Dass neben den vollautomatischen City-Toiletten auch wieder einen Trend zur mit Personal besetzten Bedürfnisanstalt besteht, haben die Autoren bei ihren sechsmonatigen Erkundungen festgestellt. So sind allein in Spandau fünf Mitarbeiter beschäftigt. In knapp der Hälfte der getesteten Einrichtungen wird mit dem Geschäft noch kein Geschäft gemacht, ist die Benutzung kostenlos. Sonst variieren die Gebühren zwischen 20 Cent und 1,10 Euro, wobei es im Bahnhof Zoo am teuersten ist. 58 der insgesamt 385 öffentlichen Toiletten Berlins werden in dem Buch vorgestellt. Rainer W. During

Stadtführer für alle Fälle - Berlin und seine öffentlichen Toiletten, 130 Seiten, viele Fotos, erschienen für 7,80 Euro im L&H-Verlag, Hamburg (ISBN 3-928119-77-X).

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